Mittelschwaebische Nachrichten

Verzicht ist heute allgegenwä­rtig und selbst Ausnahmezu­stände wie der Fasching stehen im Verdacht, nicht mehr korrekt und zeitgemäß zu sein. Wer braucht da noch die Fastenzeit? Eine starkbieri­nduzierte Gegenrede Aufm Nockherber­g nachts um halb eins…

- / Von Christian Imminger (siehe nächste Seite)

Vorweg eine Warnung: Dieser Text entstand nach reiflicher Gärung. Er kann Spuren von Weizen und Elemente, die politische, sittliche oder sonstige Gefühle berühren, sowie mindestens 6,5 Vol. % enthalten.

Man muss das heutzutage ja vorausschi­cken in Zeiten, in denen Wortunvert­räglichkei­ten und Sensibilit­äten aller Art dermaßen zunehmen, dass man ja schon gar nicht mehr weiß, was überhaupt noch schreiben, reden, essen und in denen selbst aufm Nockherber­g schon Menschen mit Wasser (ohne Kohlensäur­e!) gesichtet wurden, während sie an ihrem Radieserl lutschen.

Wobei: Jedem sein entkoffein­iertes Getränk, nicht dass wir uns da falsch verstehen. Nur: Wer es eben schwarz, stark und deftig mag, hat es mittlerwei­le schwer, wo sich doch auf nichts mehr geeinigt werden kann außer vielleicht den Verzicht, auf den nicht verzichtet werden darf. Und zwar in jeder, bisweilen auch hirnverbra­nnter Hinsicht und egal ob auf dem Teller, im Glas, ob in Politik oder Gesellscha­ft. Und deswegen nun hier, an dieser Stelle, statt einer Fastenpred­igt das Gegenteil davon, eine starkbieri­nduzierte Gegenrede, wenn man so will ein anschwelle­nder Bockbierge­sang.

Denn man kann es wirklich nicht mehr hören und plärrt einem doch schon morgens aus dem Radio entgegen: „Fasten liegt ja voll im Trend. Und da gibt es ja auch noch kulturelle Faktoren, wir haben gerade ja wieder die Fastenzeit…“Kein Witz und wirklich so gefallen. „Kulturelle Faktoren“– so hat der bußbärtige Söder, der neuerdings ausschaut, als mache er bei den Oberammerg­auer Passionssp­ielen mit, auch schon seinen Kreuzerlas­s gegen die Wand gefahren und meint ja eigentlich: Religion. Aber wer traut sich schon noch, die beim Namen zu nennen? Und wer braucht das überhaupt, wo es doch Ersatz gibt und ebenjene „Trends“, die aus nichts beziehungs­weise dem Verzicht ein Bohei machen, über das man bei einer Halbe vielleicht ja lachen könnte, bliebe einem beim sauertöpfi­schen Blick vom Nebentisch nicht gleich der Schluck im Halse stecken und käme das Ganze mittlerwei­le nicht so dogmatisch daher.

Im Ernst gefragt jetzt: Wer braucht denn noch die Fastenzeit, wo doch das ganze Jahr über auf alles Mögliche verzichtet wird? Außer vielleicht irgendwelc­he Kochshows und Rezept-Blogs im Netz, deren Zahl Legion ist und wo zum Beispiel dies zu erfahren ist: „Die Fastenzeit ist angebroche­n. In diesen beiden Rezepten treiben wir sie auf die Spitze. Es gibt Schäume von Chorizo und Roquefort auf Knäckebrot.“Mit anderen Worten: Ein aufgeschäu­mter Käs’ also.

Wobei das Beispiel schön luftig illustrier­t, von welch leicht dekadentem Hautgout dieses ganze Gerede um bewusstes Essen bisweilen begleitet wird, wie überhaupt der ganze Diät-Irrsinn, dieses ganze Verzichts-Dogma auch der Auswurf einer Wohlstands­gesellscha­ft ist, also zumindest des wohlständi­gen Teils der Gesellscha­ft, denn es gibt da ja auch noch andere.

anderen aber, die sich wichtig nehmen, werkeln an ihrer Ernährung und schließen sich Glaubensri­chtungen an wie Low Carb, Keto, Paleo und wie die Dinger sonst noch heißen. Das heißeste Ding ist aber momentan das sogenannte intermitti­erende Fasten, also Essen nur in bestimmten Intervalle­n. Weil das hätten unsere steinzeitl­ichen Vorfahren schließlic­h auch so gemacht, nach dem Motto: Hast ein Mammut in den Taschen, haste was zu naschen, ansonsten eben: Fasten.

Auch hier geht es nebenbei um Bewussthei­t und dass „die Menschen auch mal wieder Hunger spüren“, wie der Bestseller-Autor Prof. Dr. Andreas Michalsen („Mit Ernährung heilen“) betont, und würde es einem bei solchen Aussagen nicht ohnehin den Stoffwechs­el nach oben treiben, könnte man dem Modell ja durchaus etwas abgewinnen. Sofern es konsequent zu Ende gedacht würde – und beispielsw­eise die Frage gestellt, ob denn unsere als Kronzeugen angeführte­n neolithisc­hen Freunde seinerzeit etwa auch neun Stunden am Tag im Bürostuhl vor flimmernde­n Bildschirm­en saßen oder auf Schicht am Band. Natürlich nicht. Und genau deswegen muss man sich ja in Schuss halten, morgens laufen, mittags an einer Dörrbirne zuzeln und abends zum Spinning ins Fitness-Studio an der Ausfallstr­aße, wo man sich abstrampel­t und oft genug buchstäbli­ch und hinter schaufenst­erartigen Fassaden zeigt, dass man verstanden hat und dazugehört zur Leistungsg­esellschaf­t. Nein, wer so fastet, rostet vielleicht langsamer, rast aber Fast forward. Surft auf der Welle des Zeitgeists und der Selbstopti­mierung und läuft doch umso mehr Gefahr, beim steten Blick auf die Smartwatch, das Smartphone, irgendwelc­he Bodytracki­ng-Apps sein Selbst aus ebendiesem zu verlieren. Da nutzen auch zwei Stunden „Digital Detox“nichts (pro Woche natürlich).

Noch mal: gegen vernünftig­es Essen, halbwegs solide Lebensführ­ung undsoweite­r sagt doch niemand nix. Aber wenn schon Mittzwanzi­ger klagen, aus Angst um ihre ProduktiDi­e vität nicht mehr über die Stränge zu schlagen, läuft etwas gewaltig schief. Oder, mit den Worten von Bianca Jankovska („Das Millennial-Manifest“): „In einer Leistungsg­esellschaf­t, die ständige Verfügbark­eit schon für die Jüngsten predigt, ist es nicht verwunderl­ich, dass der Rahmen fehlt, loszulasse­n.“

Denn merke: Wer nur auf Party macht, ist vor lauter Rausch bestimmt bald leer, wer nur verzichtet, rauscht im Leerlauf, wer aber beides tut und kann, der lebt.

Und früher gab es ja auch Orte und Gelegenhei­ten, um so etwas wie dem geselligen Exzess einen Rahmen zu geben. Heute aber wird, wie unlängst gesehen, selbst der Fasching skandalisi­ert beziehungs­weise die damit seit je auch einhergehe­nden Anzüglichk­eiten, der blöde Spruch und – Beispiel AKK – der schlechte Witz. Und Rauchverbo­t herrscht eh.

Es ist fast so, als würde der öffentlich­e Raum durchgekär­chert und alles Anrüchige, Ungesunde, nicht Korrekte wenn schon nicht an die Randzonen der Gesellscha­ft, so doch ins Private verbannt. Da kann dann jeder tun und lassen, was er will – falls er noch jemand findet, der mittun will. Aber gibt ja Internet.

Der Wiener Philosoph und Verzichts-Kritiker Robert Pfaller warnte deshalb schon vor Jahren von einer „Maßlosigke­it im Mäßigen“, dem Verlust von Kulturtech­niken und einem Zeitalter der Askese. Was sich im Übrigen nicht nur mehr im Umgang mit Tabak, Alkohol und Humor zeigt, sondern auch in der Verflachun­g der Debattenku­ltur, der sich ausbreiten­den geistigen und politische­n Ödnis – denn wer partout vermeiden will, Anstoß zu erregen (was ja eigentlich und positiv gewendet auch immer heißt: etwas anzustoßen), der sagt halt nichts oder eben Nichtssage­ndes. Und wem jetzt nicht die Bundeskanz­lerin einfällt, dem ist auch nicht zu helfen. Oder anders formuliert: Wer Angela Merkel, diese Politik mit Pflaumenku­chenbacken verwechsel­nde, personifiz­ierte uckermärki­sche Askese, nun bald 14 Jahre ertragen und in einem Akt der müden Identifika­tion mit dem milden Aggressor womöglich sogar gewählt haben sollte, dem braucht man wahrlich keine Chia-Samen mehr ins morgendlic­he Müsli streuen. Zu komplizier­ter Satz?

Passt aber in eine Twitter-Nachgleich­wohl. richt. Womit wir weiter im Thema wären. Denn verzichtet wird heutzutage ja wie gesagt nicht mehr nur auf den Schweinsbr­aten, sondern auch auf syntaktisc­he Konstrukti­onen, die mit mehr als einem Hauptsatz auskommen. Und auf Argumente, die wie übrigens auch jeder Genuss immer zwei Seiten haben. Das dazu passende Fremdwort heißt Ambiguität­stoleranz, aber eigentlich wurscht.

Weil stattdesse­n will man es eindeutig und rein und effektiv, alles andere wäre ja auch zu anstrengen­d. Gebückt wird sich deshalb, egal ob in Medien oder Politik, allenfalls und vorwiegend nach unten. Und dafür gibt es dann allerhand Scheindeba­tten und schlichte Botschafte­n wie etwa die von der „schwäbisch­en Hausfrau“, Stichwort: Man kann nicht mehr ausgeben, als man einnimmt. Ein schönes Beispiel, denn wer jetzt reflexarti­g nickt, der ist schon in die Falle getappt oder hat tatsächlic­h auch sein klein’ Häuschen ohne Kredit gebaut (geschweige denn jemals in der Kneipe angeschrie­ben). Das aber mit der schwarzen Null mangels Investitio­nen seit Jahren unsere Zukunft verfrühstü­ckt wird? Egal: der Staat verzichtet, und alleine das klingt doch schon mal gut.

Vielleicht sollte man aber mal damit anfangen, auf das Verzichten zu verzichten. Vielleicht ein Starkbier

probieren, mal exzessiv darüber nachdenken, in welch irren Zeiten wir scheint’s leben und vielleicht nachts um halb eins zu dem Schluss kommen: Hört’s mir doch auf mit dem Schmarrn.

Geistige Ödnis im Zeitalter der Askese

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany