Mittelschwaebische Nachrichten
Kronzeuge narrt die Justiz
Rocker wird aus der Türkei eingeflogen – und sagt dann nichts
Stuttgart Ein Kronzeuge wird mit freiem Geleit aus der Türkei eingeflogen, die Justiz erhofft sich den entscheidenden Schlag gegen die verbotene türkisch-nationalistische Straßengang „Osmanen Germania BC“– und dann narrt der selbst mehrfach vorbestrafte Zeuge das Gericht und verweigert die Aussage.
Das Stuttgarter Landgericht hatte den 30-Jährigen – ehemaliger Stuttgarter Osmanen-Vizepräsident und Hauptbeschuldigter – nach monatelangen Verhandlungen aus der Türkei geladen. Nun muss der seit März laufende Prozess doch ohne dessen Aussage weitergeführt werden. Dem Mann wurde zugesagt, dass er nicht verfolgt wird, wenn er innerhalb von 15 Tagen zurückfliegt.
„Er hat uns allen eine lange Nase gemacht“, kommentierte GrünenPolitiker Cem Özdemir den kurzen Auftritt des Kronzeugen. Er war als Beobachter zum Prozess gekommen. „Mit jeder Faser“zeigten auch die Angeklagten die Missachtung des deutschen Rechtsstaats. „Sie halten uns für schwach.“Die Bundesregierung sei gefordert, dieses Treiben nicht länger hinzunehmen. „Es ist Zeit, mal eine klare Ansage zu machen, dass das ab jetzt nicht mehr geduldet wird – und zwar in einer Sprache, die verstanden wird“, sagte Özdemir. Berlin aber scheue sich, die Verwicklungen der Osmanen nach Ankara und zum Umfeld des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan zu benennen. „Wir tun hier so, als seien das hier stinknormale Kriminelle. Dabei haben wir es aber mit politischer Kriminalität zu tun“, sagte Özdemir.
Angeklagt sind seit März noch sieben mutmaßliche Mitglieder der Straßengang – darunter drei, die zur höchsten Führungsebene gerechnet werden. Den Männern werden unter anderem versuchter Mord, versuchter Totschlag, Erpressung, Zwangsprostitution und Zuhälterei vorgeworfen. Vor allem geht es um die blutige Folter eines abtrünnigen Osmanen in Herrenberg bei Stuttgart. Daran soll auch der Kronzeuge beteiligt gewesen sein. Nach bisherigem Verlauf des Prozesses werden dafür wohl nicht der einstige „Weltpräsident“oder sein Vize, sondern vor allem der ehemalige Präsident der Stuttgarter Osmanen bestraft. Er hatte wohl auf entlastende Aussagen des einstigen Stellvertreters gehofft und schimpfte ihm nach seinem schnellen Abgang auch hinterher.
Özdemir zeigte sich empört: Der Kronzeuge lasse sich auf Staatskosten einfliegen, bekomme einen Rechtsbeistand, könne 15 Tage seine Familie besuchen und habe dann freies Geleit zurück. „Er hat uns den Mittelfinger gezeigt.“Das zeige die Gesinnung dieser Menschen. Der ehemalige Grünen-Bundeschef, der als scharfer Kritiker Erdogans gilt, nannte den türkischen Rechtsradikalismus „mit das Gefährlichste, was wir in der Republik haben, neben dem deutschen Rechtsradikalismus“. Die Neuorganisation der Osmanen sei längst im Gange. „Das Verbot schafft die ja nicht aus der Welt.“