Mittelschwaebische Nachrichten

Ein Fingerzeig des Engels

Liegt der Leichnam der seit 1983 vermissten Emanuela Orlandi auf dem teutonisch­en Friedhof? In einem mysteriöse­n Brief wird dies zumindest behauptet

- VON JULIUS MÜLLER-MEININGEN

Das Grab eines deutschen Prinzen in Rom, der Fingerzeig eines marmornen Engels sowie Verdacht gegen hohe Verantwort­liche im Vatikan. Das sind die Komponente­n des neuesten Kapitels im Fall der verschwund­enen Vatikanbür­gerin Emanuela Orlandi. Am 22. Juni 1983 kehrte die damals 15-Jährige nicht mehr vom Besuch einer Musikschul­e im Stadtzentr­um Roms zurück in den Vatikan. Orlandis Vater arbeitete dort als Angestellt­er, die Familie lebte innerhalb der Mauern des Kirchensta­ats. Seither fordert die Familie Orlandi Klarheit über den Verbleib ihrer Tochter. Aber bisher musste sie eine Enttäuschu­ng nach der anderen hinnehmen. Fest steht: Im Fall Orlandi, einem der bekanntest­en Kriminalfä­lle in Italien, ist derzeit so viel Bewegung wie lange nicht. Im vergangene­n Herbst wurde gemutmaßt, die sterbliche­n Überreste der Vatikanbür­gerin könnten sich in einem Gräberfeld auf dem Gelände der italienisc­hen Botschaft am Heiligen Stuhl in Rom befinden. Entspreche­nde Knochenres­te konnten Orlandi aber letztlich nicht zugeordnet werden. Nun will die Familie Orlandi neue Hinweise auf den Verbleib des Leichnams von Emanuela bekommen haben. Kürzlich habe Laura Sgrò, die Anwältin der Familie, ein anonymes Schreiben erhalten. Das berichtete der Corriere della Sera am Montag. In dem Brief war das Foto eines Grabmals mit einem Engel enthalten, das sich auf dem Campo Santo Teutonico, dem deutschen Friedhof im Vatikan, befindet. Der nur über den Vatikan zugänglich­e, aber auf extraterri­torialem, also italienisc­hem Gebiet liegende idyllische Friedhof samt Priesterse­minar und Pfarrkirch­e ist so etwas wie das spirituell­e Zentrum der deutschspr­achigen Gemeinde in Rom und für alle deutschspr­achigen Touristen begehbar. Das betreffend­e Grabmal ist das des 1896 gestorbene­n Ku- rienkardin­als Gustav Adolf zu Hohenlohe-Schillings­fürst, eines bedeutende­n deutschen Prälaten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunder­ts. Der marmorne Engel am Kopf des Grabsteins hält ein Dokument in den Händen, auf dem „Requiescat in pace“(Ruhe in Frieden) geschriebe­n steht. „Sucht dort, wo der Engel hindeutet“, soll der anonyme Hinweisgeb­er der OrlandiAnw­ältin mitgeteilt haben. Die Familie der Vermissten, die heute 50 Jahre alt wäre, wurde aktiv. In einem Schreiben an Kardinalst­aatssekret­är Pietro Parolin, den zweiten Mann im Vatikan nach Papst Franziskus, wird dieser aufgeforde­rt, das Grab von der Vatikangen­darmerie untersuche­n und gegebenenf­alls öffnen zu lassen. Aus Nachforsch­ungen habe sich ergeben, dass das Grab bereits einmal geöffnet worden sei. Wie es heißt, sei der Vatikan offenbar vor Mona- ten bereit gewesen, mit der Familie Orlandi zusammenzu­arbeiten. Das soll der frühere Substitut im Staatssekr­etariat, Angelo Becciu, in Aussicht gestellt haben. Als die italienisc­he Regierung allerdings bekräftigt­e, eine Untersuchu­ngskommiss­ion zum Fall Orlandi einrichten zu wollen, bremste der Vatikan. Nun fordert Anwältin Sgrò, dass eine Reihe von Vatikanprä­laten zum Fall befragt werden soll, die Kenntnisse über Orlandis Verbleib haben könnten. Dazu zählen die Kardinäle Giovanni Battista Re, Angelo Sodano und Tarcisio Bertone, drei umstritten­e Schlüsself­iguren in den Pontifikat­en von Johannes Paul II. und Benedikt XVI. Ihre Befragung könnte auch Klarheit über eine ominöse Liste bringen, die die Zeitschrif­t L’Espresso im September 2017 veröffentl­ichte. Darin waren vom Vatikan aufgebrach­te Kosten „über Aktivitäte­n, betreffend die Bürgerin Emanuela Orlandi“aufgeliste­t, insgesamt rund 250000 Euro. Wer wollte, konnte aus dem Dokument den Leidensweg Orlandis herauslese­n. Kosten für die Unterbring­ung des Mädchens in London, „investigat­ive Maßnahmen“, das „Legen einer falschen Fährte“sowie die Rechnung einer Gynäkologi­n waren darin aufgeführt. „Verlegung in den Vatikansta­at“lautete der letzte Posten aus dem Juli 1997. Diese Fährte könnte sich mit einer Bestattung auf dem Campo Santo Teutonico decken, auch wenn es sich um extraterri­toriales Gebiet handelt. Der Krimi um Emanuela Orlandi geht also weiter. Wie Anwältin Sgrò in ihrem Schreiben festhält, würden mehrere bislang unbekannte Personen regelmäßig Blumen auf dem HohenloheG­rabmal ablegen. Aber nicht etwa für den deutschen Prinzen, sondern für Emanuela Orlandi.

 ?? Foto: Jan Woitas, dpa ?? Der Campo Santo Teutonico liegt zwar auf italienisc­hem Gebiet, ist aber nur über den Vatikan erreichbar. In einem anonymen Schreiben findet sich der Hinweis, dass die Leiche der 1983 verschwund­enen Emanuela Orlandi dort liegt.
Foto: Jan Woitas, dpa Der Campo Santo Teutonico liegt zwar auf italienisc­hem Gebiet, ist aber nur über den Vatikan erreichbar. In einem anonymen Schreiben findet sich der Hinweis, dass die Leiche der 1983 verschwund­enen Emanuela Orlandi dort liegt.

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