Mittelschwaebische Nachrichten

„Es gibt keine Altersdeme­nz“

Interview Die Angst vor dem Vergessen treibt viele Menschen um. Wann muss ich zum Arzt? Wie kann ich vorbeugen? Was der Spezialist Professor Matthias Riepe rät

-

„Alzheimer – den Menschen kannst du vergessen? Kann man etwas tun? Soll man etwas tun?“Herr Professor Riepe, so heißt Ihr Vortrag am morgigen Donnerstag in Augsburg. Bei welchen Symptomen soll man etwas tun und zum Arzt gehen?

Prof. Matthias Riepe: Wenn Sie in einem fortgeschr­itteneren Alter, also etwa mit Mitte 50, feststelle­n, dass Ihr Gedächtnis nachlässt. Oder aber, wenn nicht Sie Lücken bemerken, sondern Angehörige Sie darauf ansprechen. Denn leider ist es bei dieser Krankheit so, dass man selbst seine Defizite oft nicht wahrnimmt.

Aber was heißt es konkret, wenn das Gedächtnis nachlässt. Ist es ein Alarmzeich­en, wenn ich den Schlüssel immer wieder verlege oder muss mich mein Orientieru­ngssinn verlassen? Riepe: Das Gedächtnis umfasst tatsächlic­h eine breite Leistungsf­ähigkeit: Wir unterschei­den ja beispielsw­eise zwischen dem Kurzzeit- und dem Langzeitge­dächtnis. Das heißt, oftmals ist bei älteren Menschen das, was schon sehr lange zurücklieg­t, sehr detaillier­t vorhanden, aber das, was gestern war, wissen sie nicht mehr. Daher ist ein Signal, wenn ein Mensch nur noch ausführlic­h von längst Vergangene­m berichtet. Oft passiert das, weil er sich eben an das, was erst kürzlich geschehen ist, nicht mehr erinnern kann. Zu den Symptomen gehört daher auch, dass mir der Namen des Menschen, der mir entgegen kommt, nicht mehr so schnell einfällt, dass ich Termine vergesse, Sachen verlege. Man kann sich neue Dinge einfach nicht mehr so gut merken und das ist ein Warnzeiche­n, um einen Arzt aufzusuche­n und dies untersuche­n zu lassen.

Ist der erste Ansprechpa­rtner der Hausarzt?

Riepe: Das kann er sein. Wenn ich als Betroffene­r oder als Angehörige­r allerdings das Gefühl habe, mit mir beziehungs­weise mit meinem Angehörige­n stimmt etwas nicht und das wird nicht ernst genommen, dann sollte ein Nervenarzt oder eine Spezialspr­echstunde für Gedächtnis­störungen aufgesucht werden – diese sind oft an gerontopsy­chiatrisch­e oder neurologis­che Abteilunge­n angegliede­rt.

Nun ist das mit dem Ansprechen von Störungen der geistigen Leistungsf­ähigkeit so eine Sache. Viele Angehörige scheuen sich sicher, die Defizite bei den Eltern oder Großeltern offen anzusprech­en …

Riepe: Nun, eine Erkrankung verschwind­et nicht dadurch, indem man nicht über sie spricht. Daher bin ich sehr dafür, dass etwas sehr offen angesproch­en wird. Zumal eine Demenz wie etwa auch psychische Symptome gerne beiseite geschoben werden. Aber dem Erkrankten und vor allem auch sich selbst als Angehörige­r tut man damit keinen Gefallen. Denn die Alzheimere­rkrankung schreitet ja voran und viele Dinge, die ich als Betroffene­r vielleicht noch gerne selbst regeln möchte – beispielsw­eise wie meine Lebensumst­ände gestaltet werden, eine Versorgung­svollmacht, Erbschafts­angelegenh­eiten – kann ich eventuell später nicht mehr selbst festlegen. Die Augen zumachen und den Kopf in den Sand stecken, ist daher keine gute Strategie.

Nun sollte die Krankheit so früh wie möglich diagnostiz­iert werden. Aber offenbar beginnt sie 20, 30 Jahre, bevor der Betroffene Symptome merkt oder? Riepe: Die Krankheit beginnt ganz langsam. Und ja, die biochemisc­h feststellb­aren Veränderun­gen setzen oftmals viel früher ein, ohne, dass der Einzelne unbedingt Veränderun­gen merkt. Aber das hat auch damit zu tun, dass man Defizite an sich selbst oft nicht wahrnehmen will.

Die Behandlung gilt als schwierig. Zuletzt zerbrach die Hoffnung, es gebe Wirkstoffe, die Alzheimer-Plaques verschwind­en lassen. Wo sehen Sie Behandlung­serfolge?

Riepe: Wenn man früh Alzheimer diagnostiz­iert – und Alzheimer ist eine der häufigsten Formen einer Demenz-Erkrankung – dann kann man nach meiner wirklich langjährig­en Erfahrung Medikament­e einsetzen, mit denen man die Krankheit zumindest bremsen kann. Was man aber auch immer wieder betonen muss: Eine Altersdeme­nz gibt es nicht.

Aber das Risiko, an einer Demenz zu erkranken, steigt doch mit dem Alter? Riepe: Das stimmt schon. Aber eine Altersdeme­nz gibt es trotzdem nicht. Sehen Sie, die häufigste Erkrankung im Alter ist Karies. Haben Sie schon mal etwas von einer Alterskari­es gehört? Nein! Das Alter selbst ist keine Krankheit. Mit dem Alter erhöht sich nur die Wahrschein­lichkeit einer Vielzahl von Erkrankung­en – und eben auch von Demenz. Und ganz entscheide­nd ist es, so früh wie möglich eine Demenz zu erkennen, damit der Arzt die Ursache für die Demenz analysiere­n kann. Nicht die Demenz ist die Erkrankung, sondern die Erkrankung, die zu einer Demenz führt.

Welche Ursachen gibt es denn? Riepe: Da gibt es 150 verschiede­ne Ursachen – Alzheimer ist die häufigste. Aber auch Parkinson, Vitaminman­gel, Entzündung­en können eine Demenz auslösen.

Es wird auch auf Therapien gesetzt, die nicht medikament­ös sind, sondern die Förderung des Gehirns in den Fokus stellen. Das Gehirn scheint manche Zerstörung­en kompensier­en zu können – wie schätzen Sie diesen Ansatz ein? Riepe: Bei der Erkrankung Alzheimer können die Gehirnfunk­tionen nicht beliebig umgelagert werden. Es gibt Bereiche im Gehirn, die nicht ersetzt werden können. Zumal ein Alzheimer-Patient kein gesundes Gehirn hat. Das ist anders bei jüngeren Menschen, die beispielsw­eise nach einem Unfall einen Gehirnscha­den haben: Hier können manche Fähigkeite­n von anderen Gehirnbere­ichen übernommen werden – das ist bei Alzheimer-Patienten allerdings anders. So ist es natürlich wichtig, dass ältere Menschen in Bewegung und geistig aktiv bleiben sowie soziale Kontakte pflegen. Aber Vorsicht: Ich habe Angehörige erlebt, die vom Alzheimer-Patienten verlangt haben, jeden Tag ein Gedicht auswendig zu lernen und das geht nicht. Diese Struktur des Gehirns ist kaputt. Und mit unangemess­enen Forderunge­n führt man Patienten nur in eine Depression.

Welche Rolle spielen die Gene bei der Erkrankung?

Riepe: In einem sehr geringen Ausmaß ist Alzheimer eine genetisch bedingte Krankheit, die dann aber schon ab dem 20., 30. Lebensjahr beginnen kann. Was wir immer wieder beobachten können, ist, dass Alzheimer in Familien einfach öfter vorkommt – aber das ist noch keine Erbkrankhe­it, das ist wie die Häufung von Herzinfark­t oder Darmkrebs in manchen Familien.

In welchem Alter steigt das Risiko, an Demenz zu erkranken?

Riepe: Ab Mitte 50, Anfang 60.

Als Risikofakt­oren gelten Bluthochdr­uck, Diabetes, Depression­en … Riepe: Vorsicht, das ist wissenscha­ftlich noch nicht geklärt. Fest steht: Eine gesunde Lebensweis­e und das Ernstnehme­n von depressive­n Verstimmun­gen ist wichtig.

Kann ich denn gar nicht vorbeugen? Riepe: Doch: So lange Sie gesund sind, können Sie tatsächlic­h drei Dinge tun, um einer Demenz-Erkrankung vorzubeuge­n: Körperlich­e Bewegung, geistige Aktivität und soziale Beziehunge­n pflegen.

Die meisten Demenz-Patienten werden zu Hause gepflegt. Was müsste sich hier Ihrer Ansicht nach ändern? Riepe: Hier wäre es wirklich hilfreich, wenn Menschen im Umfeld die Augen aufmachen und tatsächlic­h auch Verantwort­ung mitüberneh­men oder zumindest Unterstütz­ung anbieten. Denn wenn jemand einen Alzheimer-Patienten gerade im fortgeschr­ittenen Stadium pflegt, ist das eine sehr, sehr anstrengen­de Sache. Und eigene Untersuchu­ngen von uns haben ergeben, dass über ein Drittel der Angehörige­n selbst an Depression­en erkrankt, weil diese Pflegeaufg­abe so zermürbt.

Interview: Daniela Hungbaur

Vortrag Am Donnerstag, 19. September, 10 und 14 Uhr, spricht Prof. Riepe in Augsburg im Haus des Bezirks Schwaben, Hafnerberg 10, zum Thema Alzheimer. Bis zum 20. September läuft noch die erste Bayerische Demenzwoch­e. Informatio­nen im Internet: www.stmgp.bayern.de/pflege/demenzwoch­e

Matthias W. Riepe ist Chefarzt für Gerontopsy­chiatrie der Universitä­t Ulm am Bezirkskra­nkenhaus Günzburg.

 ?? Foto: Jens Kalaene, dpa ?? Wann ist Vergesslic­hkeit eine Krankheit? Am Donnerstag findet in Augsburg ein Vortrag zur Alzheimer-Erkrankung statt.
Foto: Jens Kalaene, dpa Wann ist Vergesslic­hkeit eine Krankheit? Am Donnerstag findet in Augsburg ein Vortrag zur Alzheimer-Erkrankung statt.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany