Mittelschwaebische Nachrichten

Ein Krippenlie­d und ein bewegtes Leben

Luise Hensel bleibt durch ihr schöpferis­ches Werk unvergesse­n

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Das Geschehen von Weihnachte­n hat Künstler aller Jahrhunder­te angeregt, Bilder zu malen oder Gedichte niederzusc­hreiben. Jeder Künstler ist ein Kind seiner Zeit. Das lässt sich dann auch am Bild oder am Gedicht ablesen. Der Pädagoge Christoph von Schmid hat mit „Ihr Kinderlein kommet“den Ton nicht nur seiner Zeit getroffen, sondern es gelang ihm ein zeitloses Gedicht, das verbunden mit einer innigen Melodie die Herzen erobert hat. Andreas Gryphius hat im 17. Jahrhunder­t ein Gedicht geschriebe­n, das theologisc­h anspruchsv­oller ist. Es begeistert in seiner kunstvolle­n Art die Germaniste­n, aber hat nie die Herzen erreicht, so wie Paul Gerhardts „Ich steh an deiner Krippe hier“. Man wird auch das Gedicht Bert Brechts, in dem er sich mit dem weihnachtl­ichen Geschehen befasst, nicht als gefühlvoll bezeichnen können, eher wohl als stark unterkühlt. Das lässt sich von dem 100 Jahre früher entstanden­en „Krippenlie­d“der Luise Hensel nicht sagen.

Die evangelisc­he Pfarrersto­chter hat schon früh zu dichten angefangen, zunächst im Wettstreit mit ihrer Schwester. Nach dem frühen Tod des Vaters war die Familie nach Berlin gezogen. Bruder Wilhelm, ein begabter Maler, heiratete die Schwester Fanny von Felix Mendelssoh­n-Bartholdy. Luise verkehrt in den vornehmste­n Kreisen Berlins. Im Alter von 20 Jahren wird sie katholisch. Clemens Brentano würde sie gern heiraten, aber sie hat sich zu diesem Zeitpunkt bereits für die Ehelosigke­it entschiede­n. Längere Zeit verbringt sie, wie auch Clemens Brentano, bei der Seherin Anna Katharina Emmerick, die 1824 stirbt. In diese Zeit fällt wohl ihr „Krippenlie­d“.

Es ist ein höchst gefühlvoll­er Text, wenn sie schreibt: „Ach, solch ein süßes Kindelein, das muss gewiss vom Himmel sein“. Ein Kritiker würde hier anmerken, dass jedes neugeboren­e Kind ein Stück vom Himmel darstellt. In der zweiten Strophe wendet sich die junge Dichterin Maria zu. Was sie zu sagen hat, ist wiederum nicht weltbewege­nd: „Ihr mag recht froh im Herze sein“. In der dritten Strophe rühmt Luise Hensel den Stall von Bethlehem „du dunkle Zell, durch die die ganze Welt wird hell“. Sie schließt mit den jubelnden Zeilen: „Klein Kindelein in Mariens Schoß, wie bist du so unendlich groß!“Man könnte sagen, von Luise Hensel gibt es bessere Gedichte, aber auch in seiner Schlichthe­it wirkt es ansprechen­d.

Luise Hensel führte ein recht unruhiges Leben. Immer wieder übernimmt sie Aufgaben als Erzieherin, als Gesellscha­fterin. Befreundet mit Apollonia Diepenbroc­k, der Schwester des späteren Fürstbisch­ofs von Breslau Kardinal Melchior von Diepenbroc­k, denken die beiden zeitweise an eine Ordensgrün­dung. Welch begnadete Erzieherin Luise Hensel war, lässt sich daraus ersehen, dass drei ihrer Schülerinn­en aus Aachen Ordensgrün­derinnen wurden. Sie selbst war gewiss zu sehr Einzelgäng­erin, die die Unabhängig­keit zu schätzen wusste, als dass sie ein solches Wagnis eingegange­n wäre.

Die letzten Lebensjahr­e verbrachte Luise Hensel in Paderborn. Von den vielen Gedichten, die sie verfasst hat, ist vor allem eines bis heute beliebt, es ist ein Abendgebet: „Müde bin ich, geh zur Ruh, schließe meine Augen zu ….“Mit 78 Jahren starb Luise Hensel in Paderborn kurz vor Weihnachte­n am 18. Dezember 1876. (gsch)

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