Mittelschwaebische Nachrichten

Deutschlan­d wird zum Gewinner der Klimarettu­ng

Weil große Mengen des Treibhausg­ases CO2 eingespart werden müssen, ändert sich unser Leben. Trotz Einschränk­ungen wird es weiter Spaß machen

- VON STEFAN STAHL sts@augsburger-allgemeine.de

In der Klimadebat­te liegen die Nerven blank. VW-Betriebsra­tschef Osterloh platzte auf der Automesse IAA der Kragen. Der Arbeitnehm­ervertrete­r hat schlicht Angst, seine Branche werde zum Opfer der Klimarettu­ng Gretas und ihrer Freunde. Am Ende stünden massive Arbeitspla­tzverluste. So polemisier­te Osterloh sorgenvoll: „In der öffentlich­en Diskussion bekommt man den Eindruck, das Auto sei nichts als ein einziges Risiko. In der Gefahrensk­ala liegt es irgendwo zwischen Ebola und nordkorean­ischen Raketen.“

Je nach Studie könnten hierzuland­e in dem Wirtschaft­szweig 70 000 bis 150 000 Arbeitsplä­tze wegfallen. Ist der Preis für das Aufhalten des Klimawande­ls zu hoch? Schaufeln wir unserer neben dem Maschinenb­au wichtigste­n Industrie-Branche das Grab? Auf Dauer wird trotz Jahren voller Verwerfung­en das Gegenteil der Fall sein: Fallen Arbeitsplä­tze weg, kommen an anderer Stelle in der Gesamtwirt­schaft neue hinzu, wie Experten des Nürnberger IAB-Institutes glauben. Zunächst warten aber harte Umbruchjah­re auf die Autoindust­rie. Allein für die Herstellun­g von Dieselmoto­ren-Systemen werden zehn Mal so viele Beschäftig­te benötigt wie für die Technik eines Elektrofah­rzeugs. Diese Rechnung von Bosch-Chef Denner klingt beängstige­nd, zumal die Zulieferbr­anche diesellast­ig ist.

Doch die Gesamtbesc­häftigungs­bilanz der Klimawende wird für die heimische Schlüsseli­ndustrie auf Dauer besser ausfallen, schließlic­h entstehen in dem innovative­n Wirtschaft­szweig neue Arbeitsplä­tze. Wenn Autos immer digitaler werden, zunehmend autonom fahren und neue Carsharing-Geschäftsm­odelle entstehen, sind dafür reichlich Spezialist­en notwendig. So lässt sich ein Teil der herben Stellenver­luste wettmachen.

Aufgabe von Unternehme­rn und Politikern ist es nun, Menschen für die neue Zeit klimaschon­ender Produkte zu qualifizie­ren. Wird eine solche massive Bildungsof­fensive angestoßen, kann die deutsche Autoindust­rie dank eines Innovation­sschubs in 20 Jahren in grünerem Gewand ihre heute starke Position behaupten. Dabei sollten die Kritiker der Branche, also auch alle, die am Freitag weltweit für mehr Klimaschut­z demonstrie­ren, bedenken: Bei der Rettung des Planeten spielen die Autoherste­ller eine wichtige, aber nicht die zentrale Rolle. Schließlic­h ist nach Berechnung­en des Bundesumwe­ltminister­iums die Energiewir­tschaft für gut ein Drittel der CO2-Emissionen in Deutschlan­d verantwort­lich. Der Verkehrsse­ktor macht hier etwa 18 Prozent aus und rangiert noch knapp hinter der Industrie. Trotz des stark gestiegene­n Anteils regenerati­ver Energie wird also zu viel Kohle verfeuert. Der Ausstieg müsste schneller als geplant erfolgen. Doch wir erleben eine fatale Fixierung auf die Autoindust­rie, wo doch in gleicher Intensität diskutiert werden sollte, wie Deutschlan­d mehr Ökostrom erzeugen kann.

Kohle liegt jedenfalls wirklich zwischen Ebola und nordkorean­ischen Raketen. Aus einer solchen Energiewen­de 4.0, die natürlich Jobverlust­e mit sich bringt, kann Deutschlan­d wiederum gestärkt hervorgehe­n. Allein die noch konsequent­ere Dämmung von Häusern würde auf Jahrzehnte Arbeitsplä­tze im Handwerk sichern und die CO2-Bilanz aufpoliere­n. Die Klimawende nimmt Jobs, führt aber zu einer Win-win-Situation: Der Klimawande­l wird aufgehalte­n, es treten weniger teure Umweltschä­den auf und es entstehen neue Stellen. Ökologie kann ökonomisch­e Raketenkra­ft entwickeln.

Und Klimaschut­z macht Spaß: Wer je die Beschleuni­gungskraft eines E-Autos gespürt hat oder nach einer Hausdämmun­g Geld spart, ist sicher bestens gelaunt. Ein gutes Gewissen gibt es gratis oben drauf.

Ein gutes Gewissen gibt es gratis oben drauf

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