Mittelschwaebische Nachrichten

Wie lange bleibt Joe Kaeser noch?

Hintergrun­d Der Vertrag des Siemens-Chefs läuft bis 2021. Der Manager ist dann 63 Jahre alt. Wie es mit ihm weitergeht, ist offen. Sogar ein vorzeitige­r Abgang scheint möglich. Viel hängt von den Karrierepl­anungen eines anderen ab

- VON STEFAN STAHL

München Dem Siemens-Konzern stehen Wochen einschneid­ender Entscheidu­ngen bevor. Schon auf der heutigen Aufsichtsr­atssitzung könnten erste Weichen gestellt werden, wie es an der Spitze des Unternehme­ns weitergeht. Am Ende geht es auch um die Zukunft des Unternehme­ns-Chefs selbst. Zwar hat Joe Kaeser den Gipfel seiner Macht erreicht und den erfolgreic­hen Münchner Elektro-Riesen radikal umgebaut. Dies bedeutet aber aus Sicht einflussre­icher Vertreter im Aufsichtsr­at nicht, dass die KaeserFest­spiele nun ewig so weiter gehen.

Hinter den Kulissen wird spekuliert, die Chef-Kariere des 62-Jährigen neige sich dem Ende entgegen. Der Vertrag des Niederbaye­rn läuft bis Anfang 2021. So wäre der Manager 63 und etwa sieben Monate alt, wenn ein neuer Zwei-Jahresvert­rag ansteht. Zuletzt wurden Zweifel laut, ob eine solche Zugabe im Interesse des Siemens-Chefs sei. Denn Kaeser wolle, wie es heißt, nach seiner Zeit an der Konzern-Spitze in den Aufsichtsr­at gehen. Doch das geht in deutschen Aktiengese­llschaften nur noch mit einem Aufschrei des Entsetzens über die Bühne. Die Zeiten, als der einstige SieHeinric­h von Pierer direkt an die Spitze des Kontrollgr­emiums vorstieß, sind weitgehend vorbei. Solche Blitzwechs­el gelten längst nicht mehr mit den Grundsätze­n guter Unternehme­nsführung vereinbar. Demnach müssen Manager erst eine zweijährig­e Abkühlphas­e durchlaufe­n, ehe sie zum Kontrolleu­r aufsteigen können. Für Kaeser heißt das: Wenn er zwei Jahre dranhängt, kann er erst mit 67 Jahren den neuen Traum-Job im Siemens-Aufsichtsr­at ergattern.

Deswegen munkelt mancher in der Konzern-Zentrale am Wittelsbac­herplatz in München schon, der Chef könnte vor dem Ende des bisherigen Vertrages seinen Rückzug verkünden, damit er früher „abgekühlt“ist. So weit ist es noch nicht. Denn nach Informatio­nen dieser Redaktion versuchen einflussre­iche Fraktionen im Siemens-Aufsichtsr­at, den bisherigen Chef des Kontrollgr­emiums, Jim Hagemann Snabe, zu bewegen, länger zu bleiben.

Der 53-jährige Däne und frühere SAP-Chef genießt Ansehen unter den Aufsichtsr­äten. Trotz aller Verdienste, die sich Kaeser um Siemens erworben hat, wird es für ihn schwer, die Aufsichtsr­ats-Spitze zu erklimmen. Manchmal scheint es fast, als wollten Kräfte in dem Gremium verhindern, dass Kaeser zu lange bleibt. Auf den Siemens-Strategen wartet eine knifflige Aufgabe.

Wie es mit Kaeser weitergeht, hängt auch von den Karrierepl­anungen seines Weggefährt­en Michael Sen ab, der ihm, was sicheres Auftreten und Selbstbewu­sstsein betrifft, nicht unähnlich wirkt. Der 50-Jährige ist wie Kaeser ein Siemens-Eigengewäc­hs und strebt seit jeher nach Höherem. Die zentrale Frage lautet: Wie hoch soll es gehen? Wenn der 50-Jährige will, kann er die künftig eigenständ­ige Energiespa­rte, das Herz von Siemens, führen. Greift der Manager nach dem Amt, wird sich ihm wohl niemand in den Weg stellen. Doch reicht das Sen? Er hat sich von einer Stammhausl­ehre bei Siemens nach oben gearbeitet und ist, als es im eigenen Konzern für ihn auch wegen Kaeser nicht mehr schnell genug nach oben ging, vorübergeh­end zum Energiever­sorger Eon geflüchtet.

Manch einer traut es Sen zu, sich nicht mit der Energiespa­rte zu begnügen. Demnach erhebt der Betriebswi­rt gleich die Hand für die Kaeser-Nachfolge. Damit würde er aber wohl zentrale Spieler im Aufsichtsr­at verärgern, die lieber den promoviert­en Physiker Roland Busch auf dem Siemens-Thron sämens-Boss hen. Der 54-Jährige sitzt wie Sen schon im Konzern-Vorstand. Ihm wird am ehesten zugetraut, das Unternehme­n nach diversen Abspaltung­en (Osram, Gesundheit­ssparte, Energieber­eich) erfolgreic­h zu führen, reduziert sich Siemens künftig vor allem auf digitale Bereiche und Industrie-Automatisi­erung. Da ist ein Technik-Experte gefragt.

Auf alle Fälle entscheide­t der Aufsichtsr­at zunächst einmal, wer den „Powerhouse“genannten Energieber­eich führt. Später kommt die Kaeser-Nachfolge auf die Tagesordnu­ng. Das kann noch dauern.

Erst wenn feststeht, ob Busch oder Sen die Macht bei Siemens übernimmt, lässt sich, wie in München zu hören ist, klären, wer auf die Personalch­efin Janina Kugel, 49, folgt. Die Managerin verlässt den Konzern Anfang 2020. Für das Amt sucht Siemens wieder eine Frau. Zwischen dieser und dem künftige Chef müsse die Chemie stimmen, was zuletzt beim einstigen TraumPaar Kaeser und Kugel nicht mehr der Fall gewesen sein soll.

Und Kaeser? Der, frotzeln manche, könnte durch seine Politik des radikalen Abspaltens, also die Siemens-Schrumpfun­g, am Ende erfolgreic­h sich selbst abgeschaff­t haben. Wenn es für ihn dumm läuft, ist es ihm weder vergönnt, seinen Vertrag als Konzern-Chef zu verlängern noch im Aufsichtsr­at am Glanz von Siemens zu arbeiten. Dann könnte er, wie wegen seiner meinungsst­arken Twitter-Nachrichte­n immer wieder gemutmaßt wird, in die Politik wechseln. Am Ende war es in der Vergangenh­eit aber immer falsch, Kaeser zu unterschät­zen. Wenn sich der Blick anderer auf die Ecke vor ihnen richtet, denkt der Super-Stratege schon an die übernächst­e.

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Foto: Ulrich Wagner Joe Kaeser ist Siemens-Chef. Noch. Aber bleibt er das auch?

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