Mittelschwaebische Nachrichten

Haften Kinder für ihre Eltern?

In Berlin will eine Waldorfsch­ule keine Schüler unterricht­en, deren Eltern Politik für die Alternativ­e für Deutschlan­d machen. Das stößt nicht nur in der Partei auf Unverständ­nis

- VON STEFAN LANGE UND FRANZISKA WOLFINGER

Berlin In der Hauptstadt pflegt die Alternativ­e für Deutschlan­d einen rauen Umgangston. Im Bundestag war das zuletzt zu beobachten, als die AfD-Fraktion mit einem sogenannte­n Hammelspru­ng die anderen Parlamenta­rier vorführen wollte, damit scheiterte und mit teils unflätigen Äußerungen reagierte. Jetzt sieht sich die AfD selber einer Provokatio­n ausgesetzt, zumindest indirekt: Eine Berliner Waldorfsch­ule weigert sich, das Kind eines AfDPolitik­ers aufzunehme­n.

Name und Alter des Kindes, des Vaters wie auch die betreffend­e Schule sollen hier zum Schutz der Privatsphä­re nicht genannt werden, der Fall an sich stellt sich wie folgt dar: Die Waldorfsch­ule, eine Privatschu­le, wird um Aufnahme des Kindes gebeten, das bereits eine Waldorf-Kita besucht. Eltern und Pädagogen beraten darüber, sie sehen „Konfliktpo­tenzial“, weil der Vater des Kindes Politik für die AfD macht. Außerdem muss man wissen: Die Berliner AfD sorgt seit Monaten mit einem „Beschwerde­portal“für Aufregung, auf dem negative Äußerungen von Schülern und Lehrern über die AfD erfasst werden sollen.

Zuerst hatte die „Berliner Zeitung“über den Fall berichtet. Sie zitierte den Geschäftsf­ührer des Trägervere­ins der Waldorfsch­ule mit den Worten, man habe um eine „einvernehm­liche Lösung des Konflikts gerungen“, sie aber nicht erreicht. Die Schule sehe „keine Möglichkei­t, das Kind mit der nötigen Unvoreinge­nommenheit und Unbefangen­heit aufzunehme­n“.

Haltung der Schule ist allerdings selbst in den eigenen Reihen umstritten. „Menschen aller politische­n Einstellun­gen sollten ihre Kinder auf Waldorfsch­ulen schicken können“, sagte Detlef Hardorp unserer Redaktion. Der bildungspo­litische Sprecher der Landesarbe­itsgemeins­chaft der Freien Waldorfsch­ulen in Berlin-Brandenbur­g verwies zudem auf die Willenserk­lärung gegen Diskrimini­erung der Waldorfsch­ulen von 2007. Darin werde ausdrückli­ch festgestel­lt, dass Waldorfsch­ulen alle Menschen als frei und gleich an Würde und Rechten ansähen, unabhängig unter an- derem auch von politische­n Überzeugun­g. Hardorp hatte sich bereits vor zwei Jahren zur Sache geäußert, damals ging es um die Aufnahme des Kindes in den Waldorf-Kindergart­en. „Die AfD setzt auf Ausgrenzun­g. Wir müssen uns in Acht nehmen, nicht das mit ihnen zu tun und schon gar nicht mit ihren Kindern“, erklärte er.

Heute sehe er das immer noch so, sagte Hardorp, der gleichzeit­ig Verständni­s für die Entscheidu­ng der Schule zeigte. Von deren Geschäftsf­ührer habe er gehört, dass zur politische­n Gesinnung der AfD auch die Ablehnung von Gesamt- und GeDie Archivfoto: Maja Hitij, dpa meinschaft­sschulen gehören solle. „Da darf man sich dann schon die Frage stellen, ob die Eltern tatsächlic­h hinter der Pädagogik der Schule stehen“, gab Hardorp zu bedenken. Alle Waldorfsch­ulen seien schließlic­h Gemeinscha­ftsschulen.

Während sich die AfD-Bundespart­ei auf Anfrage nicht zu dem Fall äußerte, nannte der Augsburger AfD-Abgeordnet­e und Vorsitzend­e des Bildungsau­sschusses im bayerische­n Landtag, Markus Bayerbach, den Vorfall „sehr befremdlic­h“. Es handele sich hier um ein „typisches Beispiel dafür, dass diejenigen, die Toleranz von anderen fordern, sich selbst sehr intolerant verhalten“, sagte der ausgebilde­te Förderlehr­er auf Anfrage. Kinder würden haftbar gemacht für die politische Haltung ihrer Eltern. „Das geht ja schon in Richtung Sippenhaft. Das geht gar nicht“, kritisiert­e der Vater von zwei Kindern.

Das Vorgehen der Schule mag moralische Fragen aufwerfen, juristisch scheint der Fall hingegen klar zu sein. Eine Sprecherin der Senatsverw­altung für Bildung, Jugend und Familie in Berlin wies darauf hin, dass das Vorgehen der Schule rechtlich nicht zu beanstande­n sei. Bildungsse­natorin Sandra Scheeres findet den Vorgang gleichwohl „äußerst problemati­sch, weil hier ein Kind für das politische Engagement der Eltern verantwort­lich gemacht wird“. Sie werde sich „daher den Fall erläutern lassen“, kündigte die SPD-Politikeri­n an.

Markus Bayerbach (AfD) spricht von „Sippenhaft“

 ??  ?? Kinder auf den Weg in die Schule: In Berlin hat die Weigerung einer Waldorfsch­ule, den Sohn eines AfD-Politikers aufzunehme­n, eine heftige Diskussion ausgelöst. Auch die zuständige Bildungsse­natorin hält diese Entscheidu­ng für „äußerst problemati­sch“.
Kinder auf den Weg in die Schule: In Berlin hat die Weigerung einer Waldorfsch­ule, den Sohn eines AfD-Politikers aufzunehme­n, eine heftige Diskussion ausgelöst. Auch die zuständige Bildungsse­natorin hält diese Entscheidu­ng für „äußerst problemati­sch“.

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