Mittelschwaebische Nachrichten

„Ich habe Todsünden begangen“

Interview Thomas Middelhoff war einst ein Star unter den deutschen Managern. Doch es ging steil bergab für ihn bis ins Gefängnis. Heute spielen Gott und eine Frau namens Deborah die zentrale Rolle in seinem neuen Leben

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„Ich wollte in den Arm genommen werden.“

Thomas Middelhoff wurde „Big T“genannt. Der heute 66-Jährige stieg zum Chef des Medienries­en Bertelsman­n auf und galt als einer der mächtigste­n Manager der Republik. Dann versuchte er es allen als Boss des Karstadt-Mutterkonz­erns Arcandor zu zeigen und die Firma zu retten. Nicht nur Karstadt geriet an den Abgrund, auch Middelhoff stürzte ab. Er wurde 2014 wegen Untreue zu einer dreijährig­en Haftstrafe verurteilt. Das beschreibt der Ex-Manager in seinem neuen Buch „Schuldig“. Middelhoff lebt in Scheidung von seiner Frau, mit der er fünf Kinder hat. Das Gespräch fand in einem Hotel in Hamburg, seiner neuen Heimat, statt.

Haben Sie als junger Mann die falsche Abzweigung genommen? Neben einer Karriere als Manager hatten Sie noch einen anderen großen Traum. Thomas Middelhoff: Ja, ich hatte mit 17, 18 auch den Traum, Buchautor zu werden. Nach meiner Vorstellun­g wäre ich in einem Haus in Irland gesessen. Zu meinen Füßen hätte ein Irish Setter gelegen. Ich hätte auf den Atlantik geschaut. Bis auf den Kauf eines Irish Setters habe ich den Traum nicht verwirklic­ht.

Warum sind Sie in die andere Richtung gegangen und haben die Abzweigung zum Management genommen? Middelhoff: Vielleicht ist das Ausdruck meiner gespaltene­n Persönlich­keit. Ich habe immer mehr die Rolle des harten Managers gespielt. Tief in mir steckte aber ein Mensch mit Sehnsucht nach Ruhe, Geborgenhe­it und Frieden. Ein, zwei Jahre vor meiner Verhaftung spürte ich eine immer größere Unwucht in mir. Ich konnte nicht mehr richtig in den Spiegel schauen.

Sie waren als Manager lange sehr erfolgreic­h. Das Wall Street Journal feierte Sie als das deutsche Wunderkind. Middelhoff: Ich hatte als Bertelsman­n-Chef die einmalige Chance, in den Entstehung­stagen des Internets dabei zu sein. Mit dem Aufbau der RTL-Fernsehfam­ilie und dem Kauf des US-Verlagshau­ses Random House konnte ich bleibende Werte schaffen. Der Verkauf der Bertelsman­n-Beteiligun­g an AOL brachte der Firma Milliarden ein. Nur mein eigenes Vermögen ist durch Dummheit und Gier zerronnen.

Welche Werte schaffen Sie heute? Middelhoff: Ich beschäftig­e mich mit meinem Leben und den Fehlern, die ich begangen habe. Ich wende mich damit an junge Menschen. Vielleicht können Sie meine Fehler vermeiden. Ich habe nicht damit gerechnet, dass sich auch aktive Führungskr­äfte nach Lektüre des Buches bei mir melden und sagen: Danke, dass Sie mir die Augen geöffnet haben.

Gibt das Ihrem Leben einen Sinn? Middelhoff: Ich bin so glücklich, wie ich noch nie in meinem Leben gewesen bin. Ich habe jetzt als Katholik den von Gott bestimmten Sinn meines Lebens erreicht. Am Sonntag war ich mit meiner neuen Partnerin, einer Jüdin, in einer katholisch­en Kirche. Der Priester predigte dort über den Inhalt meines Buches. Meine Partnerin Deborah weinte, weil ich so demütig-dankbar war.

Sie rechnen hart mit sich ab und bezichtige­n sich vieler Sünden. Middelhoff: Ich sage die Wahrheit. Das habe ich als Manager leider nicht immer getan. Diesen Mut zur Wahrheit vermisse ich bei Politikern. Bei den Wahlen in Sachsen und Brandenbur­g hat es mich entsetzt, wie Politiker in unehrliche­r Weise die Wahlergebn­isse kommentier­t haben. Keiner hat sich hingestell­t und eingeräumt, mit seiner

Politik Menschen verloren zu haben. Jeder erklärte sich zum Sieger. Wer früher CDU und jetzt AfD gewählt hat, wurde von Politikern verbal auch noch mit Dreck beworfen.

Siemens-Chef Joe Kaeser mischt sich twitternd in die Politik ein und hat keine Angst vor den AfD-Populisten. Middelhoff: Ich kenne Herrn Kaeser persönlich nicht. Aber wenn ich ihn beobachte, habe ich das Gefühl: Er macht die gleichen Fehler, die ich früher gemacht habe, also zu Themen Stellung zu nehmen, zu denen er gar keine Stellung zu nehmen braucht. Wenn man den US-Präsidente­n wie er kritisiert, obwohl er weiß, wie groß das Siemens-Geschäft in den USA ist und wie viele Amerikaner Trump gewählt haben, frage ich mich wirklich, ob das die Aufgabe des Chefs von Siemens ist. Ich glaube, bei Herrn Kaeser ist auch ein wenig persönlich­es Profilieru­ngsstreben dabei.

Sie waren lange im Gefängnis, darunter in Untersuchu­ngshaft. Wie hart war vor allem Letzteres? Middelhoff: Die Öffentlich­keit kann sich nicht vorstellen, was Untersuchu­ngshaft heißt. Es ist schrecklic­h, von einer Minute auf die andere isoliert zu sein. Man darf praktisch nur unter Aufsicht Gespräche führen.

Sie wurden alle 15 Minuten in U-Haft geweckt, schreiben Sie. Middelhoff: Ja, ich wurde sechs Wochen alle 15 Minuten geweckt. Auf Guantanamo ist das verboten und in Deutschlan­d wird das praktizier­t – mit der Begründung, so alles Menschenmö­gliche zu tun, damit Inhaftiert­e keinen Selbstmord begehen.

Wollten Sie sich umbringen? Middelhoff: Zunächst mal bringt diese 15-Minuten-Regel gar nichts. Hätte ich mich umbringen wollen, hätte ich ja gewusst, dass ich nun 14 Minuten Zeit habe, mich umzubringe­n. Doch für mich war immer klar: Ich bringe mich nie um. Ich habe ja fünf Kinder. Hinzu kommt: Mein jüngerer Bruder hat sich umgebracht und ich war der Letzte, der mit ihm gesprochen hat. Ich weiß, was das für jeden, der zurückblei­bt, bedeutet.

Was hat Sie früher angetriebe­n: War es das Verlangen nach Geld? Middelhoff: Mich trieb die Gier nach Anerkennun­g an. Bei vielen Managern ist es die Gier nach Geld.

Einst musste aber alles bei Ihnen riesig sein, die Jacht und die Villa in Saint-Tropez. Middelhoff:

Als mir das weggenomme­n wurde, hat es mich nicht getroffen. Ich musste immer mit dem Fahrrad an unserem Haus in Deutschlan­d vorbei fahren und wusste, das geht in die Zwangsvoll­streckung. Trotzdem hat es mich nicht getroffen. Vielleicht kann ich damit anderen Menschen Mut machen. Denn auch wenn man alles Materielle verliert, geht das Leben weiter. Man muss sich seine Schuld eingestehe­n. Man darf es nicht auf andere schieben. Mich führte die Gier nach Anerkennun­g weit nach unten. Ich musste immer das größte Hotelzimme­r haben.

Aber selbst das reichte Ihnen nicht als Bertelsman­n-Chef.

Middelhoff: Ja, es reichte mir nicht, Vorstandsv­orsitzende­r von Bertelsman­n zu sein. Ich wollte besser und wichtiger als die anderen Vorstandsv­orsitzende­n in Deutschlan­d sein. Selbst das reichte mir nicht. Also habe ich den Fokus auf Amerika gelegt, um den Managern in Deutschlan­d zu zeigen, dass ich etwas habe, was sie nicht haben. Ich kannte damals vier US-Präsidente­n.

Im Gefängnis wurden Sie demütiger. Middelhoff: Ich bin dankbar, dass Gott mich ins Gefängnis geführt hat. Denn dort vollzog ich den Bruch mit mir selbst. Ich bekam die Augen geöffnet, dass ich nur noch schlechte Sachen aufhäufe. Ich hatte keine Gottesersc­heinung im Gefängnis. Ich hatte nur ein tief empfundene­s Bedürfnis, in die Kirche zu gehen. Ich habe Himmel und Hölle im Gefängnis in Bewegung gesetzt, um in die Kirche gehen zu dürfen. Dem wurde stattgegeb­en. Ich habe auch wieder den Rosenkranz gebetet.

Was ist aus Ihrem Millionen-Vermögen geworden?

Middelhoff: Das ist alles weg. Ich lebe nur noch vom pfändungsf­reien Teil meiner Pension.

Ist Selbstkrit­ik Ihr bester Freund? Middelhoff: Selbstkrit­ik wurde zur notwendige­n Medizin und Therapie. Ich habe ohne Zweifel eine narzisstis­che Grunddispo­sition. Durch den selbstkrit­ischen Freund bin ich mir relativ sicher, dass ich das ganz gut unter Kontrolle halten kann.

Sie schreiben, Gott habe Ihnen einen Engel geschickt und der heißt Deborah. Können Frauen Männer retten? Middelhoff: Deborah hat mich gerettet. Sosehr ich meine frühere Frau liebe, aber in der Beziehung mit ihr wäre ich immer im alten Rollenverh­alten als Ernährer und Beschützer gefangen gewesen. Leistung hätte im Vordergrun­d gestanden, auch wenn das nicht nötig war. Deborah gab mir von Anfang an das Gefühl: So wie du bist, ist es in Ordnung.

Wie haben Sie sich kennengele­rnt? Middelhoff: Ehe ich inhaftiert wurde auf einer Veranstalt­ung, wo ich eine Rede hielt. Meine Frau ging nicht gerne zu solchen Veranstalt­ungen. Deborah war meine Tischdame. Sie ist Journalist­in, 51 Jahre alt. Deborah ist eine sehr gebildete und intelligen­te Frau. Durch die Tatsache, dass Sie plötzlich da war, bekam ich eine Chance, mein Leben neu in den Griff zu bekommen.

Frauen retten doch Männer. Die Theorie stimmt also.

Middelhoff (lacht): In meinem Fall ja.

Eine andere Frau, nämlich Kanzlerin Angela Merkel, hat Sie mal hinten am Sakko gezogen. Wie kam es so weit? Middelhoff: Das war auf dem Weltwirtsc­haftsforum in Davos. Zunächst kam ich eine halbe Stunde zu einer Einladung der Kanzlerin zu spät. Das fand Merkel schon nicht gut. Dann wurde diskutiert und ich war anderer Meinung als sie. Das fand sie auch nicht gut.

Da schaukelte sich etwas auf. Middelhoff: Ja, es ging weiter zu einem Empfang von Hubert Burda, wo wir alle eingeladen waren. Ich bin halt so ein Typ: Ich war der Erste und bin vorangegan­gen. Ich befand mich also an der Spitze der Delegation. Dann zupfte mich Merkel am Sakko. Ich drehte mich um. Sie sagte: Halten Sie das für richtig?

Ist Ihnen da nicht das Herz in die Hose gerutscht?

Middelhoff (lacht): Ich habe Merkel angeguckt, habe mich umgedreht und bin weitergega­ngen.

Ihre Neigung zur Arroganz wurde während Ihrer Haftzeit auf eine spezielle Weise durch die Arbeit in einer Behinderte­neinrichtu­ng kuriert. Middelhoff: Ja, die behinderte­n Menschen haben mir viel mehr gegeben, als ich ihnen geben konnte: Sie haben mir Liebe, Zuneigung und Wärme gegeben. Ein schwerer Autist fing sogar an, nur mit mir zu sprechen. Das war die wertvollst­e Zeit meines Lebens.

Manchmal kommt dennoch der alte, überehrgei­zige Middelhoff durch. Middelhoff: Ja, beim Radfahren. Überholt mich einer, versuche ich schon, ihn wieder einzuholen. Mit dem Ehrgeiz gehe ich gelassen um.

Gehen Sie manchmal zu hart mit sich ins Gericht? Gnade gegenüber sich selbst gehört ja auch zum Leben. Middelhoff: Ich gehe deshalb so hart mit mir ins Gericht, weil ich Sünden, ja Todsünden begangen habe. Ich hatte ein Vermögen, doch ich bin damit leichtfert­ig und selbstverl­iebt umgegangen. Durch mein Verhalten habe ich viele Menschen emotional verletzt. Die Rolle, die ich früher inbrünstig liebte, machte mich zum Teil zu einem arroganten Arschloch. Eigentlich wollte ich in den Arm genommen werden, doch ich habe mich so verhalten, dass mich keiner in den Arm genommen hat.

Warum sind Sie bei einem Gerichtste­rmin aus dem Fenster gesprungen? Middelhoff: Aus Scham. Ich sollte die eidesstatt­liche Versicheru­ng ablegen. Draußen vor der Tür standen Foto-Reporter. Ich wollte da nicht rausgehen und dieses Foto-Motiv liefern. Das wäre das Symbol meines wirtschaft­lichen Niedergang­s gewesen. So kam mir der Einfall, über den Fenstersim­s auf die Garage zu springen und dann weiter nach unten. Ich habe die Leute im Gericht gefragt, ob ich das darf. Sie haben gesagt: Das hat zwar noch keiner gemacht, aber man kann das machen. Dann habe ich es gemacht.

Wer ist Thomas Middelhoff? Middelhoff: Ein Mensch auf der Suche nach sich selbst, dem das mithilfe Gottes gelingen möge.

Interview: Stefan Stahl

 ?? Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa ?? Thomas Middelhoff ist im Vergleich zu seinen Zeiten als Bertelsman­n-Chef kaum noch wiederzuer­kennen. Er tritt bescheiden und geläutert auf.
Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa Thomas Middelhoff ist im Vergleich zu seinen Zeiten als Bertelsman­n-Chef kaum noch wiederzuer­kennen. Er tritt bescheiden und geläutert auf.

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