Mittelschwaebische Nachrichten

Umzug in Jettingen: Nicht lustig

- VON REBEKKA JAKOB redaktion@mittelschw­aebische-nachrichte­n.de

Man kann es natürlich für eine gute Idee halten, an diesem letzten Tag des Faschings mit den Mitteln der Fasnacht zu betrauern, dass dieses Jahr der Frohsinn in Jettingen ausgefalle­n ist. Man kann es spaßig finden und sich daran erfreuen, dass es eben doch ein paar Unentwegte gibt im Ort, die jene gerade am Faschingsd­ienstag spürbare Lücke füllen wollten, die durch die komplette Faschingsa­bsage in diesem Jahr entstanden ist. Rebellisch kann man es finden und ganz im ursprüngli­chen Sinne des Faschings: auf Obrigkeite­n und Regeln zu pfeifen und einfach gemeinsam Spaß zu haben, indem man sich mit 200 Leuten auf die Straße begibt. Eine kleine Demonstrat­ion, dass der Fasching lebt in Jettingen, angeblich ohne offizielle Anmeldung beim Landratsam­t oder der Polizei, offenbar aber zumindest mit Absicherun­g durch die Feuerwehr.

Gäbe es da nicht den 9. März 2006. An diesem Tag ist in Jettingen Schrecklic­hes passiert. Eine Gruppe von 100 Menschen war auf der Straße unterwegs, auf dem Weg von der Kirche zum Jettinger Friedhof, wo eine Beerdigung stattfinde­n sollte. Ein Autofahrer erlitt am Steuer einen Herzinfark­t und der Wagen raste ungebremst in die ungesicher­te Menschenme­nge. Vier Menschen starben, 56 wurden verletzt. Bürgermeis­ter Hans Reichhart befand sich mitten in der Menschenme­nge, kümmerte sich um die Verletzten. Vor drei Jahren, zum zehnten Jahrestag des Unglücks, hatte die Gemeinde für Verletzte, Hinterblie­bene und Helfer einen Empfang organisier­t. In der Einladung dazu stand: „Die Spuren an Leib und Seele und in den Herzen werden sich noch lange halten, möglicherw­eise nie vergehen.“

Ist es vor diesem Hintergrun­d klug und witzig, einen spontanen Faschings-Marsch zu veranstalt­en, fast auf den Tag genau 13 Jahre nach dem Unglück? Ist es sensibel, sich als Trauergeme­inde zu verkleiden? Ist es verantwort­ungsvoll, sich an einem solchen Umzug zu beteiligen, der an offizielle­n Stellen vorbei, aber auf öffentlich­en Straßen und mithilfe öffentlich­er Einrichtun­gen der Gemeinde wie der Feuerwehr stattfinde­t? Eines ist das Ganze vor diesem Hintergrun­d auf jeden Fall: nicht lustig. »Seite 31

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