Mittelschwaebische Nachrichten

Die letzte Zuflucht

Soziales Wohin, wenn man keinen Platz zum Schlafen hat? Für Obdachlose sind Notunterkü­nfte oft der einzige noch verbleiben­de Ausweg. Ein Blick in Gebäude, in denen niemand freiwillig wohnen will

- VON CHRISTIAN GALL

Krumbach Es riecht muffig im Zuhause von L. Der knarrende Holzboden begleitet jeden Schritt, sobald man sein Zuhause in Edenhausen betritt. Links liegt eine spärlich möblierte Küche, im Raum dahinter ein Bad, das den Namen kaum verdient. Viele Fliesen sind abgesplitt­ert, am Wasserschl­auch fehlt der Duschkopf. Wobei L. dort eh keine Dusche nimmt. Im Bad fließt nur kaltes Wasser. Früher hat ein Holzofen eine warme Dusche möglich gemacht. „Der Kaminkehre­r hat mich davor gewarnt, den anzuheizen“, sagt L. Die Brandgefah­r sei zu hoch.

Das Schlafzimm­er jenseits der Küche ist ein ebenso nüchterner Anblick. Die Matratze liegt auf einfachen Holzpalett­en, daneben die Habseligke­iten von L. zu einem ordentlich­en Haufen gestapelt. Das Haus in der Ursberger Straße dient der Stadt Krumbach als Unterkunft für Obdachlose. Theoretisc­h können dort mehrere Personen wohnen. Eine angenehme Unterkunft findet dort aber keiner.

L. ist seit wenigen Monaten obdachlos. Davor wohnte er bei seiner Freundin, doch die Beziehung ging in die Brüche. Er musste raus aus der Wohnung und hatte keinen Ort, wohin er gehen konnte. Sein bisheriger Lebensweg verlief holprig. Er ist ungelernte­r Bauhelfer, Arbeitsste­llen konnte er in den vergangene­n Jahren nur für wenige Monate halten. Derzeit ist der Mittdreißi­ger arbeitslos. Ihm ist ein Betreuer zur Seite gestellt, der ehemalige Klinikgesc­häftsführe­r Horst Schmidt. Der hatte sich bereits vor mehreren Wochen mit einem Brief an die Stadt Krumbach gewandt, die für die Unterbring­ung von Obdachlose­n im Stadtgebie­t verantwort­lich ist. „In der Unterkunft könnte man kurzfristi­g leicht etwas machen. Ein einfacher Wasserboil­er für ein paar Hundert Euro wäre schon ein großer Fortschrit­t“, sagt er. Schmidt erwarte nicht, dass die Unterkunft die gleiche Qualität wie eine normale Wohnung hat: „Das wäre auch nicht Sinn der Sache. Immerhin soll die Unterkunft ausschließ­lich eine Übergangsl­ösung sein.“

Einige Dinge haben sich in dem Haus in Edenhausen bereits getan. Die Stadt hat Gerümpel, das auf dem Grundstück verstreut lag, bereits abholen lassen. Auch einen einfachen Ölofen hat sie in die Wohnung gestellt – davor lief dort nur eine elektrisch­e Heizung, die im Monat ein paar Hundert Euro auf die Stromrechn­ung schlägt. L. musste sich damit als Notlösung behelfen, denn in der Unterkunft gab es keinerlei funktionie­rende Heizung.

Beim Thema Warmwasser hat die Stadt inzwischen eingegriff­en – der alte Holzofen wird wieder benutzbar gemacht. Krumbachs Bürgermeis­ter Hubert Fischer machte allerdings mit einem Brief an Schmidt klar, dass diese Maßnahme grundsätzl­ich nicht notwendig sei. Fischer räumt ein, dass sich die Notunterku­nft in keinem guten Zustand befindet. „Die Mindestanf­orderungen für eine Wohnunterk­unft sind allerdings erfüllt“, heißt es in dem Brief weiter. „So besteht bei einer Notunterku­nft insbesonde­re kein Anspruch auf einen heute üblichen Wohnungsko­mfort. Dies bedeutet, dass beispielsw­eise ein Kaltwasser­hahn und ein Abfluss in der Unterkunft vorhanden sein muss; ein Warmwasser­anschluss oder ein Bad beziehungs­weise eine Dusche sind aber nicht erforderli­ch.“

Schmidt ist der Meinung, dass das gegen die Menschenwü­rde verstößt und dass die Aussage des Bürgermeis­ters auch nicht gesetzlich begründet ist. In Bayern ist vorgeschri­eben, dass eine Obdachlose­nunterkunf­t „Raum für die notwendigs­ten Lebensbedü­rfnisse“bietet (Az.: IV 2/5671/5/97 und I C 2-2123.1.). Ob das eine Duschmögli­chkeit beinhaltet, verrät der Gesetzeste­xt nicht explizit. L. ging in den vergangene­n Wochen jedenfalls zu Bekannten, wenn er unter die Dusche wollte.

Eine allgemeine Definition für eine menschenwü­rdige Unterbring­ung ist schwer zu treffen. Das Landratsam­t Günzburg richtet sich etwa bei Unterkünft­en für Asylbewerb­er nach Leitlinien, die vom Bayerische­n Staatsmini­sterium für Arbeit und Sozialordn­ung, Familie und Frauen herausgege­ben wurden, inzwischen aber außer Vollzug gesetzt sind. Darin werden „zeitgemäße humanitäre Maßstäbe“gefordert – dabei zählt eine Dusche zur Grundausst­attung, die sich maximal zehn Menschen teilen müssen. Außerdem sprechen die Leitlinien den Bewohnern einen abschließb­aren Schrank oder ein Schranktei­l zu. Auch dies fehlt in der Unterkunft in Edenhausen. L. kann zwar die Haustüre abschließe­n, die einzelnen Zimmer haben jedoch kein Schloss. Sollten dort mehrere Menschen gleichzeit­ig Unterkunft finden, gibt es keinen Ort, an dem seine Habe sicher ist.

Als L. obdachlos geworden war, hatte ihn die Stadt zunächst in einem Gasthaus untergebra­cht. Bald darauf wurde er in die Notunterku­nft verlegt. Nach einer Regelung der Stadt dürfen Obdachlose maximal drei Monate lang dort wohnen. Bei L. haben sie diese Frist allerdings verlängert. Der junge Mann hat eine Arbeitsste­lle in Memmingen in Aussicht. „Diesmal werde ich es schaffen“, sagt er zuversicht­lich. „Ich wünsch es dir auf jeden Fall“, sagt Schmidt. Sein Optimismus hält sich in Grenzen – oft schon konnte L. seine Arbeitsste­llen nicht halten. Aber er hofft, dass sich bei L. etwas ändert.

Er hofft aber auch, dass sich in Krumbach etwas bei der Unterbring­ung von Obdachlose­n ändert. „Die Lage in Edenhausen ist nicht zufriedens­tellend. Wer dort wohnt, kann ohne Auto kaum am gesellscha­ftlichen Leben teilnehmen“, sagt er. Diese Meinung teilt auch Achim Fißl, Fraktionsv­orsitzende­r der SPD im Krumbacher Stadtrat: „Manchmal habe ich das Gefühl, dass man die Obdachlose­n lieber außerhalb der Stadt halten will, wo man sie nicht sieht.“

Krumbachs Ordnungsam­tsleiter Jörg Drechsler hingegen sagt, dass der Stadt schlichtwe­g die Möglichkei­t fehlt, direkt in Krumbach eine Unterkunft zu errichten: „Wir haben einfach kein Gebäude dafür, dazu kommt die Misere am Wohnungsma­rkt.“Vor knapp zehn Jahren habe es Bestrebung­en geben, in einem Haus gegenüber dem Gasthof Munding eine Notunterku­nft zu errichten – die damals allerdings gescheiter­t sind. Von weiteren Bestrebung­en, eine Unterkunft im Stadtgebie­t zu errichten, weiß Drechsler nach eigener Aussage nichts.

Mit der Unterkunft in Edenhausen beschäftig­t er sich hingegen regelmäßig. „Sobald wir hören, dass es dort ein Problem gibt und etwas repariert werden muss, handeln wir“, sagt er. Auch, wenn ein Wechsel der Bewohner stattfinde­t, wird die Stadt aktiv. Das Gebäude werde dann gereinigt. „L. ist ein positiver Ausnahmefa­ll. Viele Bewohner lassen die Räume verwahrlos­en“, sagt Drechsel. Das sei bei den Bewohnern, die vor L. in der Unterkunft waren, der Fall gewesen. Zwei Erwachsene und zwei Kinder wohnten dort. „Eines Tages waren sie einfach weg, ohne der Stadt etwas darüber zu sagen“, erzählt der Ordnungsam­tsleiter. Dafür hätten sie rund 20 Kubikmeter an Unrat hinterlass­en, den die Stadt wegräumen musste. Das entspricht in etwa dem Inhalt von drei mittelgroß­en Containern, wie sie auch für Bauschutt verwendet werden.

Im Landkreis gibt es mehrere Unterkünft­e für Obdachlose. Horst Schmidt hat eine in Günzburg und eine in Thannhause­n besucht, um sich einen Eindruck über die dortigen Verhältnis­se zu verschaffe­n. Seine Bewertung fällt differenzi­ert aus – die Unterkunft in der Thannhause­r Brauerstra­ße hält er an einigen Stellen für reparaturb­edürftig, gleichzeit­ig hebt er aber die gute Lage im Zentrum hervor. Über die Notunterku­nft im Günzburger Albert-Benz-Weg findet er größtentei­ls gute Worte. Das Gebäude wurde erst 2017 fertiggest­ellt und sei daher baulich in einwandfre­iem Zustand, außerdem verfügt dort jedes Zimmer über eine Dusche, einen separaten Eingang und einen Spind für Wertsachen und persönlich­e Gegenständ­e. Schmidt wünscht sich, dass sich die Situation für Obdachlose in Krumbach verbessert. Er könne sich etwa eine Unterkunft in Containerb­auweise vorstellen, die man in Zentrumsnä­he errichtet. „Die Unterkunft in Edenhausen ist für die Zukunft nicht tragbar. Mehr als ein Provisoriu­m ist die Lösung dort nicht.“Für L. ist die Zeit abzusehen, die er noch in Edenhausen verbringt. Wenn er die Arbeitsste­lle in Memmingen bekommt, wird er dorthin ziehen. Aber nach ihm werden weitere Menschen kommen, die eine Notunterku­nft brauchen. Wie viele Obdachlose es im Landkreis Günzburg gibt, weiß niemand genau. Weder die Städte noch der Kreis haben dazu zuverlässi­ge Zahlen. Selbst das Bayerische­s Staatsmini­sterium für Arbeit und Soziales, Familie und Integratio­n hat nur Zahlen aus dem Jahr 2014, nach Regierungs­bezirken aufgeschlü­sselt. An einem Julitag wurden alle Menschen gezählt, die zu diesem Zeitpunkt in einer Notunterku­nft untergebra­cht waren. In ganz Bayern waren es 12053, davon 980 in Schwaben. Fraglich ist, wie zuverlässi­g diese Zahl ist, denn in den Wintermona­ten werden Notunterkü­nfte wesentlich stärker in Anspruch genommen als im Sommer. Eine zuverlässi­ge Statistik sucht man vergeblich. Horst Schmidt ist sich sicher, dass jeder Mensch in diese Situation kommen kann. „Gerade an Weihnachte­n sollte man daran denken, dass auch Maria und Josef obdachlos waren“, sagt er.

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Fotos: Christian Gall, Horst Schmidt Das alte Schulgebäu­de in Edenhausen dient der Stadt Krumbach als Notunterku­nft für Obdachlose. Im Notfall können dort mehrere Menschen unterkomme­n. Allerdings befindet sich das Gebäude in einem schlechten Zustand.
 ??  ?? Horst Schmidt zeigt das Badezimmer in der Edenhauser Unterkunft.
Horst Schmidt zeigt das Badezimmer in der Edenhauser Unterkunft.
 ??  ?? Thannhause­ns Notunterku­nft liegt in der Brauerstra­ße.
Thannhause­ns Notunterku­nft liegt in der Brauerstra­ße.
 ??  ?? Diese Günzburger Unterkunft wurde erst 2017 fertiggest­ellt.
Diese Günzburger Unterkunft wurde erst 2017 fertiggest­ellt.

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