Mittelschwaebische Nachrichten
Erdogans Machtbasis schrumpft
Einstige Verbündete werden zu Konkurrenten
Istanbul Die türkische Politik steht vor einem heißen Herbst. Zwei ehemalige Mitstreiter von Präsident Recep Tayyip Erdogan wollen demnächst eigene Parteien gründen und zielen auf das Herz von Erdogans Macht. In der Regierungspartei AKP hat ein Erosionsprozess begonnen, gegen den der 65-jährige Präsident bisher kein Rezept gefunden hat. Wirtschaftskrise, Korruption und die wachsende Machtkonzentration im Präsidentenpalast lassen die Zustimmung zur Regierungspolitik sinken.
Als der ehemalige Ministerpräsident und AKP-Vorsitzende Ahmet Davutoglu jetzt seinen Austritt aus der Regierungspartei erklärte, legte er den Finger in die Wunde. Erdogans Partei habe sich von ihren eigenen Grundwerten entfernt, sagte Davutoglu. Konstruktive Kritik werde in der AKP nicht mehr geduldet – er selbst sei nach Verbesserungsvorschlägen angefeindet worden. Erdogans AKP sei nicht reformfähig, lautet die Botschaft von Davutoglus neuer Partei, die laut Medienberichten im Oktober gegründet werden soll.
Vor Davutoglu war bereits der ehemalige Wirtschaftsminister Ali Babacan aus der AKP ausgestiegen, um die Gründung einer eigenen Partei vorzubereiten. Beide Organisationen sollen rechts der Mitte angesiedelt werden und die AKP offen herausfordern. Auch Babacan kritisiert, die Regierungspolitik habe sich von Werten wie Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaat verabschiedet, für die sie früher eingetreten sei. Babacan, der mit dem ehemaligen Präsidenten Abdullah Gül zusammenarbeitet, will voraussichtlich im November eine neue Reformpartei auf die Beine stellen.
Obwohl die nächsten Wahlen erst in vier Jahren anstehen, könnten Davutoglu und Babacan das System Erdogan schon bald in die Bredouille bringen. Beide Politiker wollen AKP-Parlamentsabgeordnete zum Übertritt in ihre neuen Parteien bewegen. In der AKP-Fraktion herrscht große Unzufriedenheit mit Erdogans Präsidialsystem. Abgeordnete beklagen, sie kämen mit ihren Anliegen nicht mehr zur Regierung durch: Minister sind nicht mehr dem Parlament verantwortlich, sondern dem Präsidenten.
Für Erdogan könnte es gefährlich werden, wenn Davutoglu und Babacan mit Erfolg in der AKP-Fraktion wildern. Sollten mehr als 40 AKPAbgeordnete von der Fahne gehen, hätte der Präsident auch im Bündnis mit der Nationalistenpartei MHP im Parlament keine Mehrheit mehr. Vorgezogene Neuwahlen sind für Erdogan wohl auch kein Ausweg. Umfragen zufolge können die neuen Parteien mit insgesamt 20 Prozent der Stimmen rechnen. Selbst regierungsnahe Meinungsforscher melden, die AKP sei in der Wählergunst auf 31 Prozent abgerutscht – bei der Wahl im vergangenen Jahr war die Partei noch auf fast 43 Prozent gekommen. Erdogan persönlich ist zwar beliebter als die AKP, doch auch seine Zustimmungsraten sinken.
Der Präsident selbst gibt sich unbeeindruckt vom Unmut über seine Politik. Wer das Präsidialsystem kritisiere, verstehe nichts von Politik, sagte Erdogan.