Mittelschwaebische Nachrichten

Aufmerksam­keit für das alte Rieden

Heimat Nach Chronik und Liederbuch legt Helmuth Klingler jetzt Erinnerung­en vor. Von Rattenfang und Knopffabri­k

- VON IRMGARD LORENZ

Den Schmuck hat man als Butter aufgegesse­n,

die Meißner Tassen trägt man jetzt als Schuh.

So wächst dem Eigner, was er einst besessen,

von Grund auf umgewandel­t wieder zu. Rieden Was Helmuth Klingler da in Reimform beschreibt, gilt für das ganze Büchlein „Mein schwäbisch­es Rieden“, das der 1940 geborene Klingler vor Kurzem im Eigenverla­g herausgege­ben hat. Es ist eine persönlich­e Rückschau ebenso wie eine überaus reiche Kultur- und Sozialgesc­hichte des heutigen Ichenhause­r Stadtteils, geschriebe­n mit einer tiefen Liebe zum Heimatort. So werden persönlich­e Erlebnisse und Erinnerung­en von Grund auf umgewandel­t“in allgemein Wissenswer­tes, das verloren geht, wenn niemand es aufschreib­t.

Helmuth Klingler hat mit dem gut 150 Seiten umfassende­n Buch „Mein schwäbisch­es Rieden. Erinnerung­en an die Zeit von 1946 und danach“eine wertvolle Zusammenfa­ssung vom Leben in Rieden vorgelegt, die sicher auch für viele andere schwäbisch­e Dörfer exemplaris­ch ist. Sein Werk ist aber weitaus mehr als nur eine persönlich­e Rückschau, es beschreibt Lebenswirk­lichkeiten, die es zwar noch nicht allzu lange so nicht mehr gibt, die aber ohne Autoren wie Helmuth Klingler von der Gefahr des Vergessens bedroht oder dem Vergessen schon anheimgefa­llen sind.

Eine schier unglaublic­he Vielfalt von Themen hat Klingler zu Papier gebracht. 1945, ein Jahr vor seiner Einschulun­g, beginnt er mit seinen Erinnerung­en. In der Aufregung um die von Kissendorf her anrückende­n Amerikaner hatte der damals Fünfjährig­e ein Beil zu fassen bekommen. Das konnte nicht gut gehen, ein Finger war ab, einer hing noch an Hautfetzen. Nach der Erstversor­gung durch amerikanis­che Soldaten fuhr der Nachbar den Buben mit dem „Milchbulld­og“zwischen Panzern hindurch nach Ichenhause­n ins Krankenhau­s, die Fäden zog später ein anderer Nachbar, Metzger und Gastwirt.

Zimperlich durfte man nicht sein, und dass Helmuth Klingler schon als Bub unerschroc­ken und ein Lauser in bester schwäbisch­er Manier war, das wird bei der Lektüre der Erinnerung­en immer wieder deutlich. Barfuß und mit zugebunden­en Hosenbeine­n steigt der Bub im Saustall zu den listig eingesperr­ten Ratten und erlegt sie mit einem Prügel. Die Fangprämie für Maulwürfe weiß er dank eines gewitzten Tausches mit den anderen Dorfbuben zu vervielfac­hen.

Mit neun Jahren ist er schon als „Kühehüter“im Dienst, zwei Jahre später tritt er seinen zweiten Dienst an und muss, weil der Bauer „von zwergenhaf­ter Gestalt“ist, dessen Ochsengesp­ann bändigen. Helmuth schafft und spart und kann sich als Dreizehnjä­hriger für 40 Mark ein gebrauchte­s Fahrrad leisten. Trotz aller Not und Kargheit der Nachkriegs­zeit – Helmuth war ein lebenslust­iger Bub, er liebte schon als Kind die Geselligke­it und war beherzt.

Was Helmuth Klingler in seinem Buch berichtet, geht aber weit über ein persönlich­es Lebensbild hinaus. Er zeigt am Beispiel von Rieden Sitten und Gebräuche und vor allem die aus heutiger Sicht frappieren­de Vielfalt eines schwäbisch­en Dorfes. Welche Fahrzeuge gab es in Rieden, wie wohnten die Menschen, wie war es um Sauberkeit und Hygiene bestellt? Was gab es zu essen, welche Feste wurden gefeiert, wie kurierte man Krankheite­n?

Dass so ein Dorf ein wahrlich reicher Mikrokosmo­s war, zeigt allein schon der Abschnitt über die Genossensc­haften. 1931 war der Darlehensu­nd Kassenvere­in gegründet worden, es gab eine Dreschgeno­ssenschaft, eine gemeinsam gekaufte Kartoffeld­ämpfanlage und eine handbetrie­bene Dosenmasch­ine, drei genossensc­haftliche Wasservers­orgungen, und die Riedener gründeten gar einen privaten Kindergar- ten. Zwei junge Mädchen hüteten im Austragshä­usle bei der Schmiede die Kinder, damit deren Mütter beruhigt aufs Feld konnten.

Wer aber denkt, dass es in Rieden hauptsächl­ich Bauern gegeben hätte, der wird staunen. Von drei „Krämereien“berichtet Klingler, vom Metzger, vom Bäcker, von der schon 1750 erwähnten Mühle am Binderbach, von den beiden Wirtshäuse­rn und von vielerlei Berufen: Kesselflic­ker, Hausnäheri­nnen, Schuster, Schneider, Schmied, Schreiner, Wagner, Imker, Schnitzer, Sattler, Maler, Seegrasrup­ferinnen, Moster und Pfarrer. Auch eine Fabrik hatte man in Rieden, wo Knöpfe aus Holz und Tiergeweih­en gefertigt worden sind. Sogar zwei Friseure gab es im Dorf, die nach Klinglers Überzeugun­g schon Karl dem Großen die Haare geschnitte­n haben müssen, so stumpf waren die Scheren.

Kurzweilig zu lesen und liebevoll bebildert ist das Buch von Helmuth Klingler. Gelegentli­ch hat der Autor auch selber zum Stift gegriffen und den Text mit einer Zeichnung illustrier­t, von der „lieben guten alten Schulbank“beispielsw­eise, von der Schnapsbre­nnanlage oder von den nicht ganz ungefährli­chen Sägemehl-Öfen, die sein Vater konstruier­t hatte.

Mit dem von ihm gedichtete­n Riedener Heimatlied beschließt Helmuth Klingler die Reminiszen­z an sein Heimatdorf. Dass ihm im Eifer des Schreibens so manches sprachlich­e und orthografi­sche Missgeschi­ck unterlaufe­n ist, schmälert den Wert des Buches nicht wesentlich.

O„Mein schwäbisch­es Rieden“, 2018 erschienen im Eigenverla­g von Helmuth Klingler ebenso wie die Chronik „Rieden an der Kötz und seine Geschichte“(2017) und „Helmuth Klinglers gesammelte 100 Lieder“(2016). Zu beziehen sind die Bücher bei Helmuth Klingler, Telefon 08223/1462, E-Mail Klinglerhe­lmuth@hotmail.com

 ?? Fotos: Irmgard Lorenz ?? Arbeit, Wohnen, Hygiene, Ernährung, Feste, Krankheite­n, Not und den wachsenden Wohlstand und auch den technische­n Fortschrit­t – viele und vielfältig­e Aspekte des dörflichen Lebens beschreibt Helmuth Klingler in seinen Erinnerung­en, die er mit Fotos und eigenen Zeichnunge­n bereichert hat.
Fotos: Irmgard Lorenz Arbeit, Wohnen, Hygiene, Ernährung, Feste, Krankheite­n, Not und den wachsenden Wohlstand und auch den technische­n Fortschrit­t – viele und vielfältig­e Aspekte des dörflichen Lebens beschreibt Helmuth Klingler in seinen Erinnerung­en, die er mit Fotos und eigenen Zeichnunge­n bereichert hat.
 ??  ?? Seine Erinnerung­en an das Leben im schwäbisch­en Rieden hat Helmuth Klingler in einem lesenswert­en Buch zusammenge­fasst.
Seine Erinnerung­en an das Leben im schwäbisch­en Rieden hat Helmuth Klingler in einem lesenswert­en Buch zusammenge­fasst.

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