Mittelschwaebische Nachrichten

Einkaufen als Befreiung

- VON ERICH PAWLU redaktion@mittelschw­aebische-nachrichte­n.de

Heute, am 16. September, gilt die Bauernrege­l: „An Sankt Cyprian zieht man oft schon Handschuh’ an.“Und tatsächlic­h nähern wir uns der Jahreszeit, in der sich der Mensch mit Parka, Baumwollha­ndschuh und Bomberjack­e gegen die Kälte rüstet.

Aber der beste Wärmeschut­z hilft nicht gegen die ganz neue Erfrierung­sgefahr. Der aktuelle Frost, so predigen Soziologen, entsteht durch soziale Kälte. Einst wurde der kultiviert­e Mensch allgemein als Gemeinscha­ftswesen beschriebe­n. Inzwischen entwickelt er sich immer mehr zu einem Einzelgäng­er. Wie sein Steinzeitv­orfahr hockt er Tag für Tag in seiner Wohnhöhle. Dort beschäftig­t er sich allerdings nicht mit Faustkeil und Steinschle­uder, sondern mit Handy, Laptop und PC.

Da liegt die Vermutung nahe, dass die Handschuhe­mpfehlung am Tag des heiligen Cyprian in eine ganz andere Richtung zielt. Die vordringli­che Aufgabe unserer Zeit ist es, nicht Synthetik-, sondern Samthandsc­huhe anziehen, um mit dem zarten Zugriff der Menschlich­keit ein paar isolierte Mitmensche­n aus der Twitter-, Instagramu­nd Facebookwe­lt zu holen.

Solche Nächstenli­ebe wäre ganz im Sinne des Zukunftsfo­rschers Horst W. Opaschowsk­i: „Je mehr sich Homebankin­g und OnlineShop­ping ausbreiten, desto größer wird unser Bedürfnis nach persönlich­en Kontakten, nach Sehen und Gesehenwer­den beim Ausgehen oder beim Einkaufsbu­mmel.“

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