Mittelschwaebische Nachrichten

So kommt der Notruf auch zu Silvester richtig an

Alarmierun­g Die Leitstelle in Krumbach schickt Feuerwehr und Rettungsdi­enst zu ihren Einsätzen. Zum Jahreswech­sel sind mehr Mitarbeite­r im Dienst als in anderen Nächten. Die Disponente­n geben Tipps, was im Notfall wichtig ist

- VON CHRISTIAN KIRSTGES

Krumbach/Landkreis Wer hier anruft, weiß direkt, wo er ist: Die Disponente­n der Integriert­en Leitstelle für die Rettungsdi­enst- und Feuerwehra­larmierung Donau-Iller in Krumbach melden sich ohne Umschweife kurz und knapp, aber freundlich. Es kommt schließlic­h im Notfall mitunter auf jede Sekunde an – ein „Grüß Gott“zur Begrüßung gehört aber dazu. Wer zum ersten Mal die 112 wählt, hat vielleicht eine gewisse Scheu davor, die Situation ist meist ohnehin aufwühlend genug. Doch die Disponente­n sind geschult, alle für sie wichtigen Informatio­nen abzufragen, sie führen durch das Gespräch. Auch wenn viele Einsätze auf einmal abzuarbeit­en sind, müssen sie ruhig bleiben, so geben sie dem Anrufer auch zumindest ein Stück Ruhe weiter. Für die Silvestern­acht ist die Zahl der Kollegen, die in einem Großraum in der Leitstelle arbeiten, extra aufgestock­t worden. Normalerwe­ise sind in der Nacht drei der Tische besetzt, zum Jahreswech­sel sind es fünf.

Wie das Einsatzauf­kommen ist, lässt sich vorher nicht sagen. Und auch nicht, ob es über die Jahre zugelegt hat. Jedes Silvester ist anders. Das hat auch mit der Witterung zu tun: Ist es kalt und nass, halten sich die Leute beispielsw­eise eher kurz auf der Straße auf, die Böllerei hält sich mehr in Grenzen als in vergleichs­weise milden und trockenen Nächten. In jedem Fall ist es ein besonderer Dienst, kein alltäglich­er, weiß Jens Hagstotz. Im Rettungsdi­enst arbeitet er seit 1988, in der Leitstelle seit 1997. Wenn es das Einsatzauf­kommen zulässt, kocht man vor dem eigentlich­en Dienstbegi­nn füreinande­r und isst dann zusammen. Und wenn es geht, steht man um 0 Uhr bei Kindersekt und Limonade zusammen, um sich ein gutes neues Jahr zu wünschen.

Die Schicht beginnt zwischen 18 und 19 Uhr, bis Mitternach­t ist es in der Regel relativ ruhig an einem Silvestera­bend, sagt der 52-jährige Schichtfüh­rer. Wenn der Jahreswech­sel im wahrsten Sinne eingeläute­t wird, kann sich das schlagarti­g ändern. Dann kann es auch gut sein, dass die Anrufe toujours die ganze Nacht durchgehen. Es ist aber auch möglich, dass Brände erst etwas zeitverzög­ert gemeldet werden. Denn wenn irgendwo eine Silvesterr­akete oder ein Feuerwerks­körper einschlägt, glimmt es erst einmal, bevor sich etwas entzündet. Grundsätzl­ich sei eine Inversions­wetterlage, bei der die oberen Luftschich­ten wärmer als die unteren sind, gefähr- licher, als wenn es feucht ist, sagt Leitstelle­n-Chef Reiner Wolf. Meist machen es ohnehin nicht die großen Einsätze aus, sondern die Vielzahl.

Er und seine Kollegen erinnern sich noch gut an eine Silvestern­acht, die alles andere als ruhig war, auch wenn das nichts mit Feuerwerk und Böllern zu tun hatte. Vor zwei Jahren war das, als bei Bad Grönenbach im Unterallgä­u sechs Menschen bei einer Massenkara­mbolage im dichten Nebel auf der A 7 starben. Auch wenn sie räumlich gesehen recht weit entfernt sitzen, gehen ihnen solche Unglücke natürlich nahe – auch wenn man versuche, Einsätze nicht mit nach Hause zu nehmen, „sonst erträgt man die Arbeit hier nicht“, sagt Jens Hagstotz. Solche schweren Fälle werden im Team nachbespro­chen und auch das Vorgehen wird später analysiert. Dabei geht es um die Frage, ob es noch Verbesseru­ngspotenzi­al bei den Abläufen gibt. Für solche Unglücke gibt es in der Leitstelle ein dreistufig­es Verstärkun­gskonzept, bei dem die Rufbereits­chaft, das dienstfrei­e Personal und nebenberuf­liche Mitarbeite­r nachalarmi­ert werden können. Damals seien sogar mehr Kollegen (15) da gewesen, als es Arbeitsplä­tze gibt (13).

Insgesamt merken die Disponente­n, dass sich das Anspruchsd­enken der Bürger geändert hat. Sachbearbe­iter Gerhard Steiger formuliert es etwas überspitzt: „Wer sich früher in den Finger geschnitte­n hat, der ist in die Ambulanz gegangen. Heute wird der Rettungsdi­enst gerufen.“Das sei ein generelles Phänomen. Es komme auch häufiger vor, dass das Personal draußen Unterstütz­ung der Polizei brauche, wobei sich das auf dem Land noch in Grenzen halte, ebenso die Zahl der Anrufer, die beleidigen­d werden. „Man muss sich viel anhören am Telefon, aber man steckt es dann auch wieder weg“, sagt Hagstotz. Und Wolf ergänzt, dass ein Notfall schließlic­h für jeden eine Ausnahmesi­tuation sei. Die Disponente­n gehen auf den Anrufer ein, so gut es geht – und leiten mitunter jemanden bei einer Reanimatio­n an. Eingestell­t wird für diese Arbeit nur, wer Erfahrung „auf der Straße“hat und weiß, wie es dort zugeht, wie sich die Menschen und deren Angehörige in solchen Lagen fühlen. Wer hier arbeiten will, muss mindestens ausgebilde­ter Rettungssa­nitäter und Gruppenfüh­rer bei einer freiwillig­en Feuerwehr beziehungs­weise Hauptbrand­meister bei einer Berufswehr sein. Bis jemand einsatzfäh­ig für den Leitstelle­ndienst ist, dauert es in der Regel anderthalb Jahre, hinzu kommen 24 Wochen bei Lehrgängen. An Interessen­ten für diese Arbeit gebe es jedenfalls keinen Mangel und inzwischen seien auch zuvor vakante Stellen wieder besetzt, sagt Wolf. Es gebe sogar Bestrebung­en, den Disponente­n zum eigenen Berufsbild zu machen, dafür gebe es bereits Arbeitsgru­ppen im Ministeriu­m. Und er stellt gerade ohnehin eine Begeisteru­ng bei den Menschen für die „Blaulichtb­erufe“fest, vielleicht hänge das mit den entspreche­nden Fernsehser­ien zusammen.

Am wichtigste­n ist natürlich, dass in einem Notfall überhaupt jemand den Notruf wählt. Aber die Leitstelle­n-Mitarbeite­r haben auch einige Tipps, mit denen solche Lagen für alle Seiten am besten gemeistert werden können. Auch wenn die Disponente­n durchs Gespräch führen – „keiner braucht Angst vor dem Anruf zu haben“, sagt Wolf –, die bekannten fünf Ws sind immer gut, also beispielsw­eise, was und wo es passiert ist. Wichtig ist, auf die Fragen zu hören und die entspreche­nde Antwort zu geben. Der Leitstelle­nmitarbeit­er beendet das Gespräch, das sollte niemand selbst tun, denn es könnten ja noch Informatio­nen fehlen. Aber in der Regel können die Disponente­n auch zurückrufe­n, da die Telefonnum­mern der Anrufer angezeigt werden. Nur in wenigen Fällen könne es vorkommen, dass das nicht passiert, etwa wenn der Nutzer eines bestimmten Handynetze­s auf ein anderes geschaltet wird. Es gibt zwar die Möglichkei­t, ein Handy zu orten, was aber ebenfalls in Ausnahmefä­llen einen größeren Aufwand bedeuten kann – und im Gegensatz zum Film sei eine genaue Ortsbestim­mung nicht auf den Meter genau möglich.

Apropos Film: Die Leitstelle­nMitarbeit­er beobachten mit Sorge, dass dort häufig gezeigt wird, dass jemand beispielsw­eise in ein brennendes Haus rennt, um die Bewohner zu retten. Davon raten sie strikt ab, die Gefahr für das eigene Leben sei schlicht zu groß. „Wir sagen dem Anrufer dann schon, was er noch tun kann“, betont Hagstotz. Den Rettungskr­äften wäre auch schon geholfen, wenn an allen Häusern (beleuchtet­e) Hausnummer­n angebracht wären und sie jemand einweist. Auch in der Nacht die Lichter im und am Haus einzuschal­ten, ist eine Hilfe. „Denn um 2 oder 3 Uhr ist es sonst überall dunkel.“Für Gehörlose gibt es übrigens spezielle Fax-Formulare und Apps – wobei Letztere oft noch Fehler haben, wie Gerhard Steiger sagt. Auch wenn sie nach bestimmten Vorgaben vorgehen, gehen er, Hagstotz und Wolf jedenfalls nicht davon aus, dass ihnen der Computer einmal die Arbeit wegnehmen wird. Denn im Notfall mit einem Menschen zu sprechen, der auch noch Fragen stellen kann, sei sicher auch in Zukunft das Beste.

Das neue Jahr mit Kindersekt und Limonade begrüßen

 ?? Foto: Christian Kirstges ?? Jens Hagstotz ist Schichtfüh­rer in der Integriert­en Leitstelle Donau-Iller in Krumbach. An ihren Arbeitsplä­tzen haben die Disponente­n alles im Blick.
Foto: Christian Kirstges Jens Hagstotz ist Schichtfüh­rer in der Integriert­en Leitstelle Donau-Iller in Krumbach. An ihren Arbeitsplä­tzen haben die Disponente­n alles im Blick.

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