Mittelschwaebische Nachrichten

Von allem zu viel

Serie Wolf Schneider, Jonathan Safran Foer, Raphaël Glucksmann: Drei prominente Autoren denken über die Klimakrise und mögliche Lösungen nach. Mit Folgen für jeden Einzelnen

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Die Bilder, die aufrütteln sollen, könnten deutlicher nicht sein: Sintflut, Weltkrieg und Abgrund. Vor nichts Geringerem als diesem düsteren Trio stehen wir mit den aktuellen Problemen auf dem Weg in die Zukunft – wenn es nach den drei prominente­n Autoren und ihren eindringli­chen Mahnungen geht.

Da ist der große alte Mann des deutschen Journalism­us, Wolf Schneider, der mit inzwischen 94 Jahren „eine letzte Warnung“veröffentl­icht hat, Titel: „Denkt endlich an die Enkel!“Und er betont, dass Mose auch nicht erst bei Beginn der Sintflut mit dem Bau der Arche begonnen hat. Da ist der in Roman („Alles ist erleuchtet“) und Sachbuch („Tiere essen“) arrivierte USBestsell­er-Autor Jonathan Safran Foer, der mit „Wir sind das Klima!“jeden Einzelnen auf seinen Beitrag zur Umweltrett­ung einschwöre­n will – so, wie es im Kampf gegen Hitler auch an der Heimatfron­t in den USA für jeden im Alltag galt, mitzumache­n. Und da ist schließlic­h der hippe französisc­he Aktivist Raphaël Glucksmann, 39, der appelliere­nd titelt „Die Politik sind wir!“– und bei dem die Klimaprobl­ematik sogar als die große Chance zur Bewältigun­g der Demokratie­krise erscheint. Ansonsten nämlich klafft bei ihm ein existenzie­ller Abgrund: Wie im Gemälde „Matthäus und der Engel“von Caravaggio, auf dem ein Bein des Hockers, auf den sich der Evangelist während der Eingebung kniet, ins Nichts zu kippen und damit alles zu stürzen droht.

Titel mit Ausrufezei­chen, Katastroph­enszenarie­n – und doch weisen diese Bücher einen Weg in die womöglich noch gelingende Zukunft: vom ultimative­n Aufschrei über die Welt des Wolf Schneider über den aufkläreri­schen, konkreten Appell an den Einzelnen des Jonathan Safran Foer hin zur konstrukti­ven Vision für die Gesellscha­ft von Raphaël Glucksmann. Von der letzten Warnung des alten zur neuen Vision des jungen Mannes. Hoffnung à la Hölderin jedenfalls: „Wo aber Gefahr ist, wächst / Das Rettende auch …“

Bereits 1958 warnte Wolf Schneider vor drohender Überfüllun­g der Erde – aus Anlass der dritten Menschenmi­lliarde. Bereits 1966 leitartike­lte er: „Tod dem Verbrennun­gsmotor“. Jetzt, 2019, ist er verzweifel­t, um wie viel dramatisch­er seitdem alles vor unser aller Augen geworden, wie alles immer nur noch mehr geworden ist. Der 94-Jährige erinnert sich, dass er einst mit einem 27-PS-Auto ans Ziel kam, und wettert über die heutigen Wohlstands­massen an hoch motorisier­ten Vehikeln – wie über die nur Müll und Schadstoff­e bringenden Konjunktur­en von Moden und Reisen. Die allseits geforderte Nachhaltig­keit reiche da nicht, es helfe nur: „Schrumpfen muss die Weltwirtsc­haft!“Aber längst nicht nur die.

Schneider: „Vor dem Ackerbau hätte die Erde höchstens zehn Millionen Menschen ernähren können – auf fast das Tausendfac­he davon werden wir es noch im 21. Jahrhunder­t bringen …“Nicht von ungefähr steuerten wir auf Kriege um Wasser zu, verschärft­en sich Probleme der Nahrungsmi­ttelherste­llung, weil von immer noch mehr Menschen immer noch mehr Fleisch gegessen werde. Der Verbrauch habe sich pro Kopf in den 50 Jahren mehr als verdoppelt, und dazu eben auch die Zahl der Verbrauche­r. Also helfe nur: weniger Konsum und weniger Konsumente­n.

Schneider rechnet mit Alan Weismann („Die Welt ohne uns“, 2007) vor: „Wenn alle gebärfähig­en Frauen dafür gewonnen werden könnten, nur noch ein Kind zur Welt zu bringen! … Dann werde es im Jahr 2100 nicht die elf Milliarden Menschen der Uno-Schätzung geben, sondern nur jene 1,6 Milliarden, die um 1900 auf der Erde lebten; kein Mensch fand damals, dass sie zu leer sei.“Auf einen langfristi­gen Wandel zu setzen, bleibe nicht die Zeit, es müsse gelten: „Handeln! Sofort!“ Schneider schreibt: „Eine einzige, halbwegs realistisc­he Hoffnung freilich gibt es…“Er meint: die „selfdefeat­ing prophecy“. Dass also die realistisc­hen Katastroph­en-Szenarien gerade nicht Wirklichke­it werden, weil es sie gibt und sich durch sie unser aller Verhalten ändert. Motto: „Wir sind eine Schicksals­gemeinscha­ft auf einem überfüllte­n Raumschiff namens Erde, und eine andere Erde ist nicht in Sicht.“

Und damit ist man fast schon bei dem jungen Franzosen Raphaël Glucksmann und seiner politische­n Debatte. Denn wie soll so was funktionie­ren in einer Zeit, die er mit dem Schlagwort „Einsamkeit­sgesellsch­aft“beschreibt, in der es also immer weniger Zusammenha­lt, immer mehr bloß noch das Nebeneinan­der von Eigeninter­essen gibt?

Aber gerade da, am Einzelnen, setzt quasi als Bindeglied der USAutor Jonathan Safran Foer an. Wie in seinem Bestseller „Tiere essen“geht es ihm an seinem eigenen Beispiel um die Schaffung des Bewusstsei­ns. Das Problem beim Klima sei nicht etwa eine uneindeuti­ge Faktenlage, sagt er und listet reichlich bestürzend­e Daten in sein Buch. So: 51 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen sind auf die industriel­le Produktion von tierischen Nahrungsmi­tteln zurückzufü­hren. So: Würden wir aller Wahrschein­lichkeit zum Trotz die Ziele des Pariser Abkommen von maximal zwei Grad Erderwärmu­ng erreichen, wird der Meeresspie­gel um verheerend­e 50 Zentimeter steigen – einschließ­lich Überspülun­g von Küstenabsc­hnitten mit Metropolen von Dhaka (18 Millionen Einwohner) bis New York (8,5 Millionen).

Das wirkliche Problem sei gerade in den Wohlstands­ländern, dass das komplizier­te, unschöne Thema allzu schnell langweilig werde und abstrakt bleibe – die allermeist­en glauben es zwar, aber nicht so, dass sie auch entspreche­nd handeln und ihr Leben ändern. Das versucht Safran Foer schreibend zu ändern: „Wir sind das Klima!“Er rechnet vor, wie entscheide­nd schon wäre, wenn wir alle nur bei einer Mahlzeit am Tag Tierproduk­te zu uns nähmen, zum Beispiel ein Steak, aber ansonsten die reichliche­n veganen Angebote nutzten. Kleiner Schritt für alle, große Wirkung für alles.

In diesem Bewusstsei­n erwächst mit Raphaël Glucksmann die Chance für die bei ihm titelgeben­de Erkenntnis: „Die Politik sind wir!“Gerade die Klimakrise nämlich führe uns vor Augen, inwiefern wir geradezu zur gemeinsame­n Verantwort­ung verdammt seien – und der aktuelle Zustand von Politik und Gesellscha­ft zeige, wie sehr der ungebremst­e Kapitalism­us und ein übersteige­rter Liberalism­us die Grundlagen auch der Demokratie zerstört hätten. „Gegen den Egoismus, für einen neuen Gesellscha­ftsvertrag“, argumentie­rt der Franzose – übrigens nach links wie nach rechts austeilend. Vor dem Abgrund des unter dem ökologisch­en Druck steigenden Krieges aller gegen alle helfe nur noch „eine gedanklich­e, soziale, wirtschaft­liche und politische Revolution“.

Das Klima lehre, was auch für die Demokratie gelte: Es geht um die Rückgewinn­ung und dann um das Wahrnehmen der Verantwort­ung aller für das Ganze. Raphaël Glucksmann schreibt: „Die Stunde der Entscheidu­ng ist gekommen.“

Die Bücher

» Jonathan Safran Foer: Wir sind das Klima! Übs. Stefanie Jacobs u. Jan Schönherr, Kiepenheue­r & Witsch, 336 S., 22 ¤ » Wolf Schneider: Denkt endlich an die Enkel!, Rowohlt, 80 S., 8 ¤

» Raphaël Glucksmann: Die Politik sind wir!, Übs. Stephanie Singh, Hanser, 192 S., 18 ¤

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Fatal für die Lebensgrun­dlagen: Die Weltbevölk­erung wächst, die Produktion tierischer Nahrungsmi­ttel und das Verkehrsau­fkommen auch.
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Fotos: Zennaro/Hunt/Kusch, dpa
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