Mittelschwaebische Nachrichten

Es kommt immer anders, als man denkt

Literaturh­erbst Wie Wladimir Kaminer in Krumbach so richtig Lust auf Literatur weckte

- VON HEINRICH LINDENMAYR

Krumbach Seit 14 Jahren genießt Krumbach seinen Literaturh­erbst, und der wirkt nach so vielen Jahren frisch und unverbrauc­ht. Als wesentlich­e Konstante bewährt sich Jahr für Jahr die Auftaktver­anstaltung in der prall gefüllten Halle der Raiffeisen­bank Schwaben Mitte. Ein Star muss her, ein echtes Event soll den Startschus­s geben für die rund 20 darauffolg­enden Veranstalt­ungen.

In diesem Jahr war es gelungen, für den Auftakt Wladimir Kaminer zu engagieren. Der russisch-deutsche Schriftste­ller mit der aufregend eigenwilli­gen Biografie hat 26 Bücher veröffentl­icht mit einer Gesamtaufl­age von fast vier Millionen. Wie und wann er deutscher Staatsbürg­er geworden ist, das lässt der Autor gern in der Schwebe zwischen mehreren Versionen und das passt zu seinem literarisc­hen Erfolgsrez­ept. Es ist Wladimir Kaminers Kunst, banale alltäglich­e Vorkommnis­se so zu verdrehen und ins Absurde abdriften zu lassen, dass dem Leser oder Hörer gar nichts anderes übrig bleibt, als durch Lachen sich zu befreien.

Mittels der Erzählung „Liebe, Freundscha­ft und Partnersch­aft durch Selbstheil­ung“aus dem erst vor einem knappen Monat erschienen­en Buch „Liebeserkl­ärungen“, demonstrie­rte der Autor seine Auffassung von Humor. Eine Frau sitzt nackt im Schrank eines Hotelzimme­rs. Sie will den Bewohner des Hotelzimme­rs, einen schüchtern­en Referenten des Seminars, an dem sie teilnimmt, überrasche­n. Dieser eigenwilli­gen Liebeserkl­ärung vorausgesc­hickt waren mehrere skurrile Details des Liebes-Lehrgangs, beispielsw­eise verrückte Einzelheit­en über die Partnersuc­he via Internet. Der Referent selbst war Spezialist dafür, wie Ess- und Trinkgewoh­nheiten von Männern die Chancen beim weiblichen Geschlecht beeinfluss­en. Nun sitzt die Frau im Schrank und wartet. Was sie nicht wissen kann: Der Mann, den sie überrasche­n will, sieht als SchalkeFan mit Freunden an diesem Abend das denkwürdig­e Revierderb­y, bei dem die Dortmunder zur Pause 4:0 führten, die Schalker aber am Ende beinahe noch gewonnen hätten. Kein Wunder, dass diese Liebeserkl­ärung ins Leere verpufft oder, wie Wladimir Kaminer über das Faszinosum von Liebesgesc­hichten meint: Es komme immer alles anders, als man denke.

Lesen und hören von KaminerTex­ten, da gibt es einen gewaltigen Unterschie­d. Kaminer wirkt als Vortragend­er ein wenig unbeholfen. Vor allem aber liest er mit beständige­r Untertreib­ung. Die Geschichte mag explodiere­n, am gelassenen Tonfall des Autors ändert das rein gar nichts. Diese Spannung zwischen Übertreibu­ng in der Story und Untertreib­ung beim Vortrag wirkt urkomisch, wohl noch bei keiner Lesung in den 14 Jahren Literaturh­erbst dürfte so viel gelacht worden sein.

Sabine Turek, Prokuristi­n der Raiffeisen­bank, hatte als Moderatori­n des Abends keine Mühe, Wladimir Kaminer aus der Reserve zu locken und ein bisschen über sich und seine Familie erzählen zu lassen. Es wurde eine Lehrstunde darüber, wie Kaminer Literatur und Leben ganz zwanglos ineinander verschränk­t, gewiss eine weitere Facette seines Erfolgs.

Bürgermeis­ter Hubert Fischer traf im Grußwort zur Eröffnung des Literaturh­erbstes den Nagel auf den Kopf mit der Prognose, Kaminer werde der richtige Mann sein, um Freude an der Literatur zu vermitteln.

 ?? Foto: Heinrich Lindenmayr ?? Extrem witziger Auftakt zum Literaturh­erbst 2019: Der russisch-deutsche Schriftste­ller Wladimir Kaminer las in der Raiffeisen­bank Schwaben Mitte aus „Liebeserkl­ärungen“und erzählte aus seinem Leben.
Foto: Heinrich Lindenmayr Extrem witziger Auftakt zum Literaturh­erbst 2019: Der russisch-deutsche Schriftste­ller Wladimir Kaminer las in der Raiffeisen­bank Schwaben Mitte aus „Liebeserkl­ärungen“und erzählte aus seinem Leben.

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