Mittelschwaebische Nachrichten
Der Freund des Selbstmörders
Blondels Roman wirkt lange nach
Kann ein Suizid auch etwas Positives bewirken? In Jean-Philippe Blondels Roman „Ein Winter in Paris“muss man diese Frage fast bejahen. Denn es ist der Sprung seines Mitstudenten Mathieu in den Schulhof und damit in den Tod, der das Leben des 19-jährigen Victor von einer Minute auf die andere verändert. War er bis dahin in den Vorbereitungskursen zu den Eliteschulen für seine hochnäsigen Kollegen nur ein widerwillig geduldeter Provinzler, den es zu meiden galt, wird er schlagartig interessant. Schließlich war er der Einzige, der mit Mathieu immer wieder gesehen worden war. Er wird als der „Freund“des Selbstmörders gesehen. Damit öffnen sich plötzlich Türen zu seinen Mitstudierenden. Auch darf er Mathieus Vater trösten und in die Rolle des Ersatzsohns schlüpfen. Dass er mit Mathieu nur ein paar Zigaretten geraucht hat, von einer Freundschaft keine Rede sein kann, muss er vor allem mit sich selbst ausmachen. Für Victor wird dessen Suizid aber tatsächlich ein Wendepunkt.
Blondel lässt diese aufwühlende Geschichte im Rückblick erzählen. Es ist ein Brief von Mathieus Vater – gut 30 Jahre nach dem Suizid seines Sohnes – an den „lieben Schriftsteller“, der Anlass dazu gibt. Eine Rückschau, die vor allem durch ihre sensible Sprache, aber auch durch tiefe Einblicke in die Seele der Figuren fesselt und überzeugt. Es ist eine Erinnerung, die auch heute noch viele Fragen aufwirft.
Übs. Anne Braun. Deuticke, 192 S., 19 ¤