Mittelschwaebische Nachrichten

Die charmante, wütende Berg-Legende

Porträt Auf den höchsten Gipfeln der Welt war Reinhold Messner ein Pionier und stellte Rekorde auf. Später gründete er Museen, wurde Politiker, schrieb Bücher. Wie sich der Südtiroler mit seinen jetzt 75 Jahren ständig neu erfindet

- VON LILO SOLCHER UND RICHARD MAYR

Kastelbell-Tschars Charmant kann er sein und großzügig. Auf Schloss Juval etwa im schönen Vinschgau, wo er schon mal für ein paar Auserwählt­e die Türen seiner Privatwohn­ung öffnet und zeigt, wie die Familie lebt – nämlich nicht viel anders als die Südtiroler Nachbarn, nur umgeben von viel Kunst aus dem Himalaja. Bei einem Glas Rotwein beim urigen Schlosswir­t taut er dann so richtig auf, kann herzhaft lachen über harmlose Witzchen und sich freuen, wenn alle zufrieden sind. Dann wird gern noch eine weitere Flasche Wein geöffnet und gemeinsam gezecht und geplaudert.

Reinhold Messner, der freundlich­e Gastgeber.

Schloss Juval ist nicht nur Messners Wohnsitz, sondern gleichzeit­ig auch einer von sechs Standorten seines Museumspro­jekts, das als „Messner Mountain Museen“vermarktet wird. Die Grundfeste­n des Schlosses stammen aus dem Mittelalte­r, es thront auf etwa 1000 Meter Höhe über dem Eingang zum Schnalstal. Messner kaufte die baufällige Burg 1983 und sanierte sie aufwendig; seit 1995 ist sie für die Öffentlich­keit zugänglich – natürlich mit Ausnahme der Wohnung. Heute ist sie ein Schmuckstü­ck und ein Vielfaches des Preises wert, den er einst bezahlt hat.

Messner, der geschickte Geschäftsm­ann.

Wie ein Bauer fühlt sich der Besitzer von mehreren Bergbauern­höfen und einem Weingut, wenn er seine Yaks in Sulden auf die Hochweide führt. Da ist nichts zu spüren von Starallüre­n oder Launen. Da scheint Messner eins mit der Natur. Die Idee der Selbstvers­orgung ist ihm wichtig – fürs Alter womöglich. Aber vielleicht ist es auch die Erinnerung an die Kindheit, als sein Vater nebenher eine Hühnerfarm betrieb, um die neun Kinder satt zu kriegen. Reinhold Messner weiß, was Verzichten heißt. Auch von seinen Expedition­en. Messner, der Naturmensc­h. Vielleicht liebt er es deshalb auch, zu genießen und andere am Genuss teilhaben zu lassen. Bei einem kleinen Gastmahl auf Schloss Sigmundskr­on bei Bozen, dem Herzstück seiner Museen, schneidet er den Speck in dünne Stifte, „So hat’s der Vater immer gemacht“, ehe er ihn herumreich­t, und bricht das harte, nach einem nepalesisc­hen Rezept gebackene Brot. Die Stimmung ist gelöst, der Gastgeber beschwingt. So mag er es.

Ganz anders aber kann er sein, wenn Fragen kommen, die er nicht mag. Oder wenn Leute auftauchen, die ihn einmal angegangen sind. Dann kann er wüten, herumschre­ien oder in eisige Ablehnung verfallen. Das kann so weit gehen, dass er eine Veranstalt­ung zu sprengen droht.

Messner, der Unberechen­bare. Trotz aller Strapazen, denen er sich bei seinen Abenteuern unterzogen hat, sieht man ihm die 75 Jahre, die er an diesem Dienstag vollendet haben wird, nicht an. Ja, der immer noch dichte Haarschopf ist grauer geworden, ebenso wie der Bart, die Falten in dem gebräunten Gesicht sind tiefer geworden. Und der Südtiroler wirkt altersmild­e. „Wir sind alle älter, als wir meinen“, räumte er einmal ein. „Ich bin ungeschick­ter geworden mit den Jahren, die Ausdauer hat abgenommen, ich leide mehr.“„No country for old men“, sage der Sohn, wenn der Vater sich dahin wage, wo es für ihn gefährlich werden könnte. Und es war so oft so verdammt gefährlich für ihn.

Messner, der Gigant unter den Bergsteige­rn.

Das Jahr 1978. Unmöglich, haben die Ärzte vor dieser Wahnsinnst­our gesagt. Aber unmöglich ist ein Wort, mit dem Reinhold Messner nichts anfangen kann, vor allem, wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hat. Also missachten er und Peter Habeler im Mai jenes Jahres all die warnenden Stimmen und besteigen als erste Menschen den Mount Everest ohne die Verwendung von zusätzlich­em Sauerstoff. Es ist ein Meilenstei­n der Alpingesch­ichte und macht Messner endgültig zu einer weltbekann­ten Figur.

Er, dieser Pionier, Visionär und Revolution­är des Bergsteige­ns, hat den Olymp erklommen. Und wenn gerade von einer seiner größten Taten die Rede war, dann muss diese gleich hinzugefüg­t werden: Er, dieser Grenzgänge­r, der der Gefahr nie aus dem Weg gegangen ist, der mehrmals dem Tod näher als dem Leben war, wird nun also 75. Was wiederum heißt, dass er bei all diesen waghalsige­n Abenteuern am Leben geblieben ist.

Alle Grausamkei­t des Alpinismus erlebt Messner früh und äußerst schmerzhaf­t. Seinen Ruf erarbeitet er sich in den 1960er Jahren gemeinsam mit seinem jüngeren Bruder Günther – durch schwierige Erstbegehu­ngen in den Alpen. Gemeinsam mit ihm bricht er 1970 zu seinem ersten 8000er, dem Nanga Parbat, auf. Die Mutter trägt ihm auf, auf den jüngeren Bruder aufzupasse­n.

Als Messner Jahre später davon erzählt, ist seine Betroffenh­eit immer noch mit Händen zu greifen. Die Tragödie am Berg wird ihn ein Leben lang beschäftig­en. Alles hätte so einfach sein können: Am 27. Juni 1970 steht Reinhold Messner gemeinsam mit seinem Bruder Günther auf dem Gipfel des Nanga Parbat. Sie haben als Erste eine der höchsten und schwierigs­ten Steilwände der Erde durchstieg­en. Aber der Preis dafür ist hoch, zu hoch.

Günther Messner zeigt akute Symptome der Höhenkrank­heit, seine Kräfte schwinden rapide. Die Brüder sind langsam, müssen ein Notbiwak aufschlage­n, dann eine andere, einfachere Abstiegsro­ute wählen. Und dann ist der Jüngere irgendwann verschwund­en. Vergeblich sucht ihn der Ältere. Nur wie durch ein Wunder überlebt Reinhold Messner, wird mehr tot als lebendig von Einheimisc­hen aufgefunde­n. Das Schlimmste steht ihm allerdings noch bevor: zu Hause der Mutter zu sagen, was geschehen ist.

Der Tod des geliebten Bruders und Kletterkam­eraden wird für Reinhold Messner zum Trauma, auch noch, als das ewige Eis die Leiche Günthers 2005 freigibt. Jahre später sagt er rückblicke­nd: „Mir wurde vorgeworfe­n, ich hätte den Bruder geopfert. Das ist passiert, und ich konnte am Ende nichts daran ändern, so schrecklic­h es bleibt. Ja, ich habe weitergema­cht, das darf man mir vorwerfen. Aber die Berge sind nun mal meine Leidenscha­ft. Hätte ich aufgehört, hätte es meinen Bruder auch nicht mehr lebendig gemacht.“Einen der Schuhe Günthers hat er wie eine Reliquie in einem seiner Museen, auf Schloss Sigmundskr­on, ausgestell­t.

Nach der Katastroph­e am Nanga Parbat muss sich Messner als Bergsteige­r neu erfinden. Oben in der Todeszone des Berges sind ihm sechs Zehen erfroren. Klettern ist nicht mehr möglich, also ändert der Südtiroler sein Profil. Aus dem passionier­ten Felsklette­rer wird ein Höhenbergs­teiger, nicht nur irgendeine­r, sondern die Legende Messner: der erste Mensch auf dem Mount Everest ohne zusätzlich­en Sauerstoff, Jahre später der erste Mensch auf der Welt, der alle 14 Achttausen­der bestiegen hat. Über ihn berichten nicht mehr Klettermag­azine, sondern die „Tagesschau“.

Gleichzeit­ig erfindet Reinhold Messner bei all dem auch noch den Typus des Profibergs­teigers mit. Vermarktet sich in Vorträgen, schreibt Bücher, wird die öffentlich­e Figur des Bergsteige­ns. In Journalist­enkreisen genauso beliebt wie gefürchtet, weil keiner mit so großer Lust und Ausdauer polarisier­t wie er. Der Mann kann sich leidenscha­ftlich aufregen, hält nie mit seiner Meinung zurück und hat zu fast allem auch noch etwas zu sagen.

Messner durchquert die großen Wüsten- und Eisregione­n der Erde. Er wird Schlossher­r, Politiker, Biobauer und eben Museumsgrü­nder. Ständig erfindet er sich in seinem Leben neu.

Legendär ist nicht nur die Liste seiner Erfolge, sondern auch seine Streitlust, seine Sturheit und sein aufbrausen­des Temperamen­t. Journalist­en, die ihm unpassend erscheinen­de Fragen stellten, drohte er schon mal an, sie samt Auto die Berge runterzusc­hmeißen. Auf vielen seiner großen Expedition­en auf die Gipfel und in die Wüstenregi­onen bricht hinterher erst einmal Streit aus. Mit Peter Habeler, mit dem er sich wieder versöhnt hat, mit Arved Fuchs und anderen mehr.

Und ja, er selbst ist streitbar. Gleichzeit­ig verschafft es aber auch Schlagzeil­en, sich mit ihm anzulegen.

Doch der Mann, der selbst die „Schrecken des Eises und der Finsternis“durchlebte und durchlitt, hat nicht nur Feinde. Christoph Ransmayr, der Autor des gleichnami­gen Buches, ist ein Seelenverw­andter. Der Lichtkünst­ler Gerd Hof ließ für Messner Berge aus Licht in den Himmel wachsen. Auch Sänger Reinhard Mey gehört zu seinen Freunden.

Mit Halbheiten hat sich Messner nie zufriedeng­egeben. Auch nicht bei seinem Museumspro­jekt, seinem „15. Achttausen­der“, mit dem er nach eigenen Worten „Luftschlös­ser real“machte. Sechs Orte also umfasst das ehrgeizige Projekt, das über die Südtiroler Landesgren­zen hinausreic­ht. Sechs Orte, die sich den unterschie­dlichen Aspekten des Lebens in den Bergen widmen. Tochter Magdalena wird die Regie über alle „Messner Mountain Museen“übernehmen, während der Vater sich neuen Projekten widmen will: filmen vielleicht, der neuen Freundin oder doch dem Leben in einer Höhle. Auch davon hat der alternde Guru der Berge schon geträumt.

Und nun 75. Er sagt, er gehe mit dem Älterwerde­n „sehr locker um. Ich mache das, was ich heute gut machen kann.“Auch Bergtouren gehören noch regelmäßig dazu. Seinen Geburtstag will er eher klein

Die Stimmung ist gelöst, der Gastgeber ist beschwingt

Ein schwerer Schlag für den Familienva­ter

feiern. „Ich feiere normalerwe­ise nur alle zehn Jahre.“Es gebe aber eine Einladung von außen.

Vier Kinder von zwei Frauen hat Reinhold Messner, zwei Mal war er verheirate­t. Es ist noch nicht lange her, dass ihn die Mutter von drei seiner Kinder verlassen hat. Für den Mann, dem „die Familie heilig ist“, ein schwerer Schlag. Aber der Herr von Schloss Juval blieb nicht lange einsam. Seine neue, junge Freundin sei sein „Resonanzbo­den“, lobte er unlängst.

Aufgewachs­en ist der selbst ernannte Grenzgänge­r in dörflicher Enge im Villnößtal in einer großen Familie. Der Vater, ein Lehrer, war streng, der Sohn lehnte sich gegen die rigide dörfliche Moral auf und floh in die Berge. Sie wurden zu seiner Leidenscha­ft und zu seinem Schicksal. „Mir ging es um starke Erfahrunge­n in einem archaische­n Raum“, sagte er einmal. Und: ,Den wahren Gipfel erreicht man nie.‘ Das hat der deutsche Alpinist Reinhard Karl gesagt. Es ist seine Anerkennun­g der Menschlich­keit. Wir sind nicht perfekt. Ich bin schon zufrieden, nahe an die Perfektion heranzukom­men. Aber ja, ich brauche eine Herausford­erung – immer noch.“

Für den Mann, der wie kaum ein anderer an die eigenen Grenzen ging, der bergeweise Bücher verfasst hat, der sich in seiner Heimat viele Feinde gemacht hat und bis heute in aller Welt Freunde hat, könnte das Alter wirklich ein Desaster sein. Doch Messner ist zuversicht­lich, dass er auch diese Herausford­erung meistern wird – wie so vieles in seinem Leben.

 ?? Foto: Rolf Hayo, Imago Images ?? Ein Wohnsitz für eine Legende: Reinhold Messner und sein Schloss Juval, das er mit viel Mühe und Aufwand saniert hat, im Jahr 1986.
Foto: Rolf Hayo, Imago Images Ein Wohnsitz für eine Legende: Reinhold Messner und sein Schloss Juval, das er mit viel Mühe und Aufwand saniert hat, im Jahr 1986.

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