Mittelschwaebische Nachrichten
Die letzte Zuflucht
Soziales Wohin, wenn man keinen Platz zum Schlafen hat? Für Obdachlose sind Notunterkünfte oft der einzige noch verbleibende Ausweg. Ein Blick in Gebäude, in denen niemand freiwillig wohnen will
Krumbach Es riecht muffig im Zuhause von L. Der knarrende Holzboden begleitet jeden Schritt, sobald man sein Zuhause in Edenhausen betritt. Links liegt eine spärlich möblierte Küche, im Raum dahinter ein Bad, das den Namen kaum verdient. Viele Fliesen sind abgesplittert, am Wasserschlauch fehlt der Duschkopf. Wobei L. dort eh keine Dusche nimmt. Im Bad fließt nur kaltes Wasser. Früher hat ein Holzofen eine warme Dusche möglich gemacht. „Der Kaminkehrer hat mich davor gewarnt, den anzuheizen“, sagt L. Die Brandgefahr sei zu hoch.
Das Schlafzimmer jenseits der Küche ist ein ebenso nüchterner Anblick. Die Matratze liegt auf einfachen Holzpaletten, daneben die Habseligkeiten von L. zu einem ordentlichen Haufen gestapelt. Das Haus in der Ursberger Straße dient der Stadt Krumbach als Unterkunft für Obdachlose. Theoretisch können dort mehrere Personen wohnen. Eine angenehme Unterkunft findet dort aber keiner.
L. ist seit wenigen Monaten obdachlos. Davor wohnte er bei seiner Freundin, doch die Beziehung ging in die Brüche. Er musste raus aus der Wohnung und hatte keinen Ort, wohin er gehen konnte. Sein bisheriger Lebensweg verlief holprig. Er ist ungelernter Bauhelfer, Arbeitsstellen konnte er in den vergangenen Jahren nur für wenige Monate halten. Derzeit ist der Mittdreißiger arbeitslos. Ihm ist ein Betreuer zur Seite gestellt, der ehemalige Klinikgeschäftsführer Horst Schmidt. Der hatte sich bereits vor mehreren Wochen mit einem Brief an die Stadt Krumbach gewandt, die für die Unterbringung von Obdachlosen im Stadtgebiet verantwortlich ist. „In der Unterkunft könnte man kurzfristig leicht etwas machen. Ein einfacher Wasserboiler für ein paar Hundert Euro wäre schon ein großer Fortschritt“, sagt er. Schmidt erwarte nicht, dass die Unterkunft die gleiche Qualität wie eine normale Wohnung hat: „Das wäre auch nicht Sinn der Sache. Immerhin soll die Unterkunft ausschließlich eine Übergangslösung sein.“
Einige Dinge haben sich in dem Haus in Edenhausen bereits getan. Die Stadt hat Gerümpel, das auf dem Grundstück verstreut lag, bereits abholen lassen. Auch einen einfachen Ölofen hat sie in die Wohnung gestellt – davor lief dort nur eine elektrische Heizung, die im Monat ein paar Hundert Euro auf die Stromrechnung schlägt. L. musste sich damit als Notlösung behelfen, denn in der Unterkunft gab es keinerlei funktionierende Heizung.
Beim Thema Warmwasser hat die Stadt inzwischen eingegriffen – der alte Holzofen wird wieder benutzbar gemacht. Krumbachs Bürgermeister Hubert Fischer machte allerdings mit einem Brief an Schmidt klar, dass diese Maßnahme grundsätzlich nicht notwendig sei. Fischer räumt ein, dass sich die Notunterkunft in keinem guten Zustand befindet. „Die Mindestanforderungen für eine Wohnunterkunft sind allerdings erfüllt“, heißt es in dem Brief weiter. „So besteht bei einer Notunterkunft insbesondere kein Anspruch auf einen heute üblichen Wohnungskomfort. Dies bedeutet, dass beispielsweise ein Kaltwasserhahn und ein Abfluss in der Unterkunft vorhanden sein muss; ein Warmwasseranschluss oder ein Bad beziehungsweise eine Dusche sind aber nicht erforderlich.“
Schmidt ist der Meinung, dass das gegen die Menschenwürde verstößt und dass die Aussage des Bürgermeisters auch nicht gesetzlich begründet ist. In Bayern ist vorgeschrieben, dass eine Obdachlosenunterkunft „Raum für die notwendigsten Lebensbedürfnisse“bietet (Az.: IV 2/5671/5/97 und I C 2-2123.1.). Ob das eine Duschmöglichkeit beinhaltet, verrät der Gesetzestext nicht explizit. L. ging in den vergangenen Wochen jedenfalls zu Bekannten, wenn er unter die Dusche wollte.
Eine allgemeine Definition für eine menschenwürdige Unterbringung ist schwer zu treffen. Das Landratsamt Günzburg richtet sich etwa bei Unterkünften für Asylbewerber nach Leitlinien, die vom Bayerischen Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen herausgegeben wurden, inzwischen aber außer Vollzug gesetzt sind. Darin werden „zeitgemäße humanitäre Maßstäbe“gefordert – dabei zählt eine Dusche zur Grundausstattung, die sich maximal zehn Menschen teilen müssen. Außerdem sprechen die Leitlinien den Bewohnern einen abschließbaren Schrank oder ein Schrankteil zu. Auch dies fehlt in der Unterkunft in Edenhausen. L. kann zwar die Haustüre abschließen, die einzelnen Zimmer haben jedoch kein Schloss. Sollten dort mehrere Menschen gleichzeitig Unterkunft finden, gibt es keinen Ort, an dem seine Habe sicher ist.
Als L. obdachlos geworden war, hatte ihn die Stadt zunächst in einem Gasthaus untergebracht. Bald darauf wurde er in die Notunterkunft verlegt. Nach einer Regelung der Stadt dürfen Obdachlose maximal drei Monate lang dort wohnen. Bei L. haben sie diese Frist allerdings verlängert. Der junge Mann hat eine Arbeitsstelle in Memmingen in Aussicht. „Diesmal werde ich es schaffen“, sagt er zuversichtlich. „Ich wünsch es dir auf jeden Fall“, sagt Schmidt. Sein Optimismus hält sich in Grenzen – oft schon konnte L. seine Arbeitsstellen nicht halten. Aber er hofft, dass sich bei L. etwas ändert.
Er hofft aber auch, dass sich in Krumbach etwas bei der Unterbringung von Obdachlosen ändert. „Die Lage in Edenhausen ist nicht zufriedenstellend. Wer dort wohnt, kann ohne Auto kaum am gesellschaftlichen Leben teilnehmen“, sagt er. Diese Meinung teilt auch Achim Fißl, Fraktionsvorsitzender der SPD im Krumbacher Stadtrat: „Manchmal habe ich das Gefühl, dass man die Obdachlosen lieber außerhalb der Stadt halten will, wo man sie nicht sieht.“
Krumbachs Ordnungsamtsleiter Jörg Drechsler hingegen sagt, dass der Stadt schlichtweg die Möglichkeit fehlt, direkt in Krumbach eine Unterkunft zu errichten: „Wir haben einfach kein Gebäude dafür, dazu kommt die Misere am Wohnungsmarkt.“Vor knapp zehn Jahren habe es Bestrebungen geben, in einem Haus gegenüber dem Gasthof Munding eine Notunterkunft zu errichten – die damals allerdings gescheitert sind. Von weiteren Bestrebungen, eine Unterkunft im Stadtgebiet zu errichten, weiß Drechsler nach eigener Aussage nichts.
Mit der Unterkunft in Edenhausen beschäftigt er sich hingegen regelmäßig. „Sobald wir hören, dass es dort ein Problem gibt und etwas repariert werden muss, handeln wir“, sagt er. Auch, wenn ein Wechsel der Bewohner stattfindet, wird die Stadt aktiv. Das Gebäude werde dann gereinigt. „L. ist ein positiver Ausnahmefall. Viele Bewohner lassen die Räume verwahrlosen“, sagt Drechsel. Das sei bei den Bewohnern, die vor L. in der Unterkunft waren, der Fall gewesen. Zwei Erwachsene und zwei Kinder wohnten dort. „Eines Tages waren sie einfach weg, ohne der Stadt etwas darüber zu sagen“, erzählt der Ordnungsamtsleiter. Dafür hätten sie rund 20 Kubikmeter an Unrat hinterlassen, den die Stadt wegräumen musste. Das entspricht in etwa dem Inhalt von drei mittelgroßen Containern, wie sie auch für Bauschutt verwendet werden.
Im Landkreis gibt es mehrere Unterkünfte für Obdachlose. Horst Schmidt hat eine in Günzburg und eine in Thannhausen besucht, um sich einen Eindruck über die dortigen Verhältnisse zu verschaffen. Seine Bewertung fällt differenziert aus – die Unterkunft in der Thannhauser Brauerstraße hält er an einigen Stellen für reparaturbedürftig, gleichzeitig hebt er aber die gute Lage im Zentrum hervor. Über die Notunterkunft im Günzburger Albert-Benz-Weg findet er größtenteils gute Worte. Das Gebäude wurde erst 2017 fertiggestellt und sei daher baulich in einwandfreiem Zustand, außerdem verfügt dort jedes Zimmer über eine Dusche, einen separaten Eingang und einen Spind für Wertsachen und persönliche Gegenstände. Schmidt wünscht sich, dass sich die Situation für Obdachlose in Krumbach verbessert. Er könne sich etwa eine Unterkunft in Containerbauweise vorstellen, die man in Zentrumsnähe errichtet. „Die Unterkunft in Edenhausen ist für die Zukunft nicht tragbar. Mehr als ein Provisorium ist die Lösung dort nicht.“Für L. ist die Zeit abzusehen, die er noch in Edenhausen verbringt. Wenn er die Arbeitsstelle in Memmingen bekommt, wird er dorthin ziehen. Aber nach ihm werden weitere Menschen kommen, die eine Notunterkunft brauchen. Wie viele Obdachlose es im Landkreis Günzburg gibt, weiß niemand genau. Weder die Städte noch der Kreis haben dazu zuverlässige Zahlen. Selbst das Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Soziales, Familie und Integration hat nur Zahlen aus dem Jahr 2014, nach Regierungsbezirken aufgeschlüsselt. An einem Julitag wurden alle Menschen gezählt, die zu diesem Zeitpunkt in einer Notunterkunft untergebracht waren. In ganz Bayern waren es 12053, davon 980 in Schwaben. Fraglich ist, wie zuverlässig diese Zahl ist, denn in den Wintermonaten werden Notunterkünfte wesentlich stärker in Anspruch genommen als im Sommer. Eine zuverlässige Statistik sucht man vergeblich. Horst Schmidt ist sich sicher, dass jeder Mensch in diese Situation kommen kann. „Gerade an Weihnachten sollte man daran denken, dass auch Maria und Josef obdachlos waren“, sagt er.