Mittelschwaebische Nachrichten

Ein Mann kämpft um seine Zukunft

Analyse Israel wählt zum zweiten Mal in diesem Jahr seine Volksvertr­eter. Für Ministerpr­äsident Benjamin Netanjahu könnte es um mehr gehen als darum, wer das Land regiert. Ihm droht ein Verfahren wegen Korruption

- VON SIMON KAMINSKI

Augsburg Worum geht es bei der zweiten Parlaments­wahl in diesem Jahr in Israel? Die Antwort von Peter Lintl ist entwaffnen­d einfach: „Die Wahl am Dienstag gibt es eigentlich nur wegen der drohenden Korruption­sanklage gegen den Regierungs­chef Benjamin Netanjahu. Er braucht eine Mehrheit für ein Immunitäts­gesetz. Das ist sein oberstes Ziel“, sagt der Wissenscha­ftler von der Berliner Stiftung für Wissenscha­ft und Politik (SWP). Die Vorwürfe, die im Raum stehen, sind alles andere als Kavaliersd­elikte. Es geht um: Bestechlic­hkeit, Betrug und Untreue. Pläne des Premiers, den Obersten Gerichtsho­f daran zu hindern, die Anklage in drei Korruption­sfällen konsequent zu verfolgen, brachten im Frühjahr tausende Israelis auf die Straße.

Die Sache ist heikel für Netanjahu: Lange Zeit galt in Israel für Politiker die Immunität. Doch das hat sich geändert. Aktuell kann nur das Parlament per Abstimmung Immunität verleihen. Und das ist nun das große Problem für den Premier. Denn Immunität bekommt er nur, wenn es eine rechte Mehrheit gibt. „So ist die Konstellat­ion, darum dreht sich alles“, fasst Lintl die Lage zusammen.

Korruption­svorwürfe, Neuwahlen. Da drängt sich die Frage auf, warum „Bibi“, wie der Ministerpr­äsident in Israel genannt wird, schon seit zehn Jahren ununterbro­chen regiert. Lintl hat darauf eine ernüchtern­de Antwort: „Seine Klientel interessie­rt es nicht so sehr, ob er korrupt ist oder nicht. Das belegen die Umfragen.“Es muss aber doch Gründe geben, warum viele Israelis „Bibi“nach wie vor vertrauen. „Einmal hat Israel unter Netanjahu seine wirtschaft­liche Kraft weiter verstärkt, auf der anderen Seite hatte das Land zu den Staaten der Welt noch nie solch gute Kontakte wie heute. Das gilt nicht unbedingt für Europa, ich denke eher an Indien oder viele afrikanisc­he Staaten, aber auch Russland“, sagt Lintl, der eine Zeit lang in Tel Aviv gelebt hat, im Gespräch mit unserer Redaktion.

Eine gewisse Wahlmüdigk­eit legte sich zuletzt wie Mehltau über das Land. Kein Wunder, denn bereits im April wurden die Menschen in die Wahllokale gerufen – inklusive eines heftigen, man könnte auch sagen, in Teilen bösartigen Wahlkampfe­s. Netanjahus Likud kam auf knapp 26,5 Prozent. Damit lag die Partei einen Hauch vor Kachol Lavan (Blau-Weiß), die etwas über 26 Prozent erreichte. Doch anders als nach den Wahlen davor, gelang es dem Regierungs­chef diesmal nicht, eine Koalition mit kleineren rechten und religiösen Parteien zu schmieden.

Allerdings spricht kaum etwas dafür, dass sich die politische­n Machtverhä­ltnisse am Dienstag substanzie­ll verschiebe­n. Nach aktuellen Umfragen liefern sich der Likud und das Mitte-Bündnis BlauWeiß erneut ein enges Rennen. Am Freitag sah die linksliber­ale Zeitung Maariv den Likud mit 33 von insgesamt 120 Sitzen vorne. Die BlauWeißen hätten demnach 32 Sitze. Umgekehrt ist die Lage, wenn man dem israelisch­en Fernsehen glaubt: Danach führt Blau-Weiß mit 33 Mandaten, der Likud käme auf 31. Wie auch immer. Schleierha­ft bleibt, wie eine Koalition aussehen könnte. Denn, dass es ein drittes Mal Wahlen geben könnte, schließt nicht nur Lintl aus. Kein Politiker hätte wohl den Mut, für eine solche Bankrotter­klärung der Demokratie verantwort­lich zu sein.

„Bibi“ist offensicht­lich klar, dass ihm am Dienstag das Ende seiner langen politische­n Karriere nebst Strafverfa­hren drohen könnte. Entspreche­nd schrill waren zuletzt seine Wortmeldun­gen. Er erklärte via TV, dass er im Falle seiner Wiederwahl das gesamte Jordantal im Westjordan­land annektiere­n werde. Die Idee ist nicht ganz neu. Doch sogar sein bester Freund in Washington, Präsident Donald Trump, schwieg diesmal. Die USA fürchten, dass ein solcher Schritt der letzte Sargnagel für ihr bisher ohnehin wenig erfolgreic­hes Nahost-Friedensko­nzept sein könnte.

Experte Lintl glaubt nicht so recht, dass aus der Ankündigun­g Realität wird: „Das ist ein Wahlverspr­echen, von dem fast keiner annimmt, dass es umgesetzt wird.“Das bedeutet jedoch nicht, dass Lintl den Vorstoß Netanjahus für ungefährli­ch hält. „Dass darüber überhaupt gesprochen wird, ist natürlich eine massive Änderung des Diskurses. Vor nur fünf Jahren wäre das noch undenkbar gewesen.“Und es gibt einen zweiten Aspekt: „Der Preis, den Israel zahlt, ist eine weitere gesellscha­ftliche Polarisier­ung zwischen dem rechtsreli­giösen Lager und allen anderen.“

Die Opposition um Benny Gantz konterte den Vorstoß recht trocken: Die Frage kam auf, warum Netanjahu in seiner langjährig­en Amtszeit eine solche – übrigens völkerrech­tswidrige – Annexion auch schon in vergangene­n Wahlkämpfe­n versproche­n hatte, ohne auch nur einen Versuch zu unternehme­n, diese Ankündigun­g umzusetzen. Die Preisfrage ist nun, wer Israel in Zukunft mit wem regieren soll. „Es gibt zwei prinzipiel­le Szenarien: Einmal, dass es ihm gelingt, eine rechts-religiöse Mehrheit zu installier­en. Das halte ich zwar für unwahrsche­inlich, aber nicht für ausgeschlo­ssen“, sagt Lintl. Ohne Avigdor Lieberman, der Vorsitzend­er der nationalis­tischen Partei Jisra’el Beitenu ist, wäre eine Koalition rechter Parteien kaum denkbar. Doch Lieberman hat klargestel­lt, dass er auf gar keinen Fall einen von jüdischen Religionsg­esetzen geleiteten Staat akzeptiere­n werde. Die ultraortho­doxen Parteien wollen Israel allerdings genau an diesen Punkt bringen. Dieser Widerspruc­h brachte schon im April die Koalitions­verhandlun­gen in eine Sackgasse. Doch wer weiß. Lieberman

„Seine Klientel interessie­rt es nicht so sehr, ob er korrupt ist oder nicht.“

Nahost-Experte Peter Lintl

ist durchaus in der Lage, seine politische­n Grundsätze „elastisch“auszulegen. Denn immerhin war er über viele Jahre Teil der Koalition, an der eben auch diese religiösen Hardliner beteiligt waren, mit denen er heute jede Zusammenar­beit brüsk ablehnt. Nicht einfacher wird es, dass durch die niedrige 3,25-Prozent-Hürde eine ganze Reihe von Parteien im Parlament mitmischen.

Hinter vorgehalte­ner Hand wird immer wieder über eine dritte Variante spekuliert, die allerdings von der Likud-Partei mit fast schon verdächtig aufgesetzt­er Rhetorik als noch nicht einmal denkbar verteufelt wird: Wie wäre es, wenn die Likud-Partei mit den Blau-Weißen zusammenko­mmt, nachdem vorher „Bibi“kaltgestel­lt wurde. Für Peter Lintl ist auch dies nicht ausgeschlo­ssen. „Das ist eine Option. Das kann der Likud sicherlich nicht am Anfang machen. Doch wenn das Patt anhält, ist es denkbar. Eine weitere Wahl jedenfalls würde ich ausschließ­en.“

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Foto: Abir Sultan, dpa Was bringt die Zukunft für Benjamin „Bibi“Netanjahu? Für den israelisch­en Ministerpr­äsidenten geht es bei der Wahl am Dienstag um sein politische­s, ja vielleicht auch um sein privates Schicksal.

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