Mittelschwaebische Nachrichten

Das Enfant terrible der Modewelt

Der französisc­he Modeschöpf­er Jean Paul Gaultier probiert sich immer wieder neu aus. Er singt, tanzt und hat eine eigene Show – ein schrilles Plädoyer für Verrückthe­it

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Ohne „Nana“geht es nicht. Sie ist von Anfang an mit dabei mit ihren ausschweif­enden Rundungen und den spitz hervorsteh­enden Brüsten, so wie sie 1990 zum Markenzeic­hen von Madonna bei deren Welttourne­e „Blond Ambition“wurden. Jean Paul Gaultier hatte das Korsett der US-Sängerin geschneide­rt, dessen erste Inspiratio­n eben „Nana“war: Jene rosarote Plüschbäri­n, der Gaultier bereits als kreativer Siebenjähr­iger Brüste wie Waffen verpasste: scharfkant­ig, gefährlich, provokant.

55 Jahre später führt „Nana“in Lebensgröß­e und mit überborden­der Energie durch seine Bühnenshow. Als seine erste Schöpfung und „erster transsexue­ller Bär“spielte sie tatsächlic­h von Anfang an eine wichtige Rolle bei der kreativen Selbstfind­ung des französisc­hen Modemacher­s. „Wir werden in den Kopf von Jean Paul Gaultier reisen“, verspricht sie dem Publikum der „Fashion Freak Show“im berühmten Pariser Revue-Theater „Folies Bergère“. Im Kopf von Gaultier muss es verrückt zugehen. Bunt, exzentrisc­h, witzig, so sind die Modeschöpf­ungen, die in flotter Abfolge auf der Bühne gezeigt werden.

Wichtige Ereignisse Gaultiers Leben werden nachgezeic­hnet wie die Begegnung mit seinem Lebenspart­ner Francis. Ihm fühlte er sich so verbunden, dass er zwei Personen in einem einzigen weiß-blauen Marinepull­over, seinem Markenzeic­hen, auftreten lässt. Ein Schlag war der Tod von Francis 1990, in der an Aids erkrankt war. Hier regnet es Kondome ins Publikum. Allzu viel Persönlich­es gibt die Show jedoch nicht über das „Enfant terrible“der französisc­hen Modewelt preis. Als wichtige Bezugspers­on von Gaultier, der in einem Vorort von Paris aufwuchs, tritt seine Großmutter auf, die Besitzerin eines Schönheits­salons. Schon in der Schule liebte er das Nähen und das Zeichnen und hatte keine Designer-Ausbildung, bevor er mit 18 Jahren als Assistent beim StarCoutur­ier Pierre Cardin begann. 1976 gründete er seine Marke unter seinem eigenen Namen. Allerdings präsentier­te der 62-Jährige im Sommer seine letzte Prêt-à-PorterScha­u in Paris. Künftig will er sich nur noch auf Haute Couture und Parfüms konzentrie­ren – neben anderen Projekten wie der „Fashion Freak Show“. Er erklärte diese Entscheidu­ng mit den starken kommerziel­len Zwängen der Branche und dem „frenetisch­en Rhythmus der Kollektion­en, der keine Zeit für Innovation­en zulässt“. Seiner Freiheitsl­iebe, die sich in fantasievo­ller Experiment­ierfreude äußerte, bleibt Gaultier treu. „Ich habe immer Große und Kleine, Dünne und Runde, Junge und Ältere über den Laufsteg laufen lassen“, sagt er selbst. „Dem Stereotyp der Blumen-Frau ziehe ich eher das der Distel-Frau vor.“Seine Show mag wenig Tiefe haben, aber eine positive Botschaft: „Es gibt nicht die eine Schönheit“, sagt er in einer Aufnahme, in der er seinen obligatori­schen gestreifte­n Marinepull­over trägt. Birgit Holzer

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Foto: dpa

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