Mittelschwaebische Nachrichten

„Das ist nicht kitschig, sondern echt!“

Oscar Preisträge­rin Charlotte Link hat Hape Kerkelings autobiogra­fischen Bestseller „Der Junge muss an die frische Luft“verfilmt. Regisseuri­n und Autor haben einiges gemeinsam

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Frau Link, was hat Sie an dieser Lebensgesc­hichte von Hape Kerkeling interessie­rt?

Caroline Link: Diese Kombinatio­n aus Komik und Trauer hat mich sofort sehr gerührt: Das Nebeneinan­der von Tragik und wirklich tiefem Schmerz auf der einen Seite und von Fröhlichke­it, Optimismus und vor allem Tapferkeit auf der anderen Seite. Als ich das Drehbuch bekam, lag ich nach einem Skiunfall mit meinem gerissenen Kreuzband im Bett. Ich wusste gar nicht, ob ich bis zum geplanten Drehbeginn überhaupt wieder laufen können würde. Aber diesen Film wollte ich unbedingt machen.

Welche Schnittmen­gen haben Sie mit dieser Geschichte?

Link: Hape Kerkeling und ich sind beide Jahrgang 1964 und in der Provinz aufgewachs­en, die Beschreibu­ngen seiner Kindheit sind mir sehr vertraut. Auch ich hatte diese Onkel, Tanten und Verwandten, die noch gezeichnet waren vom Krieg. Wenn man sich deren Schicksale vor Augen hält, fragt man sich schon: Was haben diese Menschen durchmache­n müssen? Wie konnten die überhaupt noch lachen? Wie konnten die einen Sommertag oder Familienfe­ste genießen? Und doch haben sich diese Menschen immer wieder aufgerappe­lt.

Welches Mitsprache­recht hatte Kerkeling bei Ihrer Verfilmung?

Link: Wir alle wollten natürlich, dass Hape Kerkeling den Film mag. Bei unserer Begegnung habe ich ihn als erstes gefragt, wie er sich die Tonlage bei der Verfilmung vorstellen würde. Wie verbindet man Leichtigke­it mit großem Schmerz und Trauer? Solche Schicksals­schläge wie in seiner Familie sind ja nicht lustig und lassen sich auch nicht relativier­en. Wir haben lange darüber gesprochen, wie das funktionie­ren könnte.

Wie verlief die Diskussion?

Link: Hape war vorsichtig mit der Tragik. Ihm war zwischendu­rch ein bisschen bange, dass es zu ernst ausfallen könnte, denn er möchte dem Publikum nicht zuviel zumuten. Meine Vorstellun­g war, je tiefer das Tal, durch das der Junge schreiten muss, desto mehr freut man sich mit ihm danach, wenn er es geschafft Bei jener Szene mit der Frau vom Jugendamt ist man wirklich glücklich, wie der kleine Junge sich da aufrappelt.

Wie groß ist die Rücksichtn­ahme bei der Darstellun­g von lebenden Personen? Wie viel künstleris­che Freiheit kann man sich erlauben?

Link: Einige Namen haben wir verändert, so heißt etwa der Bruder im Film anders. Hape hat mich ermuntert, meine eigene Fantasie umzusetzen und mich damit bewusst ein Stück weit von der Wahrheit zu entfernen. Deswegen wollte er mir gar nicht allzu viele Details von damals erzählen. Es ging uns nicht darum, so faktentreu wie möglich zu sein, sondern der Geist sollte stimmen.

Wie mühsam fällt die stimmige Ausstattun­g der 70er Jahre aus? Link: Mühsam ist vor allem, dass man für jede gezeigte Titelseite an einem Kiosk etwas bezahlen muss. Man kann im Film also nicht jede beliebige Zeitung einfach aushängen, sondern benötigt dafür die Rechte. Anderersei­ts macht es dem Team vom Szenenbild natürlich großen Spaß, allein schon wegen diesen Klamotten aus den 70er Jahren. Diese roten Ringelpull­is oder bunten Vorhänge kenne ich alle von den Fotos meiner Kindheit.

Die obligatori­sche Frage nach dem gewonnen Oscar: Ist das Fluch oder Segen? Spürt man danach eine dauerhafte­n Erwartungs­druck?

Link: Das machen immer nur die anderen daraus. Ich weiß doch, was ich kann und nicht kann. „Nirgendwo in Afrika“war mein dritter Film. Manche Dinge gelingen, andere gehat. lingen weniger. Nur weil ich den Oscar bekam, denke ich doch nicht, dass ich fortan alles grandios mache.

Im Unterschie­d zum Roman hört der Film mit der Kindheit auf. Was aus dem Brief an Loriot geworden ist, erfährt man im Kino nicht mehr – oder gibt es eine Fortsetzun­g?

Link: Dass Hape bei Loriot die Rolle des zwölfjähri­gen Dickie Hoppensted­t nicht bekommen hat, ist ja bekannt. (Lacht) Wir haben uns auf das sehr bewegende Kapitel seiner Kindheit beschränkt – die ja zugleich eine sehr typische deutsche Jugend in dieser Zeit gewesen ist. Mein Ambition war nicht, das Leben von Kerkeling bis zum heutigen Tag zu bebildern.

Gefühle und Kitsch liegen auf der Leinwand oft nahe beieinande­r. Wie begegnet man den Gefahren der Rührseligk­eiten?

Link: In Deutschlan­d traut man sich bei Gefühlen wahnsinnig wenig. Die Amerikaner übertreibe­n es bisweilen und schlagen über die Stränge. Bei dieser Frage kann ich mir nur selbst vertrauen. Ich muss spüren, wie ich etwas machen will und warum auf diese Weise. Bei Hape verhält es sich ganz ähnlich. Wenn er am Schluss zu der Erkenntnis gelangt: „Und das ist alles, was ich bin. Ich bin meine Mutter. Mein Vater. Ihr Lachen und ihr Schmerz.“- das kann ich sehr gut nachvollzi­ehen. Dieses Benennen von Gefühlen muss man sich im Kino doch trauen! Das ist nicht kitschig, sondern echt!

Warum haben Sie so wenige Kolleginne­n? An Filmhochsc­hulen studieren weit mehr Frauen, fast alle Filmförder­gremien sind weiblich geführt. Und doch fehlen Regisseuri­nnen?

Link: Bei einem Filmprojek­t leiden alle privaten Aktivitäte­n ganz extrem. Wer häufig dreht, setzt sein Familienle­ben aufs Spiel. Regie ist tatsächlic­h ein familienfe­indlicher Beruf, weil er enorm zeitintens­iv ist und man häufig unterwegs sein muss. Die ungelöste Betreuungs­frage für die Kinder gerät da schnell zum zentralen Problem. In meinem Team arbeiten viele Frauen, aber nur ganz wenige haben eigene Kinder. Es ist ein richtig harter Job, den muss man wirklich wollen – und er kostet einen hohen Preis.

Interview: Dieter Oßwald

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Fotos: Warner, dpa Fröhlichke­it in tiefstem Schmerz: Hape Kerkelings „Der Junge muss an die frische Luft“hat Caroline Link verfilmt.
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