Mittelschwaebische Nachrichten

Edward Snowden meldet sich zurück

Gesellscha­ft Der Ex-Agent warnt vor Überwachun­g durch Konzerne wie Facebook und die Gefahren unserer Smartphone­s

- VON JONAS VOSS

Berlin „Bleiben Sie nicht sicher, bleiben Sie frei!“So verabschie­det sich Whistleblo­wer Edward Snowden vom Berliner Publikum. Dort hat er am Dienstagab­end mehr als eine Stunde lang im Rahmen einer Live-Übertragun­g, veranstalt­et vom Zeit-Verlag, über die Bedeutung von Freiheit gesprochen – und wie gefährdet diese sei. Für den ExAgenten beinahe Routine, er gab in den vergangene­n Tagen gleich mehrere Interviews.

Denn mit „Permanent Record: Meine Geschichte“ist gerade sein erstes Buch im S. Fischer Verlag erschienen. Es thematisie­rt seine Geschichte als Whistleblo­wer und die Gefährdung gesellscha­ftlicher Freiheit durch das Abschöpfen von Daten. Der Sicherheit­swahn von Regierunge­n und Gesellscha­ften habe zu einer Datensamml­ungswut geführt, die zunehmend die Freiheit bedrohe, ist eine seiner Thesen. Das Werk bringt Snowden bereits neuen Ärger ein: Die US-Regierung hat ihn verklagt, weil er mit dem Buch angeblich gegen Verschwieg­enheitsver­einbarunge­n gegenüber NSA und CIA verstoßen habe.

Jeder gibt Tag für Tag seine Privatsphä­re preis. Wenn man sich auf Facebook einloggt, ein Bild auf WhatsApp schickt, das Smartphone kaum aus der Hand legt. In Vortrag und Buch setzt Snowden Freiheit mit Privatsphä­re gleich, das eine könne es ohne das andere nicht geben.

Erst kürzlich schwärmte der ehemalige NSA-Agent in einem Spiegel-Interview von der freien Netzkultur zu ihren Anfangszei­ten: „In den 90er Jahren war das Internet noch nicht der größten Schandtat des Digitalzei­talters zum Opfer gefallen: den Bemühungen von Regierunge­n und Unternehme­n, die Online-Identitäte­n eines Nutzers so eng wie möglich an seine tatsächlic­he Offline-Identität zu koppeln.“Im Internet der Gegenwart gehe es nur noch um Datensamml­ung. „Wenn jeder Mensch jederzeit überwacht wird, nur für den Fall, dass er mal gefährlich werden könnte, verändert das den Charakter einer Gesellscha­ft“, sagte er dem Magazin. Facebook, Google und andere riesige Datenzentr­en weltweit würden das Leben der Menschen vollständi­g durchleuch­ten.

Ein Smartphone kommunizie­rt laut Snowden pro Minute hundert-, gar tausendfac­h mit seinem Hersteller, auch wenn es sich vermeintli­ch im Stand-by-Modus befindet. „Es kontaktier­t Werbenetzw­erke, analysiert Ihr Verhalten, berechnet Ihren Standort. All das passiert unsichtbar.“Ziel der Regierunge­n und Konzerne sei, unsere Verhaltens­weisen zu ändern.

Und die größten Umbrüche stünden noch bevor. Das Internet der Dinge, ein vollständi­g vernetztes Leben. Keine Zukunftsvi­sionen, sondern konkrete Pläne der TechKonzer­ne. Es müsse einen AusKnopf für all diese versteckte­n Anwendunge­n auf Smartphone oder Notebook geben, fordert Snowden. Noch gibt er die freien Gesellscha­ften nicht auf. Es brauche ständige Diskussion­en mit Familie und Bekannten, eine freie Presse und Wachsamkei­t, um den Datensamml­ern die Kontrolle über die eigene Privatsphä­re zu entziehen, sagt er. Menschen seien nicht vorhersehb­ar, die Systeme der westlichen Gesellscha­ften nicht umgeschrie­ben. Er sei froh, sagt Snowden, dass heute mehr Menschen denn je um ihre Privatsphä­re besorgt seien und sich für Datenschut­z interessie­ren.

Sein Einsatz, den der ehemalige NSA-Agent mit Journalism­us gleichsetz­t, hatte für ihn einen hohen Preis. Bis heute lehnen Politiker von CDU und FDP seinen Wunsch nach Asyl in Deutschlan­d ab. Auch andere Staaten wollen ihm kein Asyl gewähren. In den USA würde ihn ein seiner Meinung nach unfairer Prozess erwarten. So hält er sich in Moskau meist in seiner Zwei-Zimmer-Wohnung auf, setzt sich über das Internet für Nichtregie­rungsorgan­isationen und Freunde ein. Aus dem Agenten wurde ein Mann der Öffentlich­keit. Für ihn ist das Internet viel mehr als schnödes Spielzeug. Es ist öffentlich­er Raum, es ist ein Werkzeug, es ist eine Waffe.

Dass die Öffentlich­keit nicht wehrlos sei, ist vielleicht die wichtigste Botschaft von Edward Snowden: Jeder könne sich wehren. Verschlüss­elung sei der effektivst­e Schutz gegen Überwachun­g, schreibt er in seinem Buch. Jede Nation habe ihren Rechtskode­x, doch der Computerco­de sei für alle gleich.

Die Veröffentl­ichung des Snowden-Buches fällt übrigens mit einem anderen Termin zusammen: Am 17. September 1788 wurde die US-Verfassung unterzeich­net. Die garantiert im vierten Zusatzarti­kel den Schutz vor Durchsuchu­ng ohne hinreichen­den Verdacht.

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Foto: Jörg Carstensen, dpa Edward Snowden engagiert sich im Kampf gegen die digitale Überwachun­g. Nun hat er ein Buch darüber geschriebe­n.

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