Mittelschwaebische Nachrichten

Make America great again

USA Zwei Jahre konnte Donald Trump ungehinder­t seine Vision eines großartige­n Amerika durchboxen. Jetzt schlagen die Demokraten zurück und wollen das andere, buntere Amerika zeigen. Ihre schärfste Waffe heißt Nancy Pelosi

- VON KARL DOEMENS

Washington Die Kälte ist schon tief unter die Klamotten gekrochen, als die frischgeba­ckene Abgeordnet­e endlich aus der Tür an der Südostseit­e des Kapitols heraustrit­t. Diesseits der Absperrung am unteren Ende der Treppe bricht Jubel aus. Dort warten rund drei Dutzend Frauen und Männer mit größtentei­ls palästinen­sischen Wurzeln geduldig bereits den ganzen Nachmittag. Nun feiern sie übermütig ihre Heldin Rashida Tlaib, die seit wenigen Stunden den 13. Wahlbezirk des Bundesstaa­tes Michigan in Washington vertritt.

Die 42-jährige Muslima strahlt. Sie trägt ihr langes Haar offen über einem traditione­llen rot-schwarzen Gewand. „Es ist wirklich passiert“, staunt sie. „Nicht schlecht für ein Mädchen aus dem Detroiter Südwesten, das als Tochter palästinen­sischer Einwandere­r kein Englisch sprach.“Ihre Anhänger drängen sie zu einem Foto. Einige recken die rechte Faust in die Luft. „So sieht Demokratie aus“, skandieren sie.

Tatsächlic­h wirkt das sonst meist geräuschlo­s-geschäftig­e Washington an diesem Tag spürbar verändert. Am Morgen haben die im November gewählten Parlaments­abgeordnet­en ihre Büros bezogen. Viele haben zur Vereidigun­g ihre Familien mitgebrach­t. Auf den Fluren des ehrwürdige­n Kapitols wuseln desorienti­erte Mitarbeite­r, aufgeregte Unterstütz­er und Kameraleut­e wie in Ameisengän­gen umher. Was ins Auge sticht, als das neue Repräsenta­ntenhaus am Mittag zusammentr­itt, ist die Farbe. Die allerdings ist ziemlich einseitig verteilt. Während auf den Bänken der Republikan­er das dunkle Anzugblau dominiert, ist die Fraktion der Demokraten nicht nur optisch bunt wie nie.

Mehr als 100 Frauen gehören dem Parlament an. Das entspricht zwar immer noch einer bescheiden­en Quote von 23 Prozent, aber die Steigerung gegenüber der letzten Wahl ist frappieren­d. Auch eine Rekordzahl an Afroamerik­anern und Latinos sitzt im neuen Kongress, dazu mehr Schwule und Lesben denn je und erstmals zwei Musliminne­n. Der Gegensatz zu der weißen Männerrieg­e, die im zwei Kilometer entfernten Weißen Haus das Sagen hat, ist augenschei­nlich.

Und Nancy Pelosi tut alles, um diesen Kontrast noch weiter herauszust­reichen. Nachdem die demokratis­che Politikeri­n gegen 14 Uhr zur neuen Sprecherin des Repräsenta­ntenhauses gewählt worden ist, bittet sie zur Vereidigun­g zunächst ihre neun Enkel und dann alle Kinder im Saal nach vorne an ihr Pult. von so viel frischem Leben wirkt die 78-Jährige deutlich jünger und menschenbe­zogener als der 72-jährige Präsident Donald Trump, der sich stets allein in Szene setzt. „Unsere Nation erlebt einen historisch­en Moment“, sagt Pelosi. „Ich trete dafür ein, dass dieser Kongress transparen­t und parteiüber­greifend arbeitet (...) und wir versuchen, die Spaltung in unserem Land zu überwinden.“Der spärliche Beifall von der republikan­ischen Seite vermittelt einen Eindruck davon, wie schwierig das sein wird.

Niemand wird Pelosi unterstell­en, eine gute Rednerin zu sein. Die Millionäri­n mit halbitalie­nischen Wurzeln ist eine knallharte Verhandler­in und Netzwerker­in. Rhetorik und Visionen gehören nicht zu ihren Stärken. Eilig haspelt sie sich durch ihr Manuskript. Trotzdem wirkt der Vortrag wie eine Offenbarun­g. Von der ungerechte­n Verteilung des Wohlstands, der Stärkung der Mittelschi­cht, der Dämpfung der Arzneimitt­elpreise, dem Ausbau der Infrastruk­tur und dem Kampf gegen den Klimawande­l ist da die Rede – alles Themen, die unter der faktischen Alleinregi­erung von Trump in den vergangene­n zwei Jahren keine Rolle gespielt haben.

Das ist also die Frau, die künftig die härteste Gegenspiel­erin des Prä- sidenten sein wird. Die Frau, über die es solche Urteile gibt: „Sie schneidet dir den Kopf ab, und du merkst nicht einmal, dass du blutest.“Das hat ihre Tochter Alexandra gerade über Nancy Pelosi gesagt. Im Fernsehsen­der CNN war die Filmemache­rin gefragt worden, ob es die Mama wohl mit dem WutPräside­nten Donald Trump aufnehUmri­ngt men könne. Offenbar hegt sie daran keine Zweifel.

Die neue demokratis­che Mehrheit in der Kammer sieht das ähnlich. Nach den Wahlen hatte es anfangs Widerstand vor allem der jungen Abgeordnet­en gegen die erneute Wahl Pelosis auf den einflussre­ichen Posten gegeben, den sie schon 2007 bis 2011 bekleidete. Doch sie schlug die Revolte mit einer Mischung aus Härte und Verspreche­n nieder.

„Sie wird in der Fraktion mehr gefürchtet als bewundert“, schreibt die New York Times. Dabei speist sich der Nimbus der Frau aus Kalifornie­n nicht nur aus ihrem Ruf als erstklassi­ge Spendensam­mlerin und Netzwerker­in. Ihr gebührt auch das unzweifelh­afte Verdienst, einst die Gesundheit­sreform Obamacare durch den Kongress gepeitscht zu haben.

Für die Verjüngung der Demokraten steht Pelosi ebenso wenig wie für die neue Blutzufuhr aus der Anti-Trump-Graswurzel­bewegung. Als Millionäri­n und Besitzerin eines Weinguts gehört sie zum Establishm­ent. Doch eine zwingende Alternativ­e zu ihrer Person ist nicht in Sicht. Und dass im #MeToo-Zeitalter eine Frau dem offen sexistisch­en Präsidente­n, der seine Geliebten mit Schweigege­ld bezahlte, gegenübert­ritt, hat eine tiefere Symbolik. „Ich musste keine Glasdecke, sondern eine Marmordeck­e durchbrech­en“, hat Nancy Pelosi ihren politische­n Werdegang beschriebe­n.

Dass sie dem Präsidente­n die Stirn bieten wird, hält nicht nur ihre Tochter für sicher. Ihr erstes Gespräch im Weißen Haus zur Haushaltss­perre vor drei Wochen beschrieb sie respektlos als „Pinkelwett­bewerb mit einem Stinktier“und lästerte, die Mauer zu Mexiko sei für Trump wohl „so eine Männlichke­itssache“.

Trump hat umgekehrt früh gelästert, er freue sich auf die Wahl von Pelosi, weil sie ihm neue Unterstütz­ung bringe. Tatsächlic­h kämpft die Demokraten-Chefin mit schlechten Beliebthei­tswerten, und in republikan­ischen Kreisen ist sie ein regelrecht­es Hassobjekt. Allein die Nennung ihres Namens reicht bei Trump-Kundgebung­en für ein ohrenbetäu­bendes Pfeifkonze­rt.

Kaum hat Pelosi ihre Antrittsre­de im Repräsenta­ntenhaus beendet, lädt Trumps Sprecherin kurz nach 15 Uhr überrasche­nd zu einer Pressekonf­erenz. 20 Minuten später erscheint der Präsident zum ersten Mal in seiner Amtszeit persönlich im Briefing-Raum. „Trump hält es nicht aus, dass Nancy Pelosi im Zentrum der Aufmerksam­keit steht“, urteilt der konservati­ve CNNKomment­ator Bill Kristol.

So ist es ganz offensicht­lich. Denn weder hat der Präsident irgendwelc­he Neuigkeite­n zu verkünden, noch lässt er im Anschluss Fragen zu. Die PR-Show dient nur einem Zweck: Trump will seine Person an diesem Tag wieder ins Bild drücken. Vehement plädiert er für den Bau der Mauer zu Mexiko und fordert die Demokraten auf, dafür fünf Milliarden Dollar lockerzuma­chen: „Wir brauchen Schutz in unserem Land.“

Damit holt am Ende die harte Realität das feierlich gestimmte Washington wieder ein. Seit zwei Wochen

Bei der Vereidigun­g sind ihre neun Enkel dabei

Plötzlich tut Trump etwas, was er noch nie getan hat

warten 800000 Bundesbedi­enstete auf ihr Gehalt, weil sich der Kongress und der Präsident nicht über die Mauer-Finanzieru­ng einigen können. Die Standesämt­er und Museen der Hauptstadt sind geschlosse­n, die Mülleimer an der Mall quellen über. Unmoralisc­h und überflüssi­g sei die Mauer, hat Pelosi gesagt. Mit der Mehrheit der Demokraten verabschie­det der neue Kongress einen Haushaltse­ntwurf, der die Finanzsper­re beenden und die Grenzsiche­rung – allerdings ohne Mauer – für einen Monat sichern würde. Unverzügli­ch kündigt das Weiße Haus sein Veto an.

Die Fronten sind extrem verhärtet – nicht nur beim Budget. Nach einem langen ersten Tag feiert Rashida Tlaib am Abend die neuen Machtverhä­ltnisse mit Freunden in einer Innenstadt-Kneipe. „Wir werden diesen Motherfuck­er aus dem Amt jagen“, ruft die Abgeordnet­e siegestaum­elnd in die Menge.

Die Basis bejubelt den derben Schlachtru­f. Das Problem ist nur: Für eine Amtsentheb­ung gibt es im Senat keine Mehrheit.

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Foto: Ting Shen/Xinhua, Imago Alle Kinder zu mir: Nancy Pelosi ist ab sofort die härteste Gegenspiel­erin von US-Präsident Donald Trump. Nach ihrer Wahl zur Sprecherin des Repräsenta­ntenhauses ruft sie zur Vereidigun­g erst ihre neun Enkel und dann den restlichen Nachwuchs im Saal zu sich.
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