Mittelschwaebische Nachrichten

EU-Agrarrefor­men kommen nicht voran

Umwelt Wie soll die europäisch­e Landwirtsc­haft in Zukunft ausschauen? An dieser Frage haben sich die Minister der EU-Länder festgebiss­en. Dabei wäre eine Entscheidu­ng dringend nötig, sagen Klimaschüt­zer und die Landwirte selbst

- Alkimos Sartoros, dpa

Brüssel Die Temperatur­en steigen, Wetterextr­eme nehmen zu, Bauern verzeichne­n wegen Trockenhei­t Ernteausfä­lle. Der Klimawande­l ist Realität. Zunehmend rückt bei der Frage nach der Klimawende auch der Agrarsekto­r in den Fokus. Wie lässt sich in Europa eine nachhaltig­e Landwirtsc­haft betreiben, die die Ernährung des Kontinents sichert, ohne das Klima zu belasten? Die EU-Staaten verhandeln derzeit über eine Agrarrefor­m. Doch der Entwurf droht zwischen Einzelinte­ressen zerrieben zu werden.

Die gemeinsame EU-Landwirtsc­haftspolit­ik spielt seit jeher eine herausrage­nde Rolle. 1962 wurde sie ins Leben gerufen, um zwei Ziele zu erfüllen: sicherzust­ellen, dass Bauern ein „angemessen­es“Einkommen haben, und eine sichere Nahrungsmi­ttelversor­gung zu gewährleis­ten. Umweltvorg­aben kamen nach und nach hinzu.

Etwa 58 Milliarden Euro an Fördergeld­ern – rund 40 Prozent des EU-Budgets – fließen jedes Jahr in den Agrarsekto­r, der mit Abstand größte Posten im EU-Haushalt. Ein Großteil geht als Direktzahl­ungen an die Bauern. Zudem gibt es Fördergeld­er für die Entwicklun­g des ländlichen Raums.

Nun soll alles anders werden. Die EU-Kommission hatte im vergangene­n Jahr umfassende Änderungen vorgeschla­gen. Die Staaten sollen mehr Freiheiten bekommen, wie sie vorgegeben­e Ziele erreichen wollen – etwa Klimaschut­z und die Sicherung der Lebensmitt­elqualität. Dazu sollen sie nationale Pläne erstellen, die von der EU-Kommission genehmigt werden müssten. Zudem ist vorgesehen, die Fördergeld­er zu senken.

die Staaten den nationalen Strategiep­länen anfangs skeptisch gegenüber, zielen sie mittlerwei­le darauf ab, für sich eine hohe Flexibilit­ät herauszusc­hlagen: Wie oft und detaillier­t muss im Rahmen der nationalen Strategien die EUKommissi­on informiert werden? Welche Kriterien werden dabei genau berücksich­tigt? Die Diskussion steckt im Detail und auf Arbeitsgru­ppenebene fest.

Finnland, das derzeit den Vorsitz unter den EU-Staaten innehat, nahm dies zum Anlass, das am Montag geplante Treffen der EU-Agrarminis­ter abzusagen. Zu wenig Substanz, über die man sprechen könne, hieß es. Wie viel Geld für den Agrarsekto­r abfällt, ist zudem nicht Sache der Landwirtsc­haftsminis­ter, sondern wird im Rahmen der gesamten EU-Haushaltsv­erhandlung­en von den Regierunge­n und dem Europaparl­ament geklärt. Aus Kritikersi­cht sind dabei ein entschloss­eneres Handeln und ein grundsätzl­icher Wandel nötig. „Die Diskussion­en sind dem Ernst der Lage nicht angemessen“, sagt der Grünen-Europaabge­ordnete Martin Häusling. „Wir haben zwei Dürresomme­r hinter uns.“Die Landwirtsc­haft habe bei der Einsparung von Klimagasen etwas zu leisten. „Landwirte sind bei der Umwelt- und Klimakrise an vorderster Front“, sagt der Greenpeace-Agrarexper­te Sebastien Snoeck. Nationale Regierunge­n und die EU müssten ihnen helfen, von der industriel­len Landwirtsc­haft wegzukomme­n hin zu nachhaltig­erer, ökologisch­er Produktion. „Dafür ist eine Abkehr von der industriel­len Fleischpro­duktion nötig.“

Die EU müsse rasch ihre Emissionen in der Landwirtsc­haft reduzieSta­nden ren und in Naturschut­z investiere­n, fordert auch der Direktor der Klimaschut­zorganisat­ion CAN (Climate Action Network). Es brauche weitreiche­nde Änderungen im EULandwirt­schaftssek­tor.

Bauernverb­ände warnen hingegen davor, Landwirten neue Umweltund Klimaschut­zvorgaben aufzuerleg­en und die Fördergeld­er zu reduzieren. Die Bauern laufen gegen die Kürzungen Sturm, weil viele von ihnen abhängig sind. Eine finanziell gut ausgestatt­ete europäisch­e Agrarpolit­ik „sorgt für wirtschaft­liche Stabilität der Betriebe in offenen und volatilen Märkten, unterstütz­t deren Wettbewerb­sfähigkeit, fördert eine nachhaltig­ere und flächendec­kende Bewirtscha­ftung und stärkt die Attraktivi­tät und Vitalität ländlicher Räume“, sagte der Präsident des Deutschen Bauernverb­ands, Joachim Rukwied.

Die Bauern fordern rasche Klarheit über künftige Fördergeld­er. Damit ist kaum zu rechnen. Die Diskussion­en über den EU-Haushaltsr­ahmen könnten sich bis weit ins Jahr 2020 ziehen. Ob die neue EU-Kommission unter Ursula von der Leyen die Vorschläge zur Agrarrefor­m zumindest noch überarbeit­et oder ergänzt, ist ebenfalls offen.

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Foto: dpa Hinter den Landwirten in Europa liegen zwei Dürresomme­r. Der Klimawande­l ist längst bei ihnen angekommen. Auch sie müssten ihr Verhalten ändern.

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