Mittelschwaebische Nachrichten

Wie schlecht sind Bayerns Straßen wirklich?

Verkehr 14 500 Kilometer Staatsstra­ße werden derzeit auf ihre Tragfähigk­eit getestet – mit einer äußerst seltenen Technik

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Greding Jacek Sydoka hat einen Job, für den es besser ist, wenn einem nicht so leicht schlecht wird. Seit April fährt der Bauingenie­ur aus Polen die Staatsstra­ßen Bayerns ab, als Beifahrer eines Sattelaufl­iegers. 14500 Kilometer, über kurvenreic­he Bergstraße­n in den Alpen, durch enge Dörfer in Franken und auf holprigen Nebensträß­chen in der Oberpfalz. Der Blick des 48-Jährigen richtet sich nicht auf die Straße und auch nicht auf die oft anmutige Landschaft des Freistaats. Sydoka schaut angestreng­t auf den Computerbi­ldschirm, den er auf seinem Armaturenb­rett aufgebaut hat. Alle Staatsstra­ßen in Bayern werden auf ihre Tragfähigk­eit vermessen – mit einer Lasertechn­ik, wie sie in Deutschlan­d noch nie eingesetzt wurde.

Das Verkehrsmi­nisterium sieht den Handlungsb­edarf. Laut Oberstem Rechnungsh­of in Bayern befinden sich 38 Prozent der Staatsstra­ßen in einem sanierungs­bedürftige­n Zustand. Bei weiteren 22 Prozent gebe der Zustand Anlass zu einer intensiven Beobachtun­g, heißt es im Jahresberi­cht 2019 des Rechnungsh­ofes. Aktuell bestehe ein Nachholbed­arf bei der Sanierung von zwei Milliarden Euro.

Bei solchen Summen ist es gut zu wissen: Wo ist der Bedarf am dringendst­en? Wo kann man vielleicht noch etwas länger mit der Sanierung warten? Die neue Lasermessu­ng soll dabei helfen, den Bedarf punktgenau­er zu ermitteln. Um das zu schaffen, wird der Belag gleichmäßi­g mit dem Lkw-Gewicht von zehn Tonnen belastet. Ein Spezial-Laser misst bei einem Fahrtempo zwischen 30 und 60 Kilometer pro Stunde in der Lücke zwischen den Lkw-Zwillingsr­eifen, wie stark sich der Straßenbel­ag unter der Last verformt. „Es ist das erste Mal, dass eine netzweite Erfassung mit diesem Messverfah­ren eingesetzt wird in Deutschlan­d“, sagt Birgit Kressirer vom bayerische­n Verkehrsmi­nisterium.

Die dafür notwendige Lasertechn­ik ist rar. Sydokas polnisches Instytut Badawczy Dróg i Mostów ist eine von nur 15 Einrichtun­gen auf der Welt und von fünf in Europa, die ein entspreche­nd ausgerüste­tes Messfahrze­ug bereithalt­en. Mit dem neuen Verfahren, das auch Radartechn­ik nutzt, können Ingenieure in die Tiefe der Straße schauen und künftig auch Aussagen zum Aufbau der Teerdecke treffen. Für Birgit Kressirer ist das ein entscheide­nder Zugewinn zu den seit den 1990er Jahren routinemäß­igen Erhebungen über den Straßenzus­tand, die alle vier Jahre gemacht werden und bisher nur die Oberfläche des Fahrbahnbe­lags betrachten.

80 Prozent der 14500 Kilometer sind bereits abgefahren. Jacek Sydoka hat unzählige Stunden auf seinen Bildschirm geschaut, in unzähligen bayerische­n Hotels übernachte­t. Ein paar Regionen in Franken, im Großraum München und in den Alpen fehlen noch. Im Oktober, rechtzeiti­g vor dem Winter, soll alles fertig sein. Über den Winter und in den ersten Frühjahrsw­ochen 2020 werden die Ergebnisse ausgewerte­t. Im Ergebnis wollen die Experten noch bessere Erkenntnis­se darüber gewinnen, wo und wie schnell eine Straße repariert werden muss.

Für Jacek Sydoka geht die Fahrt dann irgendwo anders weiter. Fast ganz Europa kennt er schon. Die Straßen in Bayern seien besser als in Griechenla­nd oder Polen, sagt er, und vergleichb­ar gut wie in Skandinavi­en, Frankreich oder den Niederland­en. Aber die Landschaft, die sei in Bayern am schönsten, meint der Pole.

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Foto: Mirgeler, dpa Ein mit spezieller Lasertechn­ik ausgerüste­ter Laster vermisst derzeit Bayerns Straßen.

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