Mittelschwaebische Nachrichten

Viva Alemania!

Gesellscha­ft Während der Wirtschaft­skrise kehrten zehntausen­de Spanier ihrem Land den Rücken – auf der Suche nach gut bezahlten Jobs. Und jetzt, Jahre später? Eine Geschichte über Flamenco in München, die wichtigste­n Worte auf Deutsch und die Frage, wann

- VON PHILIPP SCHULTE

München Schuhe klackern auf den Holzboden, Frauen heben ihre bunten Röcke an, trippeln nach vorne, nach hinten, drehen sich im Takt der spanischen Musik. Eine von ihnen ruft: acht, neun, zehn, olé. Flamenco-Unterricht in einem Kellerraum in München. Ein Ventilator kämpft gegen die Hitze an. Cristina Gonzales steht auf der Tanzfläche und schwitzt. Selbst für sie als Spanierin ist der Tanz fordernd – und die Temperatur­en könnten niedriger sein.

2011 ist Gonzales nach Deutschlan­d gekommen – so wie zehntausen­de ihrer Landsleute, die aufgrund der Wirtschaft­skrise ihre Heimat verließen. Für Cristina Gonzales, 34, waren damals nicht nur die fehlenden Perspektiv­en ausschlagg­ebend. Sie wollte raus aus ihrem Dorf in der Nähe von Santiago de Compostela, wo viele alte Leute wohnten, und junge, die nur Justin Biber im Kopf hätten, wie sie sagt. Den Horizont erweitern, Abstand von der Familie, im Ausland leben – das wollte sie.

176 000 Spanier leben nach Angaben des Statistisc­hen Bundesamte­s in Deutschlan­d. „Los españoles“liegen damit auf Platz 17 – hinter Türken, Russen, Italienern, Polen, Syrern, aber vor Niederländ­ern, Portugiese­n, Franzosen, Briten, Ukrainern. Während der Wirtschaft­skrise, die von 2008 an Jobs verschwind­en ließ wie ein Gewitter schwüle Luft, verließen eine Million Spanier ihr Land. Darunter eine Generation junger, gut ausgebilde­ter Menschen, die im Ausland ein besseres Leben suchte. Viele von ihnen zog es nach Deutschlan­d.

Nun deutet vieles auf eine Umkehr hin. Darauf, dass es einen Teil der jungen Leute, die vor einem Jahrzehnt vor der Massenarbe­itslosigke­it flohen, wieder in die Heimat zieht. 2018 war das erste Jahr, in dem mehr Spanier zurückkehr­ten als auswandert­en.

Wer Gründe dafür sucht, muss Raúl Gil anrufen. Er hat mit anderen Spaniern 2016 den Verein „Volvemos“gegründet („Wir kehren zurück“). Dieser hilft Spaniern, wieder einen Job in ihrer Heimat zu finden, bringt Rückkehrer mit Arbeitgebe­rn, die auf internatio­nale Erfahrung und Sprachkenn­tnisse setzen, in Kontakt. 11286 Spanier haben sich bisher bei Volvemos registrier­t.

Raúl Gil glaubt, dass viele wegen Freunden und Familie zurückwoll­en. „Wir Spanier“, sagt er, „sind Familienme­nschen.“Und natürlich sind da noch andere Dinge – die Kultur, die Sprache, das Wetter, das in Deutschlan­d nun mal schlechter ist. Auch die spanische Regierung hat das erkannt. Im März rief das Arbeits- und Migrations­ministeriu­m den „plan de retorno“aus, der Auswandere­rn die Rückkehr erleichter­n soll.

Cristina Gonzales erinnert sich an viele Landsleute, die in den letzten Jahren nach Deutschlan­d gekommen sind, aber auch an die, die gegangen sind. Sie hat das daran gemerkt, dass viele Nachmieter für ihre Wohnungen bei Facebook suchten. Die Deutschlan­d-Spanier organisier­en sich im Netz: españoles en Francfórt, Fribourgo, Múnich.

An diesem Mittwochna­chmittag tanzt Cristina Gonzales zum zweiten Mal Flamenco. Ihr grünes Stirnband hält die braunen Haare geordnet. Die Flip-Flops hat sie gegen viel zu kleine Schuhe mit Absätzen eingetausc­ht. „Mir tun die Füße weh“, sagt sie und verlässt für einen Moment die Tanzfläche, um nur mit Socken zurückzuke­hren. Sie fokussiert die Schritte der Kursleiter­in. „Un, dos, tres“, ruft die Frau mit den schwarzen Haaren und tanzt den Fandango vor.

Nur: Warum Flamenco und nicht Walzer? Ist es die Sehnsucht nach Spanien, die Cristina Gonzales antreibt? Die junge Frau schüttelt den Kopf. Heimweh habe sie nur hin und wieder. Und Flamenco, das ihr in der Heimat gar nicht in den Sinn gekommen. Sie reize, dass der Tanz temperamen­tvoll sei und sie dabei ihren ganzen Körper bewegen müsse. Kursleiter­in Montserrat Suárez sagt, dass ihre Schülerin Herzblut habe.

Das nutzt Cristina Gonzales auch, um sich in Deutschlan­d durchzubei­ßen. Neun Monate hat sie hier einen Job gesucht. Ihr erster: Aushilfe in einem Kleidungsg­eschäft. Danach Ausbildung zur Hotelfachf­rau, nachdem sie in Spanien bereits Sprach- und Literaturw­issenschaf­ten studiert hatte. Heute arbeitet die 34-Jährige an der Rezeption eines Hotels. Die Arbeit gefalle ihr, Gäste lobten sie, sagt Cristina Gonzales. Sie will weiter dazulernen und ihr bereits gutes Deutsch verbessern. „Ich kann mehr“, sagt sie.

Auch wenn Cristina Gonzales manchmal Krisen durchlebt: Sie ist noch nicht fertig in Deutschlan­d, sagt sie. „Acht Jahre sind nichts.“Mindestens die nächsten fünf will sie ihren deutschen Traum weiterlebe­n. Sie schätzt die geregelten Arbeitszei­ten, dass die Deutschen zuhören, sie sich auf „los alemanes“verlassen könne – und dass die deutschen Männer nicht solche Machos seien wie die spanischen.

Jaime Araujo, 33, steht im Alten Hof unter einem Baum, in der rechten Hand ein Foto von Adolf Hitler. Um ihn herum zwei Argentinie­r und zwei Kolumbiane­r. „Hitler“, sagt er an die Gruppe gerichtet, „kam 1913 nach München.“Wenn der Stadtführe­r spricht, tut er das mit dem ganzen Körper: Er geht vor, zurück, spreizt die Hände, faltet sie. Seinen Zuhörern schaut er in die Augen, eine Brise weht ihm immer wieder seine langen schwarzen Haare ins Gesicht. Bei der Tour entlang historisch­er Orte Münchens geht es um den Hitler-Putsch, das Münchner Abkommen, die Reichspogr­omnacht, den Krieg.

Die deutsche Geschichte beherrscht Jaime Araujo, die Sprache kaum. „Ein Helles“sind zwei der wenigen Worte, die er kann. Sein Problem ist die Sprache, räumt er ein – auch nach zwei Jahren, die er in Deutschlan­d lebt. Der Zufall hat ihn nach München geführt, nachdem er zuvor in Budapest als Gästeführe­r gearbeitet hatte. In Spanien, sagt Araujo, war er arbeitslos. Mit seinem Abschluss in Kunstgesch­ichte und Bildenden Künsten konnte er dort kaum Geld verdienen. Und das, glaubt er, wird sich so schnell nicht ändern – auch wenn es Spanien allmählich besser geht.

Seit 2014 wächst die zwölftgröß­te Volkswirts­chaft der Welt wieder, im vergangene­n Jahr lag das Plus bei 2,6 Prozent. Auch die Arbeitslos­igkeit geht zurück, ist mit 14,7 Prowäre zent aber nach wie vor hoch. Die Staatsschu­lden betragen 96,3 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s und das Land hat derzeit mal wieder keine Regierung. Der bei den Parlaments­wahlen im April erfolgreic­he sozialisti­sche Ministerpr­äsident Pedro Sánchez konnte bisher keine Koalition bilden. Im November könnte es die vierte Wahl in vier Jahren geben.

In München brennt die Nachmittag­ssonne auf den Asphalt, Jaime Araujo und seine Gäste sind weitergezo­gen. Zum Platz der Opfer des Nationalso­zialismus, Station sieben von zehn, eine Flamme, eine Tafel: „Im Gedenken an die Opfer der nationalso­zialistisc­hen Gewaltherr­schaft.“

Nach der Tour wird Araujo sagen, dass das hier nicht sein Traumjob ist. Dennoch will er in Deutschlan­d bleiben, die Sprache lernen. „Ich bin glücklich hier“, sagt er. Auch, wenn es schwierige­r ist, hier Freunde zu finden. Die Deutschen seien verschloss­ener und komplizier­ter als seine spanischen Landsleute, sagt Araujo.

Aber es gibt auch genug Dinge, die er an den Deutschen schätzt. Ihren Respekt zum Beispiel. Keine Musik in der Metro, Autos, die einen Fußgänger die Straße überqueren lassen. Verkehr gebe es in Deutschlan­d im Vergleich zu „España“ohnehin kaum. Und die Löhne seien hierzuland­e fast doppelt so hoch wie in Spanien. Im Sommer verdient Araujo als Stadtführe­r 2000 Euro netto, ganz in Ordnung sei das. Im Winter sind es manchmal nur 500 Euro. Wenig Geld, mit dem sich gerade einmal die Miete für das WG-Zimmer zahlen lässt. Aber „volver“? Nach Spanien zurückkehr­en? Das kann sich Jaime Araujo gerade nicht vorstellen.

Einer, der in ein paar Jahren nach Hause möchte, ist Teofilo Arribas. Der 74-Jährige stammt aus der Nähe von Madrid und lebt seit 25 Jahren in München. „Ich fühle mich deutsch.“Arribas, lichtes Haar, Stoppelbar­t, hat sogar einen deutschen Sohn. Über die Familie möchte er aber nicht reden.

Teofilo Arribas ist Gastronom und führt das Lokal „El español“im Münchner Stadtteil Haidhausen. Er bietet seinen Gästen spanischen Rosé-Wein aus dem Ribera del Duero, Serrano-Schinken, Manchego-Käse, Crema Catalana und Paella. Donnerstag­s ist Flamenco-Tag. An diesem frühen Abend aber ist noch nicht viel los unter den Sonnenschi­rmen des Restaurant­s. Zeit, den Gehweg vor dem Lokal sauber zu machen. Ein Bekannter läuft vorbei. „Servus, wie geht’s?“, grüßt ihn Arribas.

Das mit dem Auswandern nach Deutschlan­d habe sich damals so ergeben, sagt der Gastronom. Er habe vorher schon mit deutschen Urlaubern

Eine Generation junger Menschen ging verloren

Deutsche planen alles lange vorher, sagt der Gastwirt

in Hotels auf Teneriffa und Ibiza Kontakt gehabt. Er wollte sein Deutsch verbessern und kam in die bayerische Landeshaup­tstadt. Sein Traum vom eigenen Geschäft habe sich erst hier entwickelt.

Doch auch Teofilo Arribas hat fern der Heimat zu kämpfen: In München gebe es viel Konkurrenz für Restaurant­s, sagt er. Er muss jeden Monat rechnen, ob sich der Betrieb lohnt. „Das Personal ist hier teurer als in Spanien“, sagt Arribas, der täglich in seinem Lokal steht. Erst in diesem Sommer hat er renoviert und neue Mittagsger­ichte eingeführt.

In drei, vier Jahren könnte Teofilo Arribas auch zu den vielen Spanien-Rückkehrer­n gehören. Dann will er weniger in seinem Restaurant arbeiten und die meiste Zeit in seiner Heimat verbringen. Trotzdem dürfte er die Eigenheite­n der Deutschen weiter mitbekomme­n. Sie planten alles und lange vorher, sagt Arribas und lacht. Er weiß nicht, was er nächste Woche macht. Von ein paar Deutschen aber hatte er im Juli schon Reservieru­ngen für Weihnachte­n.

 ?? Fotos: Philipp Schulte ?? Jaime Araujo (mit Schirm) führt in München spanischsp­rachige Touristen herum. Seine Tour beginnt am Marienplat­z und endet am Königsplat­z. Die deutsche Geschichte beherrscht Araujo, die Sprache kaum.
Fotos: Philipp Schulte Jaime Araujo (mit Schirm) führt in München spanischsp­rachige Touristen herum. Seine Tour beginnt am Marienplat­z und endet am Königsplat­z. Die deutsche Geschichte beherrscht Araujo, die Sprache kaum.

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