Mittelschwaebische Nachrichten
Viel Gift und viele Fragezeichen
Klaus O. soll seinen Arbeitskollegen schädliche Substanzen aufs Pausenbrot gestreut haben. Einer von ihnen liegt bis heute im Wachkoma. Aber es gibt kein schlüssiges Motiv
Bielefeld Warum hat Klaus O. Gift auf die Pausenbrote von Kollegen gestreut? Darauf ist beim Landgericht Bielefeld am Donnerstag keine Antwort zu erwarten. Im Prozess um die vergifteten Pausenbrote und dem Vorwurf des versuchten Mordes fällt das Gericht am Nachmittag ein Urteil. Eine Antwort auf das Warum werden die Anwälte der Opfer wohl auch zum Abschluss nicht bekommen.
Die ehemaligen Kollegen des Angeklagten hatten zum Prozessende bei den Plädoyers nochmals an den 57-jährigen Angeklagten appelliert, sich endlich zum Motiv zu äußern. Sie wollten aus seinem Mund hören, warum sie über Jahre nach wiederholten Vergiftungen immer schlimmer nierenkrank wurden. Ein dritter Kollege konnte nicht mehr selbst an dem Verfahren teilnehmen. Seine Eltern schilderten im Zeugenstand, wie ihr früher lebensfroher Sohn, angefangen mit leichten Taubheitsgefühlen und Schwächephasen, rätselhafterweise immer kränker wurde und heute im Wachkoma mit einem schweren Hirnschaden ein Pflegefall ist. Aussichten auf Besserung gibt es nicht.
Den verzweifelten Eltern auf der einen Seite saß ein Angeklagter gegenüber, der in dem Verfahren kaum eine Regung zeigte. Prozessbeobachter wollen ein kurzes Zucken gesehen haben, als die Mutter ihn im Zeugenstand als „Irren“bezeichnete.
Ihr Sohn hatte während des Studiums in dem Betrieb in Schloß Holte-Stukenbrock ausgeholfen. Wie seine älteren Kollegen hatte er ein distanziertes Verhältnis zu dem Angeklagten. Der gelernte Werkzeugmacher galt als fachlich versiert, half bei Problemen, ging ansonsten seinen Kollegen aus dem Weg. Ein Gespräch über Privates bei einer Tasse Kaffee gab es nicht. Aber auch keinen Streit.
Seine Kollegen fielen im Frühjahr 2018 aus allen Wolken, als die Sache aufflog. Herausgekommen waren die Taten, als einer der heutigen Nebenkläger auffälliges weißes Pulver auf seinen Broten entdeckte und fotografierte. Eine schnell aufgestellte Videoüberwachung überführte Klaus O. auf frischer Tat. In einem nur noch vermeintlich unbeobachteten Moment ging er an die Taschen der Kollegen, holte Dosen heraus, streute das Pulver auf die Brote und packte alles seelenruhig wieder zurück.
An einen Mordversuch dachte zunächst keiner, mehr an einen schlechten Scherz. Erst als die Ermittler Krankheitsfälle beim Personal näher beleuchteten, wurde das Ausmaß deutlich. Bei Klaus O. fanden die Ermittler Chemikalien wie Cadmium, Blei, Bleiacetat und Quecksilber und eine Notizenkladde. Außerdem belegten Spuren auf seinem Computer, dass er sich mit den Chemikalien beschäftigte.
Nach Forderung der Staatsanwaltschaft soll der Mann zu lebenslanger Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt werden.
Lebenslange Haftstrafen bei versuchtem Mord sind in Deutschland eher die Ausnahme. „Ich habe so ein Urteil in meiner Karriere erst einmal erlebt“, sagt der Berliner Opferanwalt Roland Weber. In Bielefeld könnte aber genau so ein Strafmaß verkündet werden. Da Klaus O. als psychisch gesund gilt, ist er voll schuldfähig.
Carsten Linnhoff, dpa