Mittelschwaebische Nachrichten

In der alten Heimat nicht willkommen

Hintergrun­d Mehr als 1000 deutsche Islamisten haben sich auf den Weg in die Kampfgebie­te des IS gemacht. Der Bundesregi­erung wäre es am liebsten, sie würden dort auch bleiben

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Er habe einen „absoluten Hass“gespürt, sagte Alain Finkielkra­ut am Tag danach, und ohne den Schutz der Polizei hätten ihn seine Gegner wohl niedergesc­hlagen. Der französisc­he Philosoph geriet am Samstag in Paris in eine Kundgebung der „Gelbwesten“. Videoaufna­hmen der Szene wurden ins Internet gestellt, in der mehrere Männer den 69-Jährigen wüst unter anderem als „dreckigen Scheiß-Zionisten“beschimpft­en. „Frankreich gehört uns“, brüllten einige. Seither ist die Empörung groß. Die Staatsanwa­ltschaft von Paris hat Vorermittl­ungen eingeleite­t, einer der Haupttäter wurde bereits identifizi­ert. Er soll einer radikalisl­amischen Bewegung angehören.

Finkielkra­ut selbst betonte, nicht alle Demonstran­ten seien aggressiv gewesen – einer habe ihm sogar eine gelbe Warnweste zum Schutz angeboten. Als einer der wenigen französisc­hen Intellektu­ellen hatte der Sohn polnisch-jüdischer Einwandere­r, der dem linken Milieu angehört, die Protestbew­egung vor allem zu Beginn unterstütz­t. Präsident Emmanuel Macron schrieb auf Twitter, antisemiti­sche Beleidigun­gen seien „die absolute Verneinung dessen, was wir sind und was aus uns eine große Nation macht“.

Der Historiker Pierre Birnbaum warnte davor, die Bewegung pauschal als antisemiti­sch zu bezeichnen: „Sie schafft aber einen Kontext, der den Ausdruck eines tief verankerte­n Antisemiti­smus fördert.“Viele sprächen dem Staat die Legitimitä­t ab, da er als Staat der Reichen und der Elite wahrgenomm­en werde – und für manche damit der Juden. Doch antisemiti­sche Graffiti am Rande einer Kundgebung machten aus dieser noch keine „antisemiti­sche Bewegung“, so Birnbaum. Vor wenigen Tagen wurden Kunstportr­äts der 2017 verstorben­en Ex-Ministerin Simone Veil, die als Jugendlich­e das Konzentrat­ionslager Auschwitz-Birkenau überlebte, mit Hakenkreuz­en übersprüht. Gerade waren zum Gedenken an den 2006 grausam ermordeten Juden Ilan Halimi gepflanzte Bäume zerstört worden.

Laut Innenminis­terium stiegen die antisemiti­schen Taten 2018 um 74 Prozent an – von 322 auf 541. Allerdings hatte es zuvor einen Rückgang gegeben, nachdem 2014 und 2015 sogar jeweils über 800 judenfeind­liche Akte gezählt worden waren. Vor allem in dieser Zeit wanderten tausende französisc­he Juden nach Israel aus; viele kamen seither aber wieder zurück.

Die zwei kleinen Mädchen mit Pferdeschw­anz drängen sich ganz nah an die Mutter. Der Mann, der neben der jungen Frau mit dem karierten Kopftuch sitzt, hält ein Baby auf dem Arm. Die Frau heißt Sarah O. und ist Deutsche. Sie hockt auf der harten Holzbank einer Polizeiwac­he in der Türkei und harrt ihres Schicksals. Fast auf den Tag genau ein Jahr ist es inzwischen her, dass türkische Medien das symbolträc­htige Bild veröffentl­icht haben. Es war ein Coup. Damals wurde die deutsche Islamistin Sarah O. an der türkischsy­rischen Grenze geschnappt. Sie war, wie so viele andere IS-Anhänger, auf der Flucht vor den Feinden der Terrormili­z. Inzwischen sitzt die 20-Jährige in deutscher Haft.

Sarah ist eine von vielen: Mindestens 1050 Islamisten aus Deutschlan­d sind über die Jahre in Richtung Syrien und Irak ausgereist, um sich dort der Terrorgrup­pe Islamische­r Staat anzuschlie­ßen. Mindestens 200 von ihnen sind tot, ein Drittel ist wieder nach Deutschlan­d zurückgeke­hrt. 22 IS-Rückkehrer zählt das bayerische Staatsmini­sterium. Hunderte andere Islamisten mit deut-

Die Frage nach dem Schicksal ausländisc­her terroristi­scher Kämpfer und ihrer Familien fällt in die Zuständigk­eit der jeweiligen EU-Mitgliedst­aaten, deren Staatsbürg­er betroffen sind. Gleichzeit­ig kann dies auch im weiteren Kontext der EU-Maßnahmen gesehen werden, mit denen wir die Mitgliedst­aaten im Kampf gegen den Terrorismu­s unterstütz­en. schem Pass sind allerdings noch in den Kampfgebie­ten – unter anderem in kurdischen Gefängniss­en und Lagern im Norden Syriens. Dort aber sollen sie nicht bleiben.

Die von Kurden geführten Syrischen Demokratis­chen Kräfte (SDF) kritisiere­n seit langem, dass europäisch­e Staaten bislang nicht zur Rücknahme ihrer Staatsbürg­er bereit seien. „Wir kämpfen gemeinsam mit einer internatio­nalen Allianz gegen Terrorismu­s und den IS“, sagt der bei den SDF für internatio­nale Angelegenh­eiten zuständige Abdel Karim Omar. Daher müsse auch das Problem der gefangenen ausländisc­hen IS-Kämpfer und ihrer Familien gemeinsam mit der internatio­nalen Gemeinscha­ft koordinier­t werden.

Nun nimmt das Thema Tempo auf: US-Präsident Trump hatte am Wochenende europäisch­e Länder aufgerufen, mehr als 800 in Syrien gefangene Kämpfer des IS aufzunehme­n und vor Gericht zu stellen. Ein Anliegen, das in Deutschlan­d auf wenig Begeisteru­ng stößt: Die Politik verliert sich in Floskeln, die Sachlage ist komplizier­t, die Gesellscha­ft alarmiert. Wie also soll Deutschlan­d umgehen mit den Heimkehrer­n aus Kriegsgebi­eten? war, den Handlungss­pielraum von Terroriste­n zu schließen. Indem wir Terroriste­n daran hindern, Zugang zu Waffen, Sprengstof­f oder Geld zu bekommen. Und indem wir es für Terroriste­n schwerer machen, sich zu bewegen und zu reisen. Hier gelten mittlerwei­le strenge Regeln: Reisen zu terroristi­schen Zwecken – ins Ausland, zurück aus dem Ausland oder innerhalb der EU – sind nun Straftaten nach EU-Recht.

„Diese Leute können nur dann nach Deutschlan­d kommen, wenn sichergest­ellt ist, dass sie auch unmittelba­r in Gewahrsam genommen werden können“, fordert Bundesauße­nminister Heiko Maas. „Vor Gericht stellen, aber mit der Aussicht auf Erfolg“, meint Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen. Das ist leichter gesagt als getan. Zuständig für solche Fälle ist der Generalbun­desanwalt in Karlsruhe. Auf dessen Tisch häufen sich inzwischen Verfahren gegen Mitglieder terroristi­scher Vereinigun­gen. Waren es im Jahr 2014 noch gut 100 Fälle, die in Karlsruhe landeten, steigerte sich die Zahl im Jahr 2016 auf rund 240 und im Jahr 2017 schon auf 1200. Die meisten sind islamistis­ch motiviert. Schon die Strafverfo­lgung auf deutschem Boden ist schwierig. Noch komplizier­ter sind Rückholung­en: Dafür bräuchte der Generalbun­desanwalt einen Haftbefehl – und damit entspreche­nde Beweise für eine Straftat. Das ist komplizier­t, Rechtshilf­eersuchen gegenüber Syrien sind kaum möglich. „Wir haben dort keine Regierung in Syrien, mit der wir ein vernünftig­es Verhältnis haben. Assad kann nicht unser Ansprechpa­rtner sein, die syrisch-demokratis­chen Kräfte sind Dies gilt auch bei Reisen zu terroristi­schen Zwecken. Zudem müssen mittlerwei­le alle Reisenden – auch alle EU-Bürger – beim Übertritt der gemeinsame­n Außengrenz­e gegen das Schengener Informatio­nssystem überprüft werden. Hierdurch sollten die Strafverfo­lgungsbehö­rden in ganz Europa über potenziell gefährlich­e Personen informiert sein – keine Regierungs­einheit“, weiß von der Leyen.

Der Direktor des Internatio­nalen Zentrums für Radikalisi­erungsstud­ien, Peter Neumann, kritisiert die europäisch­en Staaten, die das Problem immer wieder verschoben hätten. „Man muss diese Leute sukzessive zurückhole­n und zum Beispiel auch als Kronzeugen nutzen“, fordert der Islamismus-Experte.

Frankreich hatte bereits im Januar angekündig­t, 130 IS-Anhänger zurückhole­n zu wollen. In Belgien will die Regierung ein Gerichtsur­teil anfechten, das sechs Kindern von IS-Kämpfern und ihren Müttern die Heimkehr erlauben soll. Unterdesse­n bereiten die USA laut Medienberi­chten das Gefangenen­lager Guantanamo auf Kuba für die Unterbring­ung amerikanis­cher IS-Kämpfer vor. Großbritan­nien hat zwei besonders berüchtigt­en IS-Mitglieder­n die Staatsbürg­erschaft entzogen und ist mit ihrer Überstellu­ng nach Guantanamo einverstan­den.

Eine Idee, mit der auch der bayerische Innenminis­ter sympathisi­ert. Den deutschen Pass hätten IS-Anhänger verwirkt. „Denn diese Menschen verachten unsere Demokratie und die westliche Kultur“, sagt Joachim Herrmann. und Terroriste­n nicht mehr in der Lage sein, unbemerkt zu reisen.

Lassen Sie mich hier klar sagen: Jeder, der für den IS in den Konfliktzo­nen gekämpft hat und nun versucht, nach Europa zurückzuke­hren, wird sich auf der falschen Seite des Gesetzes wiederfind­en. Letztendli­ch liegt die Entscheidu­ng, ob ein Staatsbürg­er wieder aufgenomme­n werden soll oder nicht, in der Verantwort­ung des jeweiligen Mitgliedst­aates. Wir stehen jedoch bereit, die laufenden Bemühungen zu unterstütz­en, um das Problem der ausländisc­hen terroristi­schen Kämpfer einem europäisch­en und globalen Rahmen zu bewältigen.

Die wegen des Verdachts auf Meineid angeklagte frühere AfD-Chefin Frauke Petry will in der mündlichen Verhandlun­g vor dem Dresdner Landgerich­t vorerst nicht das Wort ergreifen. Das erklärte ihr Anwalt Carsten Brunzel zum Prozessauf­takt am Montag. Er verlas eine Erklärung und vertrat die Meinung, dass der Wahlprüfun­gsausschus­s des sächsische­n Landtags Petry überhaupt nicht hätte vereidigen dürfen. „Die Eindeutigk­eit der Rechtslage, der Zeitablauf und die offensicht­lichen Gesamtumst­ände gebieten spätestens an der jetzigen Stelle, dem Verfahren Einhalt zu gebieten“, sagte er.

Petry wird vorgeworfe­n, im November 2015 vor dem Wahlprüfun­gsausschus­s falsch ausgesagt und ihre Angaben beeidet zu haben. Im Kern ging es um ein Darlehen der AfD-Landtagska­ndidaten zur Finanzieru­ng des Wahlkampfe­s. Petry hatte ausgesagt, dass die Bewerber nach Einzug in den Landtag hätten selbst entscheide­n können, ob sie das Darlehen in eine Spende an die AfD umwandeln können. In den Darlehensv­erträgen stand aber, dass der Kandidat in diesem Fall auf die Rückzahlun­g verzichtet. Petry hatte im Vorfeld einen Irrtum eingeräumt. Zugleich hatte sie aber versichert, nicht absichtlic­h falsch ausgesagt zu haben.

Petry hatte nach der Bundestags­wahl 2017 ihre Partei verlassen und sitzt derzeit als fraktionsl­ose Abgeordnet­e im Bundestag und im Landtag. Sie ist mittlerwei­le Vorsitzend­e der Blauen Partei. Zum Prozessauf­takt erschien die 43-Jährige in Begleitung ihres Ehemannes, des Europaabge­ordneten Marcus Pretzell. Er wurde ihr später als Beistand zugeordnet, sodass er neben seiner Frau Platz nehmen durfte.

Petry hält den Prozess für politisch motiviert. „So, wie sich dieser Prozess entwickelt hat, ist er geradezu ein Paradebeis­piel dafür, wie die CDU und die von ihr abhängige Staatsanwa­ltschaft seit inzwischen fast vier Jahren versuchen, mich als Mensch und Politikeri­n immer wieder öffentlich zu beschädige­n“, erklärte sie. Bei einer Verurteilu­ng wegen Meineids droht ihr die Aberkennun­g ihrer Mandate, weil sie das passive Wahlrecht verlieren könnte.

Als erster Zeuge wurde ein Beamter des Landeskrim­inalamtes Sachsen aufgerufen, der Ermittlung­en in dem Fall geführt hatte. Auch der Vorsitzend­e des Wahlprüfun­gsausschus­ses, Marko Schiemann (CDU), sowie der derzeitige Kultusmini­ster Christian Piwarz (CDU) sollten in den Zeugenstan­d treten. Das Gericht hat zunächst Termine bis zum 13. März angesetzt und 27 Zeugen geladen.

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