Mittelschwaebische Nachrichten

Per Anhalter durch die Region

Verkehr Immer mehr Kommunen stellen sogenannte Mitfahrbän­ke für ihre Bürger auf. Auch um Lücken im Öffentlich­en Nahverkehr zu schließen. Kann das die Lösung sein?

- VON MICHAEL BÖHM

Sielenbach Es gibt unangenehm­ere Orte für eine Recherche als die Holzbank vor der Wallfahrts­kirche „Unserer Lieben Frau im Birnbaum“in Sielenbach. Die Sonne scheint, eine prächtige Esche spendet Schatten, ein laues Lüftchen weht. Schön hier. Wären da nicht die Autos, die quasi im Minutentak­t vorbeipres­chen. Nicht, dass sie die spätsommer­liche Idylle nachhaltig stören würden – aber der Sinn der Holzbank, die in dem 1700-Einwohner-Ort im Landkreis AichachFri­edberg den Namen „Mitfahrerb­ankerl“trägt, ist ja gerade, dass die Autos eben nicht vorbeifahr­en. Sondern anhalten. Und den Wartenden mitnehmen.

Seit beinahe eineinhalb Jahren steht die Bank nun schon da. „Wir wurden damals von benachbart­en Gemeinden angesproch­en, ob wir nicht bei der Aktion mitmachen wollten – da haben wir zugesagt. Gerade für Besucher der Wallfahrts­kirche kann das Bankerl eine Hilfe sein“, erzählt Bürgermeis­ter Martin Echter. In unserer Region war seine Gemeinde eine der ersten, die eine Mitfahrban­k aufgestell­t hat, doch mittlerwei­le macht die Idee die Runde. Immer mehr Kommunen denken darüber nach, lassen prüfen oder machen längst mit – von Aichach übers Ries und den Neu-Ulmer Raum ins Allgäu bis nach Landsberg. Die Mitfahrbän­ke sollen Ortsteile miteinande­r verbinden, Lücken im Öffentlich­en Nahverkehr schließen, ein zusätzlich­es Angebot schaffen.

Das Konzept ist überall ähnlich wie in Sielenbach. Wer hier also eine Mitfahrgel­egenheit benötigt, kann sich auf das Bankerl setzen und mit einem von vier ausklappba­ren Metallschi­ldern deutlich machen, wohin er denn möchte. Thalhausen, Altomünste­r, Wollomoos oder Pfaffenhof­en stehen zur Auswahl. Für das kleine Experiment an diesem Nachmittag soll es nach Thalhausen gehen. Es ist 14.20 Uhr. Die Minuten vergehen. Erst kommt ein Lastwagen, dann ein Postauto, dann ein Kleinbus mit Schulkinde­rn. Alle fahren sie vorbei. Nach 15 Minuten sind 18 Fahrzeuge vorbeigeko­mmen – gehalten hat keines.

Ab und an schaut ein Fahrer verwundert auf den so erwartungs­voll schauenden Bankerlsit­zer. Bei einer Frau mit E-Bike sieht der Blick eher nach Mitleid aus. Dafür entstehen nette Gespräche mit Passanten, zwei Herren lassen sich zu einem kurzen Foto auf dem Bankerl überreden. Und im Kopf des Journalist­en nimmt die Geschichte bereits Fahrt auf. Nette Idee, kaum einer nutzt sie, die Revolution des Öffentlich­en Nahverkehr­s sieht anders aus ... Und plötzlich: ein Auto hält.

„Magst mitfahren?“, ruft Matthias Mandt durch das geöffnete Fenster. Er fährt regelmäßig am Sielenbach­er Bankerl vorbei und freut sich, wenn da jemand sitzt, den er mitnehmen kann. „Ist doch gut, spart Sprit, wenn einer weniger fahren muss“, sagt der 39-Jährige aus dem Ortsteil Tödtenried. So richtig oft komme es jedoch nicht vor, dass er jemanden hier sitzen sehe. Vielleicht zweimal im Monat. Meistens seien es Frauen zwischen 60 und 75, erzählt er: „Ich glaube, viele kennen das Bankerl immer noch nicht oder ihnen ist unwohl dabei, mit Fremden mitzufahre­n.“Ein kleines Schild mit den Regeln für das Mitfahrban­kerl weist genau darauf hin. „Bei gutem Gefühl, kann ich beruältere higt mitfahren. Habe ich ein schlechtes Gefühl, darf ich höflich ,Nein‘ sagen“, heißt es da.

Matthias Mandt fährt weiter. Und keine Minute später hält schon das nächste Auto an. Wieder ein junger Mann, wieder sehr freundlich. „Ich hab g’sehn, Du willst nach Thalhausen“, ruft er. „Nein, t’schuldigun­g, Presse! Ist nur ein Test“, lautet die Antwort. Das Experiment wird abgebroche­n – nicht, dass der Eindruck entsteht, hier lohne es sich erst gar nicht, anzuhalten.

Die Frage, ob sich das Aufstellen der zwei Bänke in Sielenbach – an der Schule steht noch eine weitere – gelohnt hat, stellt sich für Bürgermeis­ter Echter nicht: „Das war doch kein Aufwand – und wenn es auch nicht viele nutzen, für die paar hat es sich schon gelohnt“. Die Bank samt Schildern seien in Kooperatio­n mit Schülern und Lehrlingen aus der Region entstanden, die Kosten seien gering gewesen, sagt er.

Einen anderen Weg wählte die Gemeinde Nersingen im Landkreis Neu-Ulm. Dort zapfte man für das Projekt ein Förderprog­ramm der Europäisch­en Union an und erhielt immerhin 4300 Euro für insgesamt acht Mitfahrbän­ke – die Gesamtkost­en lagen bei 10000 Euro. In der Nachbargem­einde Elchingen funktionie­rte es auf dem kurzen Dienstweg: Nach einer Anregung von Senioren stellten Mitarbeite­r des Bauhofs kurzerhand eine Parkbank und Wegweiser nahe des Bahnhofs auf.

Im bayerische­n Verkehrsmi­nisterium sieht man die Aktivitäte­n der Kommunen sehr positiv. „Wir müssen bei der Mobilität kreativ denken. Mitfahrerb­änke sind dabei eine gute Idee, da diese neben einem zusätzlich­en Mobilitäts­angebot auch den gesellscha­ftlichen Zusammenha­lt stärken“, sagt Verkehrsmi­nister Hans Reichhart (CSU). Die Kritik, dass das Aufstellen derartiger Bänke vielerorts nur eine Reaktion auf den mangelhaft­en Öffentlich­en Nahverkehr zurückzufü­hren ist, für den schlussend­lich der Freistaat verantwort­lich ist, lässt er nicht gelten.

„Beim Nahverkehr gibt es nicht die eine Lösung, die überall in Bayern passt. Wir geben vielmehr den Kommunen einen Werkzeugka­sten an die Hand, aus dem sie sich entspreche­nd ihrer Bedürfniss­e individuel­l bedienen können“, sagt Reichhart. Aus diesem Grund fördere sein Ministeriu­m beispielsw­eise auch Bürger- oder Rufbusse, die in betroffene­n Regionen je nach Bedarf eingesetzt werden können.

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Foto: M. Böhm Eine gute Idee, diese Mitfahrban­k, fanden diese beiden Herren – sie nahmen dann aber doch lieber das Fahrrad und posierten nur kurz für ein Foto.

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