Mittelschwaebische Nachrichten
Haben Sie Ihren Glauben verloren?
Skandale wie der im Bistum Eichstätt zerstören das Vertrauen in die Kirche. Vier Katholiken erzählen, warum sie – noch – Mitglied sind. Ihre Geschichten stecken voller Zweifel, aber auch voller Hoffnung. Hin- und hergerissen zwischen Gott im Himmel und se
Augsburg Warum bin ich eigentlich noch in der katholischen Kirche? Einer Kirche, die derzeit vor allem durch Missbrauchs- und Finanzskandale auffällt. Die Frage treibt Millionen Menschen um. Antworten darauf lieferte vor kurzem die Studie einer Unternehmensberatung der Kirche. Demnach denken vier von zehn Befragten über einen Austritt nach. Eine Zahl wie ein Beben. Für die Untersuchung hatten die Forscher auch eine KatholikenTypologie erstellt: Es gebe Entfremdete und Bekennende, Gemeindeverwurzelte und Kompromisslos-Beharrende, insgesamt sieben „Katholiken-Typen“.
Wer sind die Katholiken, die sich hinter dieser Typologie verbergen? Woran glauben sie? Was verbindet sie – noch – mit der Kirche? Vier von ihnen erzählen hier ihre Glaubensgeschichten.
Der Entfremdete. Martin Willmann, 54, verbringt seine Mittagspause in einer Bäckerei in Landsberg am Lech. Auf der Verkaufstheke liegt ein Stapel Bild-Zeitungen: „Ingrid Steeger zeigt ihr Testament!“Es ist der vergangene Mittwoch, der Tag, an dem spektakuläre Sätze von Papst Franziskus im Radio zu hören sind. Ein Tag, an dem in unserer Zeitung gleich in drei großen Berichten die tiefe Krise der katholischen Kirche offensichtlich wird: der Finanzskandal im Bistum Eichstätt, der einen Abgrund an Machtmissbrauch offenbart; die Selbstanzeige des österreichischen Bistums Gurk wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung; Papst Franziskus, der vor Journalisten einräumte, dass Priester und Bischöfe Nonnen missbrauchten. Es habe „sexuelle Sklaverei“gegeben, sagte das Kirchenoberhaupt.
Die Skandale der katholischen Kirche spielen für den Verwaltungsbeamten Martin Willmann nicht in weit entfernten Orten oder Ländern, sie treffen ihn ganz direkt. „Was ist denn da wieder los bei euch?“, wird er häufig gefragt. Es ist eher ein Vorwurf. Willmann ist Mitglied im Pfarrgemeinderat Buchloe. Er hat das Gefühl, dass es gegen Katholiken einen Generalverdacht gibt. Dass er sich dafür rechtfertigen muss, katholisch zu sein. Dass er als Katholik ein Exot ist.
Was ist denn da wieder los bei euch? Der Stadtpfarrer von Buchloe wurde Ende November vom Dienst freigestellt. Verdacht auf Besitz „strafrechtlich relevanten digitalen Materials“auf dem Privat-Computer. Die Staatsanwaltschaft Kempten rechnet „mit einem Ermittlungsabschluss bis Ende Februar“, erklärt sie auf Anfrage. Willmann glaubt, dass an dem Verdacht gegen seinen Pfarrer nichts dran sein könne. Er kenne ihn.
Und doch sind da diese Zweifel. Nicht an seinem Glauben, sondern an der Institution Kirche. „Meine grundsätzliche Glaubenseinstellung, meinen Glauben an die Auferstehung nach dem Tod, an die Zehn Gebote habe ich nicht verloren“, sagt er mit etwas lauter werdender Stimme. „Aber an die Bischöfe habe ich meinen Glauben verloren.“
Willmann will eine Kirche, in der Frauen zu Priesterinnen geweiht werden, wiederverheiratete Geschiedene die Kommunion empfangen dürfen, in der Pfarrer bodenständig sind und über aktuelle Themen predigen, in der Pfarrer heiraten dürfen, wenn sie wollen, und Laien auch sonntags Wort-GottesFeiern leiten. Er will Reformen, jetzt. „Die da oben haben den Knall noch nicht gehört“, sagt er.
Willmann gehört „tendenziell zu den Entfremdeten“, weil er viele Ansichten der Kirchenlehre nicht mehr teilen kann. Sagt er von sich selbst. In der Katholiken-Studie stellen Entfremdete mit 26 Prozent der Befragten die größte Gruppe. Er passt nicht so recht in diese Gruppe, allerdings trifft auf ihn wie auf 38 Prozent der Entfremdeten die Aussage zu: „Ich fühle mich der Kirche verbunden, aber die Bindung hat nachgelassen.“Willmann, ein engagierter Katholik – er denkt darüber nach, evangelisch zu werden.
Die Gemeindeverwurzelte. Ingrid Mägele, 50, hat wenige Tage nach Erscheinen der Studie mit der Pfarrgemeinderatsvorsitzenden den Christbaum der St.-Andreas-Kirche in Anwalting bei Augsburg abgeschmückt. Zwei Stunden lang, in ihrem Urlaub. Der Christbaumständer lehnt noch an einer Trittleiter neben dem Heizkörper der Sakristei. Nun, am Nachmittag, schaut sie nach dem Rechten. Seit sieben Jahren ist sie Kirchenpflegerin. Sie hilft, wo sie gebraucht wird. Mit anderen Ehrenamtlichen kümmert sich die Verwaltungsangestellte auch um die nahe Salzbergkapelle. Die war 2015 von einem Tornado verwüstet worden. Mägele und viele andere bauten sie wieder auf. Ihre Aufgabe ist es inzwischen, die Kapelle an Freitagabenden abzusperren. Sie liebt es, dort alleine zu sein, herunterzublicken ins Tal. Oder sich auf eine der schmalen Bänke zu setzen, um zur Ruhe zu kommen.
Als es dem zehnjährigen Sohn ihrer Nichte schlecht ging – ein Lungenabszess –, betete sie in der Kapelle für ihn. „Was man erbittet, tritt nicht immer ein“, sagt sie, „aber man kann sich daran festhalten.“Dem Jungen jedenfalls geht es wieder gut.
In ihrer Familie war Beten etwas Normales, vorm Essen, vorm Schlafen. Das Vaterunser, das Ave-Maria. Und das Gebetsläuten der Kirche am Abend; das Zeichen für sie und ihre vier Geschwister, nach Hause zu gehen. Sie sagt: „Der Glaube heilt. Und die Gemeinschaft ist mir wichtig.“Es klopft an der Sakristei-Tür, eine ältere Frau. „Ich hatte am Sonntag im Gottesdienst kein Opfergeld für die Heizung dabei, kann ich dir’s später geben?“Ingrid Mägele lächelt. „Klar, ich bin da.“
Wie sie über die Skandale denkt? In ihrem Blick liegt etwas schwer zu Beschreibendes. „Ich habe keine Angst um die Kirche. Vielleicht müsste sie aber deutlicher zeigen, was sie alles Gutes tut.“Die Autoren der Studie würden Ingrid Mägele zur 16 Prozent großen Gruppe der Gemeindeverwurzelten rechnen: „Positives Kirchenbild (vor allem sozialkaritative Aspekte)“, „Starke Verbundenheit mit Kirche (seit jeher) – vor allem mit der Kirche vor Ort“.
Der Bekennende. Ludwig Magg, 85, blättert in einem Album mit Schwarz-Weiß-Fotos seiner Primiz. Zur ersten heiligen Messe, die er als neu geweihter Priester halten durfte, kamen im Juni 1962 etwa 5000 Menschen in seinen Geburtsort Lechbruck, sagt er. Man sieht Männer im Anzug, Frauen mit Hut. Und ihn als einen ernsten, konzentrierten Endzwanziger mit Hornbrille und akkuratem Kurzhaarschnitt. Im Herbst 1962 begann in Rom das Zweite Vatikanische Konzil. Es versprach Erneuerung und Aufbruch. Magg wollte Seelsorger sein – aber würde er den Zölibat, die priesterliche Ehelosigkeit, leben können?
„Ich hatte schon damals Zweifel“, sagt er. Magg hatte das 1919 erschienene Buch „Der Kaplan“gelesen. Den autobiografischen Roman des in Ursberg geborenen Joseph Bernhart, der 1904 zum Priester geweiht worden war und 1913 in London standesamtlich geheiratet hatte.
Knapp zehn Jahre nach seiner Primiz, im Januar 1972, gestand Magg dem damaligen Augsburger Bischof, „dass ich aufhöre“. Am Ostermontag verabschiedete er sich von seiner Pfarrgemeinde, im März 1973 heiratete er die Witwe eines Freundes, der 1969 an Leukämie gestorben war. Sie durften sogar kirchlich heiraten.
Magg war mit beiden in Urlaub gewesen, 1968 etwa – da war er Pfarrer in Dietmannsried – zum Zelten am Neusiedler See. „Im Laufe der Zeit ist aus Freundschaft Liebe geworden“, sagt er.
Magg sagt: „Ich bin kritisch gegenüber der Kirchen-Hierarchie, aber mir war immer klar, dass ich im Glauben leben will.“Seine Frau setzt sich zu ihm an den Wohnzimmertisch in ihrem Haus in Sonthofen. „An einen Kirchenaustritt haben wir nie gedacht. Wer soll die Kirche sonst verändern?“, sagt sie.
Magg wurde Realschullehrer für Deutsch, Geschichte und Religion. Die Kirche ließ ihn nicht fallen – er sie auch nicht. Er engagierte sich als Pfarrgemeinderat, als Diözesanrat und in der Reformbewegung „Wir sind Kirche“. In all den Jahrzehnten hat er die Hoffnung auf Veränderung nicht aufgegeben. Er hofft auf die Abschaffung des Pflichtzölibats, auf die Priesterweihe für Frauen. Er hofft auf Papst Franziskus. Ludwig Magg kann man zu den 13 Prozent der Bekennenden zählen, die laut Studie eine „tiefe Glaubensverbundenheit und Gottvertrauen in allen Lebenslagen“auszeichnet.
Der Kompromisslos-Beharrende. Helmut Vogel, 65, schaltet das Radio ab, das auf seinem Esstisch steht. Er will reden. Vogel hört gerne Radio Horeb, den christlichen Sender aus Balderschwang. Auf dem Tisch liegt ein Programmheft, in dem der katholische Programmdirektor Pfarrer Richard Kocher schreibt: „Liebe Freunde und Förderer unseres Radios, die Krise der Kirche und des Glaubens ist unverkennbar.“Er zitiert Walter Kardinal Kasper. Den evangelischen Freunden müsse es ja prächtig gehen, schreibt der, sie hätten keinen Papst, keinen Zölibat, ordinierten Frauen zu Bischöfinnen. „Aber“, so Kasper, „geht es ihnen besser, wenn es um die Vermittlung des Evangeliums geht? Leider nicht!“Die Fragen, an denen man sich in der öffentlichen Diskussion derzeit festbeiße, seien Nebenfragen. Die Gottesfrage müsse stattdessen in die Mitte rücken.
Helmut Vogel aus dem zu Monheim (Donau-Ries) gehörenden Ort
„Der Glaube heilt. Und die Gemeinschaft ist mir wichtig.“Ingrid Mägele
„Verschiedene Meinungen sind doch normal, auch unter Christen.“Helmut Vogel
Rothenberg sieht das genauso, doch manches formuliert er derart kompromisslos, dass die beiden etwas kirchenferneren seiner fünf Schwestern zu ihm sagen würden: „Wie kannst du nur so reden!“Vogel setzt Abtreibung mit dem Holocaust gleich, die Ehe für alle sei „klar und deutlich ein Ungehorsam gegen Gott“, bei den Ausschreitungen Linksextremer während des Hamburger G20-Gipfels habe man den Teufel gesehen. Dass Missbrauchsopfer nach Jahrzehnten an die Öffentlichkeit gehen, findet er „unchristlich“. Es sei nicht richtig, dass Kinder von Priestern missbraucht würden. Aber Priestern das 40 Jahre danach vorzuwerfen, sei ein Angriff auf die Kirche und damit auf Jesus.
Bei solchen Sätzen klingt Vogel hart. Wo er sonst so zurückhaltend wirkt. In der Katholiken-Studie würde er als Kompromisslos-Beharrender geführt. Wie 13 Prozent der Befragten. Sie sehen die Kirche als „Bastion gegen postmoderne (religiöse) Beliebigkeit“und verteidigen die „christliche Leitkultur“.
Seine Glaubensüberzeugungen hat sich der frühere Monteur mithilfe seiner strenggläubigen Großmutter gebildet, in Gottesdiensten und Bibelkreisen. Je älter er wurde, desto überzeugter wurde er. Er ist auch streng mit sich. Bei allem, was er macht, fragt er sich: „Entspricht das dem Willen Gottes?“Auch ihm falle das schwer, auch er müsse Opfer bringen. Eine Frau oder Kinder hat er nicht. Gott habe das so gewollt.
Als Monteur war Vogel bei der Bahn. Signalbau, Außendienst. Fahrdienstleiter fragten ihn: „Wieso bist du nicht Pfarrer geworden?“Seine Erklärung: Auch als Außendienstler habe er vielen Leuten das Evangelium nahebringen können.
Eines sei ihm ganz wichtig, sagt Helmut Vogel schließlich noch: Wie Mann und Frau sei die Kirche eine Einheit. „Wenn Mann und Frau mal verschiedener Meinung sind, sind sie doch nicht gespalten! Meinungsverschiedenheiten sind doch normal, auch unter Christen!“