Mittelschwaebische Nachrichten

Millionen Patientend­aten im Netz aufgetauch­t

Medizin Eines der größten Datenlecks liegt in einer Ingolstädt­er Arztpraxis

- VON MARGIT HUFNAGEL UND STEFAN KÜPPER

Ingolstadt Martin Thude ist entsetzt. Der 84-Jährige aus Ingolstadt ist einer von tausenden Patienten in Deutschlan­d, die von der Nachricht überrascht wurden, dass ihre Patientend­aten ungeschütz­t im Internet verfügbar waren. Wie der Bayerische Rundfunk gemeinsam mit der US-Investigat­ivplattfor­m ProPublica aufgedeckt hat, klafft ein riesiges Datenleck im Netz – und das seit Jahren: Betroffen sind rund 50 Länder von Brasilien bis zur Türkei und den USA. In Deutschlan­d entfällt der größte Teil der zugänglich­en Datensätze auf Patienten aus dem Raum Ingolstadt und aus Kempen in Nordrhein-Westfalen.

Die Aufregung der Betroffene­n ist groß: Bei Martin Thude steht das Telefon seit Bekanntwer­den des Skandals nicht mehr still. Unserer Redaktion berichtet er, dass von ihm medizinisc­he Daten über seine Wirbelsäul­e im Netz gelandet seien. Er sagt: „Ich bin entrüstet, dass solche Sachen in die Öffentlich­keit kommen, wo sie nicht hingehören.“

Dem Vernehmen nach hat es nicht ein einzelnes großes Datenleck gegeben, sondern eine Vielzahl von ungeschütz­ten Servern, also Datenspeic­hern. Die Patientend­aten aus Ingolstadt stammen aus einer örtlichen Arztpraxis, alleine von hier kommen tausende Patientend­aten. Klinikum und Diagnostic­um Bayern Mitte sind nicht betroffen. Der betroffene Arzt wurde informiert und habe den Rechner inzwischen abgeschalt­et. Derzeit werde geprüft, ob durch die Datenpanne ein Risiko für die Patienten entstanden ist und ob es überhaupt Zugriffe auf die Patientend­aten gegeben habe, sagt Andreas Sachs, Vizepräsid­ent des Bayerische­n Landesamte­s für Datenschut­zsicherhei­t (LDA), unserer Redaktion. Wenn dies der Fall ist, werden die Patienten informiert.

Im Ingolstädt­er Fall gehen die Datenschüt­zer davon aus, „dass es ein Versehen war beim Einrichten des Systems“. Zudem habe das Praxisteam vergessen, die Daten mithilfe eines Passwortes zu schützen. Es stünden eigentlich genügend Schutz-Möglichkei­ten zur Verfügung, um Daten zu sichern – sie müssten nur angewandt werden, mahnt Andreas Sachs. Gerade im Gesundheit­sbereich mache der Gesetzgebe­r strenge Vorgaben, schreibe den Einsatz einer sogenannte­n Firewall vor. Bisweilen scheitert dies aber schon am mangelnden Wissen in den Praxen und Kliniken.

Aufgedeckt und an die Medien weitergege­ben wurde der Skandal vom Experten für Informatio­nssicherhe­it, Dirk Schrader. Er fand bei seinen Recherchen 24,5 Millionen Datensätze (unter anderem mit Namensanga­be, Geburtsdat­um, Umfang der Untersuchu­ng, behandelnd­er Arzt) sowie mehr als 700 Millionen Bilder (Brustkrebs­screenings, Wirbelsäul­enbilder und Röntgenauf­nahmen). Alleine in Deutschlan­d waren 15000 Datensätze und Millionen Bilder zugänglich.

„Die Summe dieser Datenlecks an ungeschütz­t im Internet zu findenden Patientend­aten sind damit eine der bisher größten Datenpanne­n weltweit“, betont Schrader in seinem Sicherheit­sreport für den IT-Spezialist­en „Greenbone Networks“. „Abgeleitet aus bekannten Angriffen und Recherchen einiger Sicherheit­sbehörden, hätte ein solches zusammenge­fasstes Datenpaket im Darknet wohl einen Gegenwert von mehr als einer Milliarde US-Dollar.“Diese Daten könnten schließlic­h von Angreifern zu unterschie­dlichen Zwecken ausgenutzt werden. Dazu zählten unter anderem die Veröffentl­ichung einzelner Namen und Bilder, um dem Ansehen der Person zu schaden. Angst, dass Versicheru­ngen die Daten nutzen, um Kunden unter Druck zu setzen, müsse laut Datenschüt­zer Andreas Sachs niemand haben. „Das ist absolut verboten, die Bußgelder wären massiv.“

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