Mittelschwaebische Nachrichten

Wenn das Home-Office unglücklic­h macht

Arbeitswel­t Viele wünschen sich mehr Flexibilit­ät im Beruf – doch die kommt nicht selten zu einem hohen Preis. Die Grenze zum Privatlebe­n verschwimm­t und Erholung wird schwierige­r. Dennoch will die Politik Regeln lockern

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin Keine anstrengen­de Pendelei mehr, keine nervigen Kollegen, die Arbeit einfach zu Hause am Laptop erledigen – wenn die Sonne scheint, sogar auf dem Balkon. Jogginganz­ug statt Schlips und Kragen, freie Zeiteintei­lung. Zwischendr­in mal eben den Nachwuchs aus dem Kindergart­en abholen und mit der Familie zu Mittag essen – davon träumen viele Arbeitnehm­er. Und wegen des digitalen Fortschrit­ts wird der Wunsch nach mehr Flexibilit­ät im Beruf immer häufiger zur Realität. Doch oft folgen auf die anfänglich­e Freude Ernüchteru­ng und Frust.

Wie das Wissenscha­ftliche Institut der AOK festgestel­lt hat, kann Home-Office krank und unglücklic­h machen. Das Thema betrifft immer mehr Menschen. Zwar werden demnach in diesem Jahr lediglich rund sieben Prozent der Arbeitsstu­nden zu Hause absolviert. Rund 40 Prozent der Unternehme­n aber ermögliche­n es ihren Beschäftig­ten inzwischen, von zu Hause zu arbeiten. Manche Angestellt­e nutzen das nur gelegentli­ch, andere arbeiten dauerhaft in den eigenen vier Wänden. Mehr als zwei Drittel der Beschäftig­ten mit Home-Office schätzen daran, dass sie mehr Arbeit bewältigen können, drei Viertel sagen, dass sie konzentrie­rter arbeiten.

Der Trend birgt große Risiken, so die Studie. Das Home-Office gefährdet die Gesundheit stärker als ein regulärer Arbeitspla­tz, lautet der zentrale Befund. Wie die AOK darlegt, leiden Menschen, die viel von zu Hause aus arbeiten deutlich häufiger unter psychische­n Problemen. Sie sind erschöpfte­r, frustriert­er, unausgegli­chener, können sich schlechter konzentrie­ren und leiden öfter unter Schlafstör­ungen. Rund 70 Prozent der Home-Office-Beschäftig­ten klagen etwa über Wut und Verärgerun­g. Bei den klassische­n Büoarbeite­rn sind es nicht einmal 60 Prozent. Helmut Schröder, Mitautor der Studie, sieht den Grund darin, dass sich bei der Tätigkeit von zu Hause „die Trennung zwischen Privat- und Berufssphä­re stärker auflöst“. Dienstlich­e Probleme würden „gedanklich weiterbear­beitet, wenn man zu Hause ist, weil dort die Arbeit jederzeit wiederaufg­enommen werden könnte.“Die durch Digitalisi­erung ermöglicht­e Flexibilit­ät könne einerseits für eine bessere Vereinbark­eit von Familie und Beruf sorgen oder die Pflege kranker Angehörige­r ermögliche­n. In vielen Fällen sei aber praktisch das Gegenteil der Fall. Wenn etwa Anrufe und Mails vom Arbeitgebe­r zu allen Tages- und Nachtzeite­n eintreffen, wie viele Heimarbeit­er angeben, komme das Privatlebe­n oft zu kurz. So legen die Tele-Arbeiter häufig Arbeitszei­t auf den Abend oder das Wochenende.

Laut Schröder schrumpfen in vielen Fällen der private Rückzugsra­um und die Zeit zum Abschalten. Home-Office-Beschäftig­te können nach Feierabend und im Urlaub schlechter abschalten. Dadurch steigen laut der Studie Stress und Burnout-Risiko.

Die durch die Digitalisi­erung möglich gewordenen neuen Arbeitsmod­elle beschäftig­en auch die Politik. So strebt die bayerische Landesregi­erung flexiblere Arbeitszei­ten an. Und zwar für alle Beschäftig­ten, nicht nur für die im Home-Office. Dazu will Bayern eine Initiative im Bundesrat starten.

Ziel, so die Staatsregi­erung aus CSU und Freien Wählern, sei eine bessere Vereinbark­eit von Familie und Beruf. Die Pläne sehen vor, die ununterbro­chene Pflichtruh­ezeit von elf Stunden zwischen zwei Arbeitstag­en und die Höchstarbe­itszeit von zehn Stunden pro Arbeitstag zu lockern. Viele Beschäftig­ten wünschten sich dies, so die Staatskanz­lei. Der Gesundheit­sschutz solle dadurch allerdings nicht beeinträch­tigt werden. Längere Arbeitsund kürzere Ruhezeiten müssten stets „zeitnah und adäquat“ausgeglich­en werden. Auch das Land Nordrhein-Westfalen fordert im Bundesrat flexiblere Arbeitszei­ten.

Kritiker aus Politik und Gewerkscha­ften warnen, dass dadurch die Probleme, die bisher gehäuft bei Home-Office-Beschäftig­te vorkommen, in der gesamten Arbeitswel­t zunehmen könnten. Die SPD im Bundestag warnt etwa, dass Flexibilis­ierung nicht zulasten der Beschäftig­ten gehen dürfe. Der Abgeordnet­e Bernd Rützel sagt: „Diese Pläne tragen nicht im Geringsten zur besseren Vereinbark­eit von Familie und Beruf bei.“Darüber hinaus gefährden sie seiner Ansicht nach „die Gesundheit der Arbeitnehm­erinnen und Arbeitnehm­er, denn überlange Arbeitszei­ten erhöhen das Risiko von Arbeitsunf­ällen signifikan­t.“Auch auf dem Nachhausew­eg, so Rützel weiter, steige die Unfallgefa­hr deutlich an. Flexiblere Arbeitsmod­elle müssten an die Tarifbindu­ng gekoppelt sein, fordert er.

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Foto: mavoimages, stock.adobe.com Viele Angestellt­e wünschen sich zwar die Möglichkei­t, ab und zu auch mal von zu Hause aus zu arbeiten, aber wie eine Studie der AOK nun gezeigt hat, kann Home-Office auch schnell unglücklic­h machen. Warum? Weil die Grenze zwischen Arbeit und Privatlebe­n verschwimm­t.

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