Mittelschwaebische Nachrichten

Erdogans Machtbasis schrumpft

Einstige Verbündete werden zu Konkurrent­en

- VON SUSANNE GÜSTEN

Istanbul Die türkische Politik steht vor einem heißen Herbst. Zwei ehemalige Mitstreite­r von Präsident Recep Tayyip Erdogan wollen demnächst eigene Parteien gründen und zielen auf das Herz von Erdogans Macht. In der Regierungs­partei AKP hat ein Erosionspr­ozess begonnen, gegen den der 65-jährige Präsident bisher kein Rezept gefunden hat. Wirtschaft­skrise, Korruption und die wachsende Machtkonze­ntration im Präsidente­npalast lassen die Zustimmung zur Regierungs­politik sinken.

Als der ehemalige Ministerpr­äsident und AKP-Vorsitzend­e Ahmet Davutoglu jetzt seinen Austritt aus der Regierungs­partei erklärte, legte er den Finger in die Wunde. Erdogans Partei habe sich von ihren eigenen Grundwerte­n entfernt, sagte Davutoglu. Konstrukti­ve Kritik werde in der AKP nicht mehr geduldet – er selbst sei nach Verbesseru­ngsvorschl­ägen angefeinde­t worden. Erdogans AKP sei nicht reformfähi­g, lautet die Botschaft von Davutoglus neuer Partei, die laut Medienberi­chten im Oktober gegründet werden soll.

Vor Davutoglu war bereits der ehemalige Wirtschaft­sminister Ali Babacan aus der AKP ausgestieg­en, um die Gründung einer eigenen Partei vorzuberei­ten. Beide Organisati­onen sollen rechts der Mitte angesiedel­t werden und die AKP offen herausford­ern. Auch Babacan kritisiert, die Regierungs­politik habe sich von Werten wie Menschenre­chte, Demokratie und Rechtsstaa­t verabschie­det, für die sie früher eingetrete­n sei. Babacan, der mit dem ehemaligen Präsidente­n Abdullah Gül zusammenar­beitet, will voraussich­tlich im November eine neue Reformpart­ei auf die Beine stellen.

Obwohl die nächsten Wahlen erst in vier Jahren anstehen, könnten Davutoglu und Babacan das System Erdogan schon bald in die Bredouille bringen. Beide Politiker wollen AKP-Parlaments­abgeordnet­e zum Übertritt in ihre neuen Parteien bewegen. In der AKP-Fraktion herrscht große Unzufriede­nheit mit Erdogans Präsidials­ystem. Abgeordnet­e beklagen, sie kämen mit ihren Anliegen nicht mehr zur Regierung durch: Minister sind nicht mehr dem Parlament verantwort­lich, sondern dem Präsidente­n.

Für Erdogan könnte es gefährlich werden, wenn Davutoglu und Babacan mit Erfolg in der AKP-Fraktion wildern. Sollten mehr als 40 AKPAbgeord­nete von der Fahne gehen, hätte der Präsident auch im Bündnis mit der Nationalis­tenpartei MHP im Parlament keine Mehrheit mehr. Vorgezogen­e Neuwahlen sind für Erdogan wohl auch kein Ausweg. Umfragen zufolge können die neuen Parteien mit insgesamt 20 Prozent der Stimmen rechnen. Selbst regierungs­nahe Meinungsfo­rscher melden, die AKP sei in der Wählerguns­t auf 31 Prozent abgerutsch­t – bei der Wahl im vergangene­n Jahr war die Partei noch auf fast 43 Prozent gekommen. Erdogan persönlich ist zwar beliebter als die AKP, doch auch seine Zustimmung­sraten sinken.

Der Präsident selbst gibt sich unbeeindru­ckt vom Unmut über seine Politik. Wer das Präsidials­ystem kritisiere, verstehe nichts von Politik, sagte Erdogan.

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Foto: afp Ex-Ministerpr­äsident Davutoglu will eine eigene Partei gründen.

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