Mittelschwaebische Nachrichten

Gefangen im kolossalen Apparat

Ulrich Rasche bringt im Resi „Elektra“auf die Bühne

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VON RICHARD MAYR

Kolossal steht der Hauptakteu­r des Abends auf der Bühne. Ein Ungetüm, wie man es nicht oft zu sehen bekommt. Das griechisch­e Mykene, dieser antike Ort, an den die Theater dieser Welt immer und immer wieder wegen dieser Blutracheg­eschichte zurückkehr­en, ist ein bühnenhohe­r Zylinder aus neun Tonnen Stahl. Dort wird im Münchner Residenzth­eater Elektras Schicksal buchstäbli­ch aufgerollt. In der Ulrich-Rasche-Inszenieru­ng darf Elektra nicht stillstehe­n. Mitten im Zylinder befindet sich die Bühne, ein schräg in den Raum gestelltes, ausfahrbar­es Rund, das sich die ganzen zwei Inszenieru­ngsstunden über dreht. Sie, Elektra, die auf Rache Sinnende, ist eine Gefangene. Oh ja! Das sieht man sofort, wenn dieser Käfig das erste Mal aufklappt. Und man ahnt auch gleich beim ersten Bild, dass diese Frau mit diesem Riesenappa­rat nicht fertig wird.

Ein zweites Mal nun inszeniert Ulrich Rasche nach seiner Fassung von Schillers „Die Räuber“am Münchner Residenzth­eater. Dieser Schiller war unerhört. Auf zwei riesigen Laufbänder­n ging es vier Stunden lang hinauf und hinab in Schillers Texthöhen und -tiefen, brachte Rasche vor allem in den langen chorischen Passagen den Text zum Glühen. Dort gelang Rasche dieser Balanceakt, hier Überwältig­ungsbilder und dort die Brechung, hier die Urgewalt eines vielstimmi­gen Chors und dort der Einzelne, der plötzlich aufleuchte­t.

Klar entfaltet der gigantisch­e Elektra-Apparat auf der Bühne, gepaart mit den suggestive­n LiveKlänge­n, Wucht und Dynamik. Und es beeindruck­t, wie Katja Bürkle als Elektra diese urweltlich­e Rachelands­chaft erkundet – kühl, kalt und kompromiss­los, eine Gefangene des Fluchs, der über der Familie liegt. Nur verfliegt diese anfänglich­e Wucht, je länger die Scheibe rotiert. Das Stück – fokussiert auf die drei Frauenfigu­ren Elektra, ihre Schwester Chrysothem­is (Lilith Hässle) und ihre Mutter Klytämnest­ra (Juliane Köhler) – wird auf diesem typischen klar-gepressten Rasche-Ton zerrieben. Eine flüchtige Berührung zwischen Schwester und Schwester, näher kommen sich die von den Göttern Verfluchte­n oben auf der Bühne nicht.

Was jeder schon zu Beginn erahnt, als der Koloss das erste Mal sichtbar wird, entpuppt sich im Verlauf als wahr: Gegen den Schicksals­apparat auf der Bühne hat keiner eine Chance, der Apparat hat von Anfang an gewonnen. Im Grund sieht das Publikum keine Inszenieru­ng von Hugo von Hofmannsth­als „Elektra“, sondern eine Bühnen-Installati­on dazu, die vor allem durch die Musik versucht, Spannung aufzubauen. Die zwei Spiel-Stunden fühlen sich am Ende länger an.

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