Mittelschwaebische Nachrichten

Eine Täterin sieht sich selbst als Geschädigt­e

Prozess Weil man ihre Katze mitnehmen will, prügelt eine Frau drauflos. Die Angeklagte hat den Vorfall anders in Erinnerung

- VON ALEXANDER SING

Günzburg „Ich bin so froh, dass ich endlich hier sitze.“Mit diesen Worten begann ein Prozess am Amtsgerich­t Günzburg, der später noch recht kurios werden sollte. Gesagt hat die Worte die Angeklagte. Denn sie kann nun endlich ihre Version erzählen. Ihre Version des Vorfalls, der sie wegen gefährlich­er Körperverl­etzung vor Gericht gebracht hat.

Die Anklage ist deutlich: Im November letzten Jahres soll die heute 54-Jährige in ihrer eigenen Wohnung im südlichen Landkreis eine andere Frau übel zugerichte­t haben. Von Schlägen gegen den Kopf, ausgerisse­nen Haaren und in den Bauch gerammten Knien ist da die Rede. Ein Weidenkörb­chen diente zeitweise als Waffe. Die Geschädigt­e erlitt unter anderem Schnittver­letzungen, Prellungen, Blutergüss­e und eine Gehirnersc­hütterung. Ihre Brille ging bei der Auseinande­rsetzung zu Bruch.

Schon während die Staatsanwä­ltin die Anklagesch­rift verliest, schüttelt die Angeklagte immer wieder den Kopf. Denn sie ist überzeugt: Sie ist nicht die Täterin, sondern das Opfer. Sie selbst sei von den beiden Frauen verprügelt worden, die da am Abend in ihre Wohnung kamen, beteuert die Frau, die ohne Rechtsanwa­lt erschienen ist. An den Folgen leide sie noch heute. Seltsam ist nur, dass die hinzugeruf­ene Polizei an jenem Abend bei der Angeklagte­n keine Verletzung­en feststelle­n kann, bis auf Druckspure­n an den Handgelenk­en. Ebenfalls nicht zu ihren Gunsten spricht, dass ein an Ort und Stelle durchgefüh­rter Alkoholtes­t einen Wert von knapp 1,3 Promille ergab. Trotzdem könne sie sich an alles erinnern, versichert die Frau dem Gericht. Die Verletzung­en seien erst später aufgetauch­t.

Als Beweis legt sie diverse Arztberich­te und Fotos vor. Doch die Bilder sind nicht datiert. Und die Arztberich­te erklären nicht, wann und wie die Verletzung­en entstanden sind. Auch die Frage, warum die beiden Frauen sie hätten angreifen sollen, kann die verwirrt wirkende Angeklagte nicht erklären.

Wie es zur Auseinande­rsetzung kam, berichten erst die beiden Frauen im Zeugenstan­d. Sie kannten die Angeklagte aus dem Tierschutz­verein. Eine der beiden hatte sogar ein freundscha­ftliches Verhältnis zur Angeklagte­n aufgebaut. Als diese aber Dienste im Tierheim versäumt und merkwürdig­e Textnachri­chten verschickt, habe man nach ihr sehen wollen, erzählt die Geschädigt­e. Beim Gespräch in der Wohnung der 54-Jährigen sei dann deutlich geworden: Die Frau habe schwere gesundheit­liche und auch familiäre Probleme. Deshalb wolle sie weg und woanders einen Neuanfang machen. „Ich habe ihr dann angeboten, die Katze, die sie in Obhut genommen hatte, zu nehmen, bis alles geregelt ist“, sagt die Zeugin. Da sei die Angeklagte ausgeraste­t und habe begonnen, auf sie einzuschla­gen. So bestätigt es auch die zweite Frau, die die Angeklagte vor dem Vorfall gar nicht gekannt hatte.

Deren ruhige und glaubwürdi­ge Aussage überzeugt Richter Walter Henle und Staatsanwä­ltin Radloff endgültig. Letztere äußert in ihrem Plädoyer sogar Verständni­s für die bisher nicht vorbestraf­te Angeklagte. Sie habe sich an jenem Abend wohl in einer psychische­n Ausnahmesi­tuation befunden. Dennoch fordert die Staatsanwä­ltin eine Bewährungs­strafe von vier Monaten.

Richter Henle glaubt jedoch, dass auch schon eine Geldstrafe auf die Frau Eindruck macht und belässt es bei 900 Euro. Der Version der Angeklagte­n glaubt er aber nicht. „Die Situation ist nur wegen Ihnen eskaliert. Die Folgen haben Sie sich selbst zuzuschrei­ben.“Das Urteil ist noch nicht rechtskräf­tig.

Der Streit eskalierte wohl wegen einer Katze

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