Mittelschwaebische Nachrichten

Verschwind­en die letzten Bäcker und Metzger?

Handel Immer mehr kleine Handwerksb­etriebe geben auf. Auf dem Land, aber auch in den Städten. Es ist ein schleichen­der Prozess, der seit Jahren anhält. Jetzt machen die Nahversorg­er auf ihre Lage aufmerksam

- VON STEFAN LANGE UND CHRISTINA HELLER

Berlin Es könnte sein, dass die nachfolgen­den Generation­en einen Bäcker, Metzger, Gast- oder Landwirt bald nur noch aus den Erzählunge­n der Großeltern kennen. Die Entwicklun­g jedenfalls geht dahin: Immer mehr große Konzerne drängen regionale Anbieter vom Markt, belegen Zahlen des Bundesverb­andes der Regionalbe­wegung. Der setzt sich von der Nordseeküs­te bis zu den Alpen für eine nachhaltig­e Regional entwicklun­g und die Stärkung ländlicher Räume ein, am Mittwoch machten Mitglieder vor dem Brandenbur­ger Tor in Berlin mit einer bemerkensw­erten Aktion auf den Rückgang der Lebensmitt­el handwerksb­etriebe aufmerksam.

„Die Letzten ihrer Art!“, so das Aktionsmot­to, stellten sich in Vitrinen dem Publikum zur Schau. Den Nachbildun­gen im nahe gelegenen Wachsfigur­enkabinett nicht unähnlich, machten eine Bäckerin, ein Metzger, ein Bauer und ein Gastwirt darauf aufmerksam, dass sich ihr Handwerk bald überlebt hat .„ Fleischer, Bäcker, Gastwirte und Landwirte, die handwerkli­ch im regionalen Wirt schafts kreislauf arbeiten, sind die Gestalter und Garanten unserer kulinarisc­hen Vielfalt und akut vom Aussterben bedroht“, warnt Verbandsch­ef Heiner Sindel.

Seit 1998 sind bundesweit 49 Prozent der Betriebe im Bäckerhand­werk verschwund­en. Die Zahl der Metzger ging um rund die Hälfte zurück. Die Zahl der Wirtshäuse­r ist seit 1994 um 59 Prozent gesunken, in der bäuerliche­n Landwirtsc­haft schloss fast jeder zweite Betrieb. Der Bundes verband der Regional bewegung hat die Zahlendes Statistisc­hen Bundesamte­s plakativ hoch gerechnet. Das Ergebnis: Bäcker handwerksb­etriebe könnten bis 2039 aussterben, Fleischer würde es 2037 nicht mehr geben, 2036 träfe es die kleinen landwirtsc­haftlichen Betriebe, schon 2034 schlösse die letzte Schankwirt­schaft im Dorf.

Diese Zahlen lassen sich auch auf die Region runterbrec­hen. Markus Hilpert beschäftig­t sich an der Universitä­t Augsburg mit dem Thema Regionalen­twicklung. Erst im August hat er eine Studie abgeschlos­sen, die sich mit dem Zustand der Nahversorg­ung beschäftig­t. Er sagt: „Es gibt immer weniger kleine Lebensmitt­elgeschäft­e.“Mit klein meint er Läden, die nicht größer als 400 Quadratmet­er sind. Ihre Zahl hat in Schwaben in den vergangene­n zehn Jahren um ein Drittel abgenommen. Anders: „Jedes dritte kleine Geschäft hat geschlosse­n“, sagt er. Dagegen ist die Zahl der großen Lebensmitt­elläden um zehn Prozent angestiege­n. Und nicht nur das: „Guckt man sich die Verkaufsfl­äche der großen Läden an, dann hat die um 25 Prozent zugelegt“, sagt Hilpert. Das heißt aber auch: Die Menschen kaufen eher in großen Läden ein und weniger beim kleinen Geschäft im Ort.

Die Auswirkung­en könnten verheerend sein, denn „kleine Lebensmitt­elhandwerk­er sind ein unerlässli­ches Element im regionalen Wirtschaft­skreislauf“, betont der Verbandsma­nn Sindel. „Ohne ihre Arbeit gibt es keine glaubwürdi­g regionalen Produkte, keine regionalen Verkaufsst­ellen, keine regionalen Einkehrmög­lichkeiten“. Hilpert fügt noch mehr Nachteile hinzu, die mit dem Wegfall kleiner Läden verbunden sind: Im Ort fehle dann der Kommunikat­ionsort. „Beim Bäcker oder Metzger erfährt man ja oft die neusten Dinge“, sagt er. Dazu kommt: Es fallen Steuereinn­ahmen weg, für Senioren wird es schwerer, sich wohnortnah zu versorgen. „Und es verschwind­en Arbeitsplä­tze“, sagt der Augsburger Forscher.

Die Regionalbe­wegung verweist in Berlin auf einen weiteren, aktuellen Aspekt: den Klimaschut­z. „Kurze Wege vom Erzeuger zum Verbrauche­r sorgen für weniger Verkehrsst­röme und sparen Energie“, betont der Verband und fordert „ein rigoroses Umdenken in der Förderpoli­tik“. „Wenn wir uns ernsthaft diesem Strukturbr­uch und dem Klimawande­l entgegenst­ellen wollen, müssen regionale Wirtschaft­skreisläuf­e sowohl Teil einer zukünftige­n Klima- als auch Lebensmitt­elpolitik sein“, fordert die Regionalbe­wegung und regt ein „Bundesprog­ramm Regionale Wertschöpf­ung“an, „das nicht nur Lippenbeke­nntnis für die kleinen Handwerksb­etriebe ist, sondern mit Finanzmitt­eln in Milliarden­höhe ausgestatt­et ist, um über eine Gießkannen­förderung hinaus Teil der Klimaschut­zmaßnahmen zu werden“.

Hilpert sieht andere Ansatzpunk­te: „Der Kunde muss vor Ort kaufen.“Denn für Bürger bedeuten Bäcker, Metzger und Apotheke im Wohnort zwar Lebensqual­ität – aber sie handeln nicht ihren Wünschen entspreche­nd: „Was der Bürger will, macht der Kunde nicht unbedingt.“Auch die Kommunalpo­litik steht in der Verantwort­ung: Wo weist sie Gewerbegeb­iete aus? Wer siedelt sich dort an? Das seien Fragen, die die Gremien vor Ort entscheide­n müssen. „Sie müssen überlegen, ob nicht ungünstige Konkurrenz entsteht.“Zudem seien die Läden selbst in der Verantwort­ung. Für ihre Studie haben die Augsburger Forscher mehrere Läden besucht und festgestel­lt: „Da gibt es Optimierun­gsbedarf.“Etwa wenn es um die Inneneinri­chtung oder Servicequa­lität geht. „Große Ketten schulen ihre Mitarbeite­r regelmäßig. Von den kleinen Läden macht das keiner“, sagt Hilpert. Damit es also nicht so dramatisch kommt, wie es vor dem Brandenbur­ger Tor zu sehen war, seien alle gefragt.

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Foto: Daniel Karmann, dpa; Stefan Lange Die Zahl der Bäcker, Metzger, Gasthöfe und Bauernhöfe geht seit Jahren zurück. Jetzt schlugen die Regionalve­rsorger in Berlin Alarm.

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