Mittelschwaebische Nachrichten
Wo die Farben aus den Bildern springen
Im Frankfurter Städel hat die venezianische Renaissance-Malerei gerade einen fulminanten Auftritt. Gegenüber der Florentiner Konkurrenz hatten Tizian und seine Kollegen einen entscheidenden Vorteil
Geradezu theatralisch leuchtet das Himbeerrot
Von Ruhe kann hier kaum die Rede sein. Während Maria das Jesuskind stillt, hangelt oben ein Engel wie Tarzan auf der Palme und wirft seinem Kollegen Datteln hinunter. Der gerät beim Auffangen sichtlich aus der Balance und dürfte gleich in den Abgrund segeln. Im Notfall werden schon die Flügel helfen, aber weiß man das so genau? Und wer hat das Babyhemdchen gewaschen, das zum Trocknen in der Sonne liegt? Die kleinen Hilfsengel, die sich um den Esel kümmern? Es ist viel los um die Heilige Familie herum, und sollte es sich bei Paolo Veroneses „Ruhe auf der Flucht nach Ägypten“(ca. 1572) tatsächlich um ein Altarbild handeln, kann es mit der Andacht der Kirchgänger nicht weit her gewesen sein. Ganz zu schweigen von den aufwühlenden Farben, die das Auge in einer Tour durch die Szene kreisen lassen. Das gab es so nur in Venedig. Und man begreift im Frankfurter Städel sofort, weshalb seine Maler im 16. Jahrhundert quer durch Europa hofiert wurden und reihenweise Starkünstler inspiriert haben. Ob man nun an den Lagunen-Pilger Dürer denkt oder an den perfekt vernetzten Rubens, an den duftigen Antoine Watteau oder im 19. Jahrhundert etwa an Théodore Géricault, der sich wie Rubens intensiv mit Tizian auseinandergesetzt hat. Tizian steht denn auch im Zentrum dieser venezianischen Renaissance-Schau. Das entspricht seiner überragenden Position – zeitweise war er Hofmaler Karls V., die Päpste schätzten ihn sowieso. Allerdings ist diese Präsenz im Städel nicht selbstverständlich, das Haus besitzt nur einen einzigen kleinen Tizian. Doch das lyrische Bildnis eines jungen Mannes mit rotem Barett gehört zu den besonders eindringlichen Porträts, für die die Venezianer so bekannt sind. Feinsinnige Gestalten blicken einem da entgegen, leise Melancholiker, die scheinbare Nebensächlichkeiten mit sich führen wie einen lässig übergezogenen Handschuh oder ein winziges Brevier. Und Tizian war bei der Entstehung der Frankfurter Porträttafel erst um die 20, also noch am Anfang einer schier endlosen Karriere. 1576 starb er in seinen späten Achtzigern. Entsprechend reich ist dieses OEuvre, das die Ausstellung mit über 20 Werken dominiert. Darunter auch die „Madonna mit dem Kaninchen“(um 1530) aus dem Louvre, eine typische Sacra Conversazione. So nennt man die Begegnung der Madonna mit Vertretern der Heiligkeit, die in Venedig mehr und mehr in Bewegung kommt. Und sei es, dass Lorenzo Lotto einen quengelnden Jesusknaben nach dem Märtyrerherz des heiligen Ignatius von Antiochia greifen lässt, als sei’s ein heiß begehrtes Spielzeug. Die Erzählfreude dringt aus jedem dieser Bilder. Braves Posieren, wie es Giovanni Bellini seinem Lehrling Tizian noch beizubringen versucht hat, ist bald nicht mehr gefragt. Da kann es schon vorkommen, dass sich Veroneses „Christus bei der Taufe“(um 1580/85, Los Angeles) so schwungvoll mit ausgebreiteten Armen verbeugt, als wollte er eine Hofdame zum Tanz auffordern. Und das auf einer Wald- lichtung, die leicht ohne Personal bestehen könnte, denn die Venezianer haben sich auch um die Landschaftsmalerei verdient gemacht. Die Serenissima mit ihren Palästen und Kanälen kommt in dieser Kunst kaum vor. Das Heil lag nicht nur für die betuchten Kaufleute auf der „terra ferma“, dem Festland, wo man zumindest vor der Pest sicher war. Und ein frommer Mann inmitten arkadischer Natur ist gleich ein noch besserer Diener des Allerhöchsten. Da darf das Büßergewand des Hieronymus sogar in theatralischem Himbeerrot leuchten wie in Jacopo Bassanos um 1590 entstandenem Andachtsbild aus London. Doch wenn etwas diese Malerei durch und durch beherrscht, dann ist es das „colorito alla veneziana“. Die Pigmente springen fast aus den Gemälden, vom changierenden Rot bis zum düsteren Schwarz-inSchwarz. Im Gegensatz zu Florenz, wo Apotheker die Pigmente vertrieben, gab es in Venedig eigene Farbenhändler, die berühmt waren für ihre Qualitätsware. Sticheleien der Konkurrenz konnten da nicht ausbleiben, zumal in Florenz der Disegno, die Zeichnung, die entscheidende Rolle gespielt hat. Künstlerbiograf Giorgio Vasari, ein Florentiner, ließ dann auch gleich den Titan Michelangelo mäkeln: Dem nämlich würden Tizians „Farbgebung und Stil sehr gut gefallen, es sei aber schade, dass man in Venedig nicht von Anfang an gut zeichnen lernte“. Tintoretto und seine Malerkollegen hat das keineswegs davon abgehalten, sich bei männlichen Akten gerade an Michelangelo zu orientieren. Nur mussten die Muskelpakete auf ein elegantes Maß reduziert werden; auch das kann man im Städel ausgiebig studieren. Wobei die leicht bekleideten Damen dann doch mehr hermachen. Das zeigen vor allem die „belle donne“, die schönen Frauen, mit denen fast so etwas wie ein eigenes Genre entstanden ist. Doch anders als beim Gros der porträtierten Männer sind es hier meist unbekannte Venezianerinnen, die mal bei der Toilette, mal mit den Attributen einer Göttin in die Kammern der Sammler gefunden haben. Und zum tiefen Dekolleté gibt es einen geheimnisvoll versonnenen Blick – der kann keusch sein, aber auch verführerisch, ja erotisch. Die Spielarten waren bei diesen hoch versierten Malern nur eine Frage der Verhandlung.