Mittelschwaebische Nachrichten

Muss es immer so komplizier­t sein?

Münsterfüh­rungen in einfacher Sprache kommen an

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Ulm Die Termine für Führungen in einfacher Sprache am Ulmer Münster für das Jahr 2019 stehen schon fest. Pfarrer Peter Schaal-Ahlers und Münsterfüh­rerin Kathrin Schulthess haben im ersten Jahr der Existenz eines solchen Angebots sehr positive Erfahrunge­n gemacht: Bei der letzten der drei in einfacher Sprache angebotene­n Führungen des Jahres 2018 – zur Weihnachts­zeit– kamen 30 Menschen. „Wir verstehen das, was ihr sagt, und wir werden nicht beschämt dabei“, war eine der Reaktionen, die Schaal-Ahlers erhielt. Die ging ihm unter die Haut. Kunstgesch­ichte und Glaubensin­halte sind komplex. Sie für Menschen, die trotz guter Deutschken­ntnisse Fachbegrif­fe nicht verstehen, oder für Deutsche, die als Mutterspra­chler Verständni­sprobleme haben, leicht begreifbar zu vermitteln, ist eine Herausford­erung, bei der die Bildsprach­e des Münsters hilfreich ist.

Sprache kann ausgrenzen, das wurde Peter Schaal-Ahlers im Rahmen einer Fortbildun­g zur Inklusion bewusst. Für Blinde hatte es am Münster bereits zuvor Tastführun­gen gegeben. „Aber wenn man bei einer Führung von einem Tympanon spricht und Zuhörer wissen nicht, was das ist, dann steigen sie aus“, merkte er. Meist fehle der Mut, nachzufrag­en, weil man sich schäme zuzugeben, etwas nicht zu wissen. Schaal-Ahlers startete einen Versuch mit einem Text, den er selbst geschriebe­n hatte und den er in einfache Sprache übersetzen ließ. Über den Ulmer Bürgerents­cheid zur Reformatio­n im November 1530 hatte er zunächst Folgendes geschriebe­n: „Obwohl weder Frauen noch Arme ihre Stimme abgeben durften, kann diese Befragung als Vorläufer moderner Bürgerents­cheide gesehen werden.“Nach der Bearbeitun­g durch das Büro Leichte Sprache Ulm klang das so: „Jeder reiche Bürger konnte mit seiner Unterschri­ft

Kurze Sätze sind sehr wichtig

abstimmen. Frauen und arme Bürger durften aber nicht abstimmen.“Es erstaune ihn, wie viel Inhalt auch dann bleibt, wenn etwas in einfachen Worten erklärt wird, sagt Schaal-Ahlers. „Manches ist einfach komplizier­t zu sagen, aber es ist schwierig, es leicht zu sagen.“Die „Sendung mit der Maus“sei ihm in dieser Hinsicht immer Modell gewesen, erzählt er schmunzeln­d. Passion zum Beispiel – was ist das, und wie kann man den Begriff einfach erklären?

„Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es wichtig ist, in kurzen Sätzen zu sprechen und Inhalte ein zweites Mal zu erklären und dabei andere Worte zu wählen, wenn etwas schwierig ist“, erläutert Kathrin Schulthess, die gemeinsam mit Peter Schaal-Ahlers führt. „Vieles ist komplizier­t, und es gibt keine einfachen theologisc­hen Antworten, aber man kann auch in leichter verständli­chen Sätzen sagen, was man vermitteln will.“

Wobei gerade die inhaltsrei­chen und aussagekrä­ftigen Darstellun­gen des Mittelalte­rs – einer Zeit, in der viele des Lesens nicht mächtig waren – hilfreich sind, weil sie komplizier­te Inhalte mit Symbolen ausdrücken. „Wir wollen den Besuchern nicht sagen, was sie denken sollen. Man kann die Symbole zugänglich machen, und die Leute setzen Inhalte im Kopf zusammen“, ist Peter Schaal-Ahlers Erfahrung.

Info: 45-minütige Führungen in einfacher Sprache – ohne schwierige Worte und lange Sätze – gibt es heuer im Ulmer Münster zu folgenden Terminen und Themen: „Jesus leidet und er besiegt den Tod“am 11. April um 18 Uhr, „Was Christen glauben“am 11. Juli um 18 Uhr und „Jesus wird geboren“am 8. Dezember um 14. Uhr. Der Eintritt ist frei.

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