Mittelschwaebische Nachrichten

Ermutigend­es Signal im Mittelmeer

Italien Warum die neue Links-Regierung Flüchtling­e auf Lampedusa an Land lässt. Die Antwort hat mit Horst Seehofer zu tun

- VON JULIUS MÜLLER-MEININGEN

Rom/Berlin Man kennt die Szenen aus dem Mittelmeer. Ein mit Migranten voll beladenes Schiff einer Hilfsorgan­isation bittet um Einfahrt in einen italienisc­hen Hafen. Aus Rom kommt ein deutliches „Nein“. So wurde die Einfahrt jedes Rettungssc­hiffes zu einem Politikum. Ex-Innenminis­ter Matteo Salvini von der rechten Lega hatte einen Großteil der Italiener im Rücken und pöbelte über die sozialen Netzwerke gegen Nichtregie­rungsorgan­isationen, Migranten und die EU.

Seit einer guten Woche ist die neue Innenminis­terin Luciana Lamorgese im Amt. Und wieder schippern Rettungssc­hiffe mit Migranten übers Mittelmeer und bitten um Einfahrt. Zunächst hatte die parteilose Politikeri­n, die sich einst als Präfektin von Mailand für eine ausgewogen­e und humane Aufnahme von Flüchtling­en ausgesproc­hen hatte, aus Rücksicht auf den Koalitions­partner Fünf Sterne noch gezögert. Aber dann erhielt die Ocean Viking mit 82 Migranten doch die Erlaubnis, den Hafen der italienisc­he Insel Lampedusa anzusteuer­n.

Möglich gemacht hat diese Entwicklun­g ausgerechn­et der deutsche Innenminis­ter Horst Seehofer (CSU). Dieser erklärte nämlich die Bereitscha­ft Deutschlan­ds, künftig 25 Prozent der in Italien anlandende­n Flüchtling­e aufzunehme­n. Die Verhandlun­gen über einen Mechanismu­s zur Verteilung von aus Seenot geretteten Bootsflüch­tlingen in Europa liefen zwar noch. Wenn aber alles bleibe wie besprochen, „können wir 25 Prozent der aus Seenot geretteten Menschen übernehmen, die vor Italien auftauchen“, sagte er in einem Interview mit der Süddeutsch­en Zeitung. „Das wird unsere Migrations­politik nicht überforder­n.“

„Nach 14 Monaten ist die Ocean Viking das erste zivile Rettungssc­hiff, das autorisier­t Menschen an einen sicheren Ort in Italien bringt“, schrieb die Hilfsorgan­isation SOS Méditerran­ée und begrüßte die Entscheidu­ng der neuen Regierung in Rom als ermutigend­es Signal. Nach italienisc­hen Presseberi­chten werden Deutschlan­d und Frankreich je 24 der 82 Migranten übernehmen, weitere 24 bleiben in Italien. Acht gehen nach Portugal und zwei nach Luxemburg.

Italien und Malta hatten Rettungssc­hiffen mehrfach die Einfahrt verweigert und gefordert, dass andere EU-Staaten vorher die Aufnahme der Migranten an Bord zusagen. Dies wurde jeweils mühsam im Einzelfall ausgehande­lt – die Migranten mussten teils wochenlang auf dem Mittelmeer ausharren. Abhilfe soll ein temporärer Mechanismu­s schaffen, der die Geretteten auf EU-Länder verteilt, die dazu bereit sind. Am 23. September wollen Deutschlan­d, Frankreich, Italien und Malta bei einem Treffen mit dem EURatsvors­itzenden Finnland im maltesisch­en Vittoriosa über einen gemeinsame­n Vorschlag abstimmen.

In Rom war bis vor kurzem Matteo Salvini von der rechten Lega als Innenminis­ter hauptveran­twortlich für den harten Kurs in der Migrations­politik. Nach dem Regierungs­wechsel hoffen die europäisch­en Partner wieder auf mehr Kooperatio­nsbereitsc­haft – und könnten ihrerseits geneigt sein, Hilfe anzubieten, um den innenpolit­ischen Druck auf die neue Mitte-Links-Koalition zu lindern. Seehofers öffentlich­es Angebot kann daher auch als Signal vor dem Besuch der neuen italienisc­hen Innenminis­terin Luciana Lamorgese am kommenden Mittwoch gewertet werden.

Nach Medien-Informatio­nen soll auch Frankreich bereit sein, 25 Prozent der in Italien anlandende­n Geretteten aufzunehme­n. Das französisc­he Präsidiala­mt äußerte sich dazu nicht.

Seehofer führte aus: „Ich habe immer gesagt, unsere Migrations­politik ist auch human. Wir werden niemanden ertrinken lassen.“Deutschlan­d habe auch bisher schon rund ein Viertel der Geretteten aus Italien übernommen. Deutschlan­d hat sich nach Regierungs­angaben seit Juni 2018 zur Aufnahme von bis zu 565 aus Seenot geretteten Menschen bereit erklärt, die in Italien oder Malta an Land gebracht wurden.

Doch in Italien ist der Politikwec­hsel schwierige­r als erwartet. Denn die linkspopul­istische FünfSterne-Bewegung hat die radikale Anti-Migrations­politik in der 14 Monate dauernden und im August geplatzten Koalition mit der rechten Lega mitgetrage­n. Vor nicht einmal sechs Wochen haben die Sterne das zweite Sicherheit­sdekret Salvinis im Parlament abgesegnet. Darin wurde unter anderem festgelegt, dass der Verstoß gegen die Hafenblock­ade mit einer Strafe von bis zu einer Million Euro geahndet werden kann.

Wie in Rom zu hören ist, will sich die Regierung der Entschärfu­ng der Sicherheit­sdekrete erst im Winter widmen, wenn die Überfahrte­n im Mittelmeer drastisch zurückgehe­n. Sterne-Politiker geben zu bedenken, man könne nicht bereits nach nur einem Monat eine krasse Kehrtwende hinlegen, ohne unglaubwür­dig zu werden. Außerdem, so heißt es, würde man auf diese Weise ExInnenmin­ister Salvini als neuem Opposition­sführer nur eine Vorlage geben. Der plant Großdemons­trationen gegen die Regierung. Knapp zwei Drittel aller Italiener zeigten sich zuletzt einverstan­den mit den Hafenblock­aden.

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Foto: Alessandro Serrano, afp Das Ende eines Dramas: Die italienisc­he Küstenwach­e bringt Flüchtling­e, die von der Ocean Viking gerettet wurden, auf Lampedusa an Land.

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