Mittelschwaebische Nachrichten
Jetzt spielen wir mal Gott
Religionsunterricht und Video-Games
der Kunstgeschichte von ihrer Säule stürzen will. Kaum subversive Aneignung, wie sie die Künstler der Appropriation Art praktizieren. Dafür ein freier, verspielter Umgang mit den Meisterwerken, der für die digitale Meme-Kultur der Gegenwart typisch ist. „Die Originale sind ein Werkstoff“, erklärt Kurator Marco Hompes. Und verweist auf die vielen hundert Varianten der „Mona Lisa“, die in sozialen Netzwerken geteilt werden.
Natürlich sind die in der Villa Rot gezeigten Arbeiten komplexer als Internet-Memes – und manchmal kaum oder gar nicht als Bearbeitungen großer Werke zu erkennen. Oft verwendeten die Künstler Computerprogramme, und sei es nur zur Bildbearbeitung – wie Hiroyuki Masuyama, der die idealisierten Landschaften aus Gemälden des Malers Caspar David Friedrich aus hunderten von Fotos zusammenpuzzelte. Der Romantiker Friedrich ist der am häufigsten vertretene Originalmeister in der Ausstellung.
So reduziert Sven Drühl dessen Bild „Das Eismeer“auf wenige markante Linien – und macht daraus ein Lichtobjekt. Dasselbe Gemälde verwandelt Mathias Kessler am PC in eine dreidimensionale Landschaft, die er als Fotografie ausdruckt. Der Künstler Janus zerlegt den ikonischen „Wanderer über Nebelmeer“in seine Farben, die er auf Leinwand als parallele vertikale Linien nach ihrer Häufigkeit sortiert.
Generell hat „Inspiration Meisterwerk“zwar humorvolle Momente – wie etwa die Arbeiten von Susi Gelb, die die Glühbirne von Joseph Beuys „Capri-Batterie“zeitgemäß durch eine Energiesparlampe ersetzt. Aber ein rein ironisches Zitieren findet nicht statt. Vielmehr geht es vielen Künstlern darum, die Originalwerke durch einen neuen Kontext auf Bedeutung und ästhetische Qualitäten abzuklopfen. So wie Otto Scherer, der für seine „Hommage an die Moderne“Bilder von Josef Albers, Piet Mondrian und Kasimir Malewitsch in würfelförmige Objekte transformiert, oder Jürgen Knubben, der die Berliner Nofrete- te auf wenige Flächen reduziert, ohne ihr die Wiedererkennbarkeit zu nehmen. Anderes ist konzeptueller: Der französische Künstler Saâdane Afif sammelte für seine Serie „Fountain Archive“Publikationen mit Abbildungen von Marcel Duchamps Urinal – und erklärt diese dann, ausgeschnitten und gerahmt, wiederum zur Kunst.
In der an die Villa angebauten Kunsthalle bleibt die Gruppenschau „Pirating Presence“im Thema, wobei die beteiligten Künstler nicht nur aus der Kunstgeschichte schöpfen, sondern auch aus der Populärkultur. Manchmal auch aus beidem gleichzeitig, so wie Margret Eicher, die digital collagierte Szenen als großformatige Wandteppiche produzieren lässt. Ihre Arbeit „Geburt der Venus 2“zitiert Sandro Bottidem celli – zeigt aber die schwangere R&B-Sängerin Beyoncé in einem U-Bahnhof – über einem Bett aus Tattoo-Blüten, flankiert von PrilBlümchen und Parfüm-Flacons. Eine opulente Arbeit, die von Adi Hoesle wiederum aufgenommen wird und mittels Software in abstrakte Muster übersetzt wird. Große Kunst und Trash, Pop und Kommerz liegen im digitalen Zeitalter dicht beieinander. Heutige Künstlergenerationen können aus einem Fundus schöpfen, von dem die alten Meister nur träumen konnten. Sie vertreten die Meinung, dass Computerspiele einen besonderen Zugang zu Schülern schaffen können?
Ich formuliere es mal so: Alle Jungs in meiner sechsten Klasse spielen das Computerspiel „Fortnite“und verbringen sehr viel Zeit damit. Mit Zustimmung der Eltern haben wir auch gemeinsam gespielt. Die Schüler fanden es großartig, diese Erfahrung mit ihrem Lehrer zu teilen. Wenn Kinder sehen, dass sich ihr Lehrer dafür interessiert, was ihnen wichtig ist, dann interessieren sie sich auch ein Stück mehr dafür, was im Unterricht passiert. Es ist ein Schritt, die Leidenschaft der Kinder zu teilen und zu verstehen, warum sie das machen.
Was macht ein Computerspiel zur Nutzung im Religionsunterricht attraktiv?
Es gibt Spiele, in denen ein Prophet auftritt und handelt. Damit hat man eine Verbindung zu den Prophetengeschichten in der Bibel. Solche Spiele bevorzugen Religionslehrer, die sich mit Computerspielen nicht so gut auskennen.
Wie steht es mit Spielen, die keine solchen illustrierenden Beispiele enthalten?
Es eignen sich nicht nur Spiele, die einen religiösen Charakter in den Vordergrund stellen, sondern auch solche, die die Jugendlichen motivieren, mit ihrem Wissen etwas anzufangen. Wie technisch aufwendig ein Spiel ist, spielt natürlich auch eine Rolle. Wenn das Spiel beispielsweise im Internetbrowser aufgerufen werden kann und ohne Installation auskommt, kann eine Klasse schnell einsteigen.
Was kann ein Computerspiel im Religionsunterricht leisten?
Es gibt beispielsweise Göttersimulationen, bei denen die Schüler selbst in die Rolle eines Gottes schlüpfen und ein Volk steuern, wie im Spiel „Black and White“oder aktuell in „Godhood“. Daran lässt sich die Unterrichtsfrage der Gottesbilder greifbar machen.
Wie?
Eine Gruppe von Schülern spielt das Spiel und überlegt, wie sich der gespielte Gott gegenüber seinen Gläubigen verhält. Handelt es sich um einen gewaltvollen oder friedlichen Gott? Ist es in Ordnung, als Gott in das Leben der Gläubigen einzugreifen? Mit solchen Beispielen sind Lehrer und Klasse mitten im Thema. Durch das Spiel wird es greifbarer. Kein Mensch kann sich vorstellen, was es heißt, allmächtig zu sein. Aber in einem Spiel kann der Spieler das simuliert erfahren.
Wo liegen die Grenzen?
Es ist nicht immer gewährleistet, dass ein Computerspiel alle Schüler gleichermaßen anspricht. Das gilt aber für alle verwendeten Medien im Unterricht. Gerade bei Computerspielen ist es als Lehrer wichtig, seine Lerngruppe im Blick zu behalten, auch mit Blick auf Schülerinnen. Als Lehrer muss man darauf achten, welche Spiele auch bei Mädchen gut funktionieren.
Gibt es durch Computerspiele noch andere Zugriffsmöglichkeiten auf die Religion?
Spiele lassen sich auch thematisieren, ohne sie im Klassenraum zu spielen. Beispielsweise gibt es Schüler, die eine besondere Beziehung zu einem Spiel haben, weil ein verstorbener Verwandter ein großer Fan davon war. So etwas zu besprechen, kann auch in den Religionsunterricht passen. Interview: L.K., kna