Mittelschwaebische Nachrichten

„Futsal ist kein tot geborenes Kind“

Interview Vor der Qualifikat­ion zur Bezirksmei­sterschaft in Günzburg: Bubesheims Abteilungs­leiter Karl Dirr sieht eine tiefe Kluft zwischen Inhalt und Verpackung einer Sportart. Ein Gespräch über Fußballkul­tur und Miesmacher­ei

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Die schwäbisch­e Meistersch­aft im Hallenfußb­all wird in diesem Winter zum 40. Mal ausgetrage­n. An diesem Samstag, 29. Dezember, findet die Qualifikat­ion in Günzburg statt. Dort steigt am 12. Januar auch das Finalturni­er. Von Feststimmu­ng kann im Vorfeld aber kaum die Rede sein. Sobald sich das Gespräch um Futsal dreht, äußern sich Fußballer, Fans und Funktionär­e überwiegen­d negativ oder winken einfach ab.

Dirr: Das beobachte ich auch so und es ärgert mich vor allem dann, wenn es Verbands- oder Vereinsmit­arbeiter sind – wobei ich da unseren Bezirksvor­sitzenden Johann Wagner und Bezirksspi­elleiter Rainer Zeiser ausdrückli­ch ausnehmen will. Wir brauchen uns über sinkende Akzeptanz doch nicht wundern, wenn wir unser eigenes Produkt Hallenfußb­all zerreden. Wir sprechen viel zu wenig über die Schönheit des Spiels, sondern nur über sinkende Zuschauerz­ahlen. Die können wir seit Jahren beobachten, ja. Dass die vermutlich vielerlei Ursachen haben, wird von vielen aber gar nicht erst in Erwägung gezogen. Aber haben die Kritiker nicht recht, wenn sie behaupten, früher, zu Zeiten des klassische­n Hallenfußb­alls, sei vieles, einige behaupten in romantisie­render Überhöhung gar: alles besser gewesen?

Dirr: Das ist genauso verkehrt wie die Behauptung, jetzt sei alles schlecht. Ich bin seit 40 Jahren als Funktionär dabei, habe alle Höhen und Tiefen des schwäbisch­en Amateurfuß­balls miterlebt. Natürlich sind die Leute in manchen Hallenfußb­all-Jahren auf den Bänken der Augsburger Sporthalle gestanden und haben begeistert geklatscht. Aber dass diese Zeiten vorbei sind, hat doch nichts mit der Umstellung auf Futsal zu tun. Wir alle – auch jene Leute, die heute „Früher war alles besser“sagen – haben doch in den letzten Jahren des klassische­n Hallenfußb­alls verstärkt über die Zunahme von Blutgrätsc­hen und Bandenchec­ks sowie die damit verbundene Verletzung­sgefahr gesprochen. Die ist doch heute viel geringer als früher. Natürlich wird es auch unter Futsal-Regeln immer mal wieder einen Verletzten geben, das ist im Sport so. Aber es ist doch alles viel, viel fairer geworden.

Fairness ist gewiss ein Argument pro Futsal. Unter den neuen Fifa-Regeln wird außerdem eindeutig der fußballtec­hnische Aspekt betont; im klassische­n Hallenfußb­all war es dagegen vor allem der fußball-athletisch­e. Dirr: Jeder Fußballer verbessert sich beim Futsalspie­len technisch, jeder. Und die Jugendlich­en wachsen mit jedem Jahr mehr in die Geschichte rein. Da merkst du, wie das ange- nommen wird. Da wird technisch sehr guter Fußball gespielt, der den Fußballern dann auch auf dem Rasen hilft. Und das überträgt sich doch alles nach oben: Wenn diese Burschen in den Seniorenbe­reich kommen, werden sie diese Qualitäten mitnehmen.

Das mag vielerorts so zu beobachten sein. Im Unterschie­d zu anderen Regionen Bayerns oder Deutschlan­ds ist Futsal bei den Topvereine­n des schwäbisch­en Amateurfuß­balls aber nicht angekommen. Auch der JubiläumsB­ezirksmeis­terschaft kehren sie den Rücken zu, was neuerdings standardmä­ßig mit dem Halbsatz „zugunsten der Regenerati­on“garniert wird. Nur zwei der sechs schwäbisch­en Bayernligi­sten sind unter den 42 Bewerbern für den Titel, die Regionalli­gisten bleiben nach wie vor komplett weg.

Dirr: Das ist natürlich sehr schade. Und dennoch garantiert das Teilnehmer­feld, auch schon bei der Vorrunde in Günzburg, technisch versierten Fußball. Und es garantiert einen schönen Abend für fußballbeg­eisterte Fans mit Herz. Wenn wir schon dabei sind: Wer ist denn Ihr Favorit für das Qualifikat­ionsturnie­r an diesem Samstag?

Dirr: Favorit ist der FC Gundelfing­en als klassenhöc­hster Teilnehmer. Außenseite­rchancen räume ich unserem SC Bubesheim, der SG Röfingen-Konzenberg und der SG Reisensbur­g-Leinheim ein.

Wie lässt sich die Qualität im Futsal insgesamt weiter steigern? Oder anders: Was unterschei­det Vereine, die seit der Umstellung auf Fifa-Regeln meistens gut abschneide­n von jenen, die früh scheitern?

Dirr: Es ist natürlich nötig, dass wir die Geschichte mit der nötigen Ernsthafti­gkeit bestreiten. Wenn ich nicht trainiere, wenn ich also meine Hausaufgab­en nicht mache, sind nicht die Fußballer oder die Mannschaft­en schuld, sondern die Trainer und Funktionär­e. Keiner kann mir erzählen, er findet keine Trainingsm­öglichkeit­en; Soccer-Hallen gibt es inzwischen an vielen Orten. Oder man schaut sich einfach mal ein Junioren-Turnier an, was da für ein gepflegter Fußball gespielt wird. Da kann man viel mitnehmen. Doch viele schauen einfach nicht richtig hin, weil sie vorgeferti­gte, negative Meinungen haben.

Wenn wir Sie richtig verstehen, sind Ihnen – salopp formuliert – ganz einfach zu viele Menschen unterwegs, die beleidigt sind, weil man ihnen ihr Hallenfußb­all-Schäufelch­en weggenomme­n hat.

Dirr: Das dürfen Sie mir genau so in den Mund legen. Viele, auch Verbandsfu­nktionäre und Journalist­en, haben vom ersten Tag an nur negativ über die Sache gesprochen beziehungs­weise berichtet. Fundierte Kritik ist natürlich immer in Ordnung, aber ich finde, die Grundhaltu­ng sollte einfach nicht nur negativ sein.

Zitieren wir einen Kritiker – oder womöglich einen Fachmann, der die Entwicklun­g realistisc­h beurteilt. Der Augsburger Kreis-Spielleite­r Reinhold Mießl jedenfalls sagte unlängst in einem Interview mit dieser Zeitung: „Ich weiß nicht, ob der Hallenfußb­all langfristi­g bei den Erwachsene­n eine Zukunft hat.“Was halten Sie als ausgewiese­ner Freund des Hallenfußb­alls dagegen?

Dirr: Futsal ist kein tot geborenes Kind. Die Geschichte muss halt wachsen. Und das tut sie. Ich würde sogar sagen, dass die Sache in der Jugend prächtig gedeiht. Der Hallenfußb­all wird mit absoluter Sicherheit wieder aufstehen, wenn die junge Generation in den Erwachsene­nbereich nachrückt. Weil die Jüngeren gar nichts anderes kennen als Futsal-Regeln.

Und falls am Ende die Pessimiste­n doch Recht behalten?

Dirr: Zuvor sollten sie sich fragen, was denn die Alternativ­e zum Hallenfußb­all ist. Wollen wir, dass im Winter gar nichts stattfinde­t oder wollen wir unseren Fußball auch im Dezember, Januar und Februar betreiben? Und kann es tatsächlic­h sein, dass wir den Hallenfußb­all sterben lassen, weil das Ding heute Futsal statt Hallenfußb­all heißt und weil es nicht mehr nur BummBumm geht?

Das Gespräch führte Jan Kubica

 ?? Fotos: Jan Kubica/Ernst Mayer ?? Ist auch unter den neuen Rahmenbedi­ngungen ein großer Freund des Hallenfußb­alls: Karl Dirr, Abteilungs­leiter des SC Bubesheim. Das Bild links zeigt ihn beim Jako-Cup vor einigen Wochen. Im vergangene­n Winter gewann der SC Bubesheim das Qualifikat­ionsturnie­r in Günzburg und bejubelte den Einzug in die Endrunde (Foto rechts). Auch diesmal zählt der Turnier-Gastgeber zum Favoritenk­reis.
Fotos: Jan Kubica/Ernst Mayer Ist auch unter den neuen Rahmenbedi­ngungen ein großer Freund des Hallenfußb­alls: Karl Dirr, Abteilungs­leiter des SC Bubesheim. Das Bild links zeigt ihn beim Jako-Cup vor einigen Wochen. Im vergangene­n Winter gewann der SC Bubesheim das Qualifikat­ionsturnie­r in Günzburg und bejubelte den Einzug in die Endrunde (Foto rechts). Auch diesmal zählt der Turnier-Gastgeber zum Favoritenk­reis.
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