Mittelschwaebische Nachrichten
Dünnes Kriegsbier anstatt Schampus
Vor 100 Jahren ging der Erste Weltkrieg zu Ende. Trotzdem wurden Weihnachten und Neujahr begangen – nicht gefeiert. Es gab einfach nichts
Krumbach „Draußen an der Front rast der Krieg in unerhörter, unverminderter Wucht seinen bluttriefenden Weg weiter und daheim stellt das Leben ebenso bittere Proben an die Nerven wie an den Magen jedes einzelnen.“So war es im Krumbacher Boten wenige Monate vor dem Ende des Ersten Weltkriegs zu lesen. Am 11. November 1918 war es dann so weit. Die Schlagzeile lautete: „Die Deutsche Regierung hat die Waffenstillstandsbedingungen angenommen.“Damit verbunden war die Abdankung von Kaiser Wilhelm II., der Thronverzicht des Kronprinzen, die Absetzung der Könige von Bayern, Württemberg und Sachsen und letztlich die Bitte an die bisherigen Feinde um Milderung der Waffenstillstandsbedingungen.
Wie das Kriegsende in der Heimat aufgenommen wurde, ist noch am gleichen Tag zu lesen: „Ohne Zweifel, die Bedingungen sind hart, sehr hart; aber wenn wir sie annehmen, werden wir sie annehmen müssen. Der Krieg muß zu Ende gehen. Der deutsche Soldat und das deutsche Volk hat sein Äußerstes hergegeben. Und unsere Feinde, werden sie jubilieren? Wir glauben, nein. Wenn sie auch deutschen Boden betreten, mögen sie noch so ungerechte Forderungen stellen, es kann die Zeit kommen, wo sie sich schämen werden, einem Heldenvolke, wie dem deutschen, dies anzutun, gewagt zu haben.“
So lautete die offizielle Version. Was die Lage in der Heimat betrifft und damit im schwäbischen Raum, so wird berichtet: „Die Ernährungslage ist nicht so glänzend wie schein- bar angenommen. Die Viehbestände sind erschöpft, wir können lediglich mit rascher Schweineaufzucht nachhelfen, aber da dürfen im Interesse der Volksernährung die Kartoffeln nicht verfüttert werden.“Da nützt es nur wenig, wenn die Reichsbekleidungsstelle mitteilt, dass trotz über vierjähriger Blockade die vorhandenen Textilrohstoffe als „ausreichend“erachtet werden. Der Grund: „Durch das Freiwerden der bisher für den militärischen Bedarf benötigten Mengen wird es möglich sein, den Massenbedarf der Bevölkerung an Kleidungsstücken zu decken.“
Bemerkenswert sind auch die Worte, die Krumbachs Bürgermeister Josef Einsle (er trat zwei Wochen später zurück) an die „heimkehrenden Brüder aus dem Felde“richtet: „Nahegerückt ist die Stunde, da die Söhne des Vaterlandes nach dem Ende des furchtbaren Weltkriegs sich anschicken, in die Heimat zurückzukehren, die sie über vier Jahre hindurch gegen die wütenden Anstürme einer Welt von Feinden mit ihrem Herzblut verteidigt haben. Was ihr für uns vollbracht habt, wird für immer in unseren Herzen fortleben. Jahrhunderte mögen vergehen, ewig wird das Gedächtnis an eure unerreichten Heldentaten fortleben. Als Sieger kehrt ihr heim, aufrecht und ungebrochen. Euch danken wir es, dass keines Feindes Fuß dieses Tal des Friedens betreten hat. Ihr habt eine heilige Anwartschaft auf den höchsten Dank der Nation erworben. Wir wissen es, wir werden es euch für immer gedenken.“Eine aktuelle Anmerkung des Autors sei erlaubt: Wer die Bürgerbeteiligung bei der jährlichen Gedenkfeier am Volkstrauertag als Beispiel hernimmt, wird rasch erkennen, dass sich zwischenzeitlich ein bedauernswerter Gedankenwandel vollzogen hat.
Zurück zum Dezember 1918: Die wirtschaftliche Situation Deutschlands wurde in Berlin als „unübersehbar“bezeichnet und das spürte auch die heimische Bevölkerung. Im Gespräch waren die Einführung einer Kriegsgewinnsteuer, der Ausbau der Besitz- und Vermögensabgabe und die Erhöhung der Tabakund Zuckersteuer, um nur einige Vorhaben zu nennen. Das Krumbacher Bezirksamt ordnete den Druck von Notgeldscheinen über 20, 10 und 5 Mark an, um den Mangel an Bargeld zu beheben.
Nicht nur das Geld war knapp. Es gab dafür auch nichts zum Kaufen und für manchen ging es schlicht ums Überleben. Selbst Weihnachten und der Neujahrsbeginn waren kein Anlass zum Feiern. Nichts war es mit festlichem Essen oder „Schampus“zu Silvester. Wen wundert‘s, dass höchstens „dünnes Kriegsbier“oder „mit Kleie angereichertes und mit Kartoffeln gestrecktes Brot“auf den Tisch kamen. Und doch gab es erste Verbesserungen, wie eine Bekanntmachung beweist: „Auf den Kopf und Monat des Versorgungsberechtigten werden ab sofort 1850 Gramm Kochmehl abgegeben. Die Tageskopfmenge beträgt für Schwerarbeiter 295 und für Schwerstarbeiter 370 Gramm und wird kurz vor Weihnachten um 30 Gramm erhöht, jedoch nur nach Vorzeigen des Brotmarkenhefts A.“
Ausgenutzt wurde die Not schon bald von „Schiebern, Schleichhändlern und Wucherern“, die mit „bisher versteckten Lebensmitteln“auftauchten und einen lebhaften Schwarzmarkt betrieben. Deutlich machte dies ein Aufruf an alle Landwirte und Geschäftsleute von Bezirksamtmann Riedl: „Ich fordere sie auf, selbst dem Hamsterunwesen und dem verabscheuungswürdigen Schleichhandel zu Leibe zu rücken und alle entbehrlichen Erzeugnisse auf dem vorgeschriebenen Weg der Allgemeinheit nutzbar zu machen.“Andere Bekanntmachungen verdeutlichen die damalige Situation: So wurde der Bevölkerung geraten, kaputte Schuhsohlen wegen des fehlenden Leders mit Sperrholz zu erneuern, Torffasern und Ginsterzweige als Ersatz für Spinnmaterial zu sammeln oder dem Rat des Überlandwerks Krumbach zu folgen, an „Lampen mit mehreren Birnen nicht mehr als die Hälfte von diesen anzuzünden“.
Nur langsam verbesserten sich die wirtschaftlichen Verhältnisse. Es ging zu Beginn des Jahres 1919 in erster Linie um die Sicherung der Ernährungs- und Versorgungslage sowie Probleme auf dem Wohnungsmarkt, waren doch von der Stadt Vorkehrungen zur möglichen Einquartierung von Soldaten zu treffen.
Vereinzelt kehrten auch die ersten deutschen Soldaten oftmals nach wochenlangen Märschen in die Heimat zurück. Allein Krumbach verzeichnete am Ende des Krieges den Tod von 117 Kriegern und sechs Vermissten, die später für tot erklärt werden mussten. Erst am 22. Dezember 1919 veranlasste Bürgermeister Max Herz eine kleine Willkommensfeier auf dem Marktplatz für die aus der Gefangenschaft heimgekehrten 17 Krieger.