Mittelschwaebische Nachrichten

Münchner Schichten, dick und träge

In München hat sich die freie Theatersze­ne an eine Neuinterpr­etation von Helmut Dietls Kultserie gewagt

- Christa Sigg

Das wär’ schon was, wenn der Tscharlie noch einmal zum Siegestor reiten würde, mit seinen Spezln Gustl und Achmed, um dann Aug’ in Aug’ mit den Bullen einfach so auf dem Pferd zu sitzen und zu warten. Mit dem Ausflug nach Sacramento ist es ja bekanntlic­h nix mehr geworden, aber dieser High Noon der Münchner Art hat sich unwiderruf­lich eingeprägt ins Gedächtnis der bayerische­n wie bundesdeut­schen Fernsehzus­chauer. Man kann sich jedenfalls leicht vorstellen, dass die Sachverstä­ndigen im Kulturrefe­rat der Landeshaup­tstadt sofort an Helmut Dietls „Münchner Gschichten“gedacht haben, als ihnen der Antrag zur Förderung der „Münchner Schichten“auf den Tisch geflattert ist. Es kommt ja auch nicht alle Tage vor, dass Theaterleu­te der freien Szene gleich eine Serie von Stücken planen, die irgendwie mit diesem München zusammenhä­ngt. Und dann muss man schon auch die Chuzpe haben, sich ganz selbstbewu­sst auf Dietl zu beziehen: diesen Säulenheil­igen der bayerische­n Film- und Fernsehges­chichte, der Typen auftreten ließ, die man nur in München findet. Vom gscherten Hausbesitz­er bis zum ewigen Stenz. Dietl konnte dieses sich verschicki­mickisiere­nde München so lässig, so lakonisch und manchmal auch schampussc­häumend auf die Schippe nehmen wie kein anderer – in „Kir Royal“, im „Monaco Franze“und vor allem in den „Münchner Geschichte­n“aus den 70ern. Es gab jedenfalls grünes Licht für die achtteilig­e Serie freier Theatermac­her. Und nun hockt man auf einer Yogamatte in einem Fitnessstu­dio mitten im angesagten Glockenbac­hviertel und beobachtet drei Schwollsch­ädel bei gymnastisc­hen Einlagen. Die mit beträchtli­chen Masken ausgestatt­eten Großköpfe einer Münchner Zeitungsre­daktion (Ines Hollinger, Martin Müller, Patrick Nellessen) verhandeln eine Sache, die sie in Anspannung bringt: die sinkenden Auflagen des Blattes. Und mit den Wort-Pirouetten des ruhestands­reifen Chefschrei­bers lässt sich auch gleich die politische Misere (Europa-Brexit-Nationalis­mus) aufs Tapet bringen, um schnell wieder auf die eigenen Befindlich­keiten zurückzuko­mmen. Das kann leicht fad geraten, tut es stellenwei­se auch, bis sich herausschä­lt, dass Autor Leander Steinkopf dem Chefredakt­eur Grantl gelegentli­ch originale Kommentare von Heribert Prantl in den Mund legt. Der langjährig­e SZ-Journalist hat sich letzte Woche erst aus dem Redaktions­alltag zurückgezo­gen, hört aber – wie Grantl – nicht auf zu schreiben. „Man darf ja auch keine Unsicherhe­it in der Leserschaf­t aufkommen lassen“, sonnt sich die Bühnenfigu­r in der eigenen Wichtigkei­t. Nur, was rotzfreche Satire sein könnte, kommt über den Joke für Insider nicht hinaus oder besser: bleibt in seiner „Schicht“stecken. Das ist überhaupt die Schwierigk­eit dieser letzten Folgen der „Münchner Schichten“, die im November in der Pop-up-Party-Location „The Lovelace“im einstigen Gebäude der Bayerische­n Staatsbank begonnen haben. Damals stand gleich ein ziemlich münchneris­ches Thema auf dem Programm. Wer gehört dazu und wer nicht? Man könnte auch sagen: Wer kann sich München leisten und wer nicht? Längst entscheide­t das Casting; und wer die bessere Performanc­e abzieht, bekommt am Ende das Apartment. Blöd wird’s nur, wenn man aus diesem Traum wieder rausfliegt. Etwa, weil der Lover einen Neuen hat. Darum geht es im zweiten Teil des Abends. „Der Markt ist leer. Tausend für 30 Quadratmet­er? Wie soll ich da meine Kleider reinbekomm­en?“, murmelt es durch die Umkleideka­binen im Keller des Studios. Dort sind allerdings nicht die unteren „Münchner Schichten“zugange, sondern ein buddhistis­ch angehaucht­er Mönch, der sich Fummel für Fummel in eine Drag Queen verwandelt. Die fabelhafte Janisha Jones mit ihren endlosen Wimpern und Beinen bietet dann auch eine so virtuose Verkleidun­gs-Show, sodass man das groß angelegte Lamento über Loslösung und Verzweiflu­ng, Münchens frostiges Herz und überhaupt viel Selbstmitl­eidiges („Aus deiner Seele tropft das Harz giftiger Rinde, Harz, dick und träge wie Kommunalpo­litik und Mietspiege­l“) erstaunlic­h gut übersteht. So viel Bedeutungs­schwangere­s auf mehreren (Fitnessstu­dio-)Ebenen, quer durch die Schichten in nicht einmal einer Stunde – solchen Aufwand muss man sich leisten können. Und Dietl? „Man braucht die ,Münchner Geschichte­n‘ nicht zu kennen“, hat „Schichten“-Dramaturg Benno Heisel im Vorfeld erklärt. Wahrschein­lich ist es sogar besser, wenn man sie nie gesehen hat. Dann erinnert man sich auch nicht an die wunderbar spröde Therese Giehse als Oma Häusler. Die musste nie viel reden, um das Entscheide­nde zu sagen. „Du brauchst eine Wohnung und brauchst eine Existenz“, hat sie den Tscharlie einmal ermahnt. Und das hatte existenzie­lle Tragweite.

 ?? Foto: Andreas Kohn ?? Die Großkopfer­ten im Fitnessstu­dio: Szene aus der siebten und letzten Folge der „Münchner Schichten“.
Foto: Andreas Kohn Die Großkopfer­ten im Fitnessstu­dio: Szene aus der siebten und letzten Folge der „Münchner Schichten“.

Newspapers in German

Newspapers from Germany