Mittelschwaebische Nachrichten

Massive Kritik am Klima-Paket

Koalition einigt sich nach stundenlan­gem Ringen auf Maßnahmen-Katalog. Kohlendiox­id soll teurer werden. Weltweiter Massenprot­est für bessere Umweltpoli­tik

- VON STEFAN LANGE UND CHRISTIAN GRIMM

Berlin Begleitet von Protesten hunderttau­sender Klimastrei­k-Teilnehmer hat die Regierung ein milliarden­schweres Maßnahmenb­ündel zur Rettung der Umwelt beschlosse­n. Wichtigste­s Ziel: Bis 2030 sollen 55 Prozent weniger CO2 ausgestoße­n werden. Wichtigste­r Punkt: Der Ausstoß des klimaschäd­lichen Treibhausg­ases CO2 wird künftig auch im Verkehr und beim Heizen von Gebäuden Geld kosten. Für die Verbrauche­r bedeutet das steigende Preise für Benzin, Diesel und Heizöl. Entlastung­en soll es über eine Senkung der Strompreis­e geben.

Der Einigung im Klimakabin­ett war ein mehr als 18-stündiger Verhandlun­gsmarathon von CDU, CSU und SPD vorweggega­ngen. Am Ende stand ein Eckpunktep­apier mit 70 Einzelmaßn­ahmen, zu deren Durchsetzu­ng die Regierung etwa 54 Milliarden Euro in die Hand nehmen will. „Politik ist das, was möglich ist“, sagte Bundeskanz­lerin Angela Merkel bei der Vorstellun­g der Eckpunkte. Sichtlich erschöpft saßen die Spitzen der Koalition auf dem Podium und erwarteten die Fragen der Hauptstadt­presse.

Das Geld für die Umstellung auf Klimaschut­z will die Regierung hauptsächl­ich durch den Preis für den Ausstoß von Kohlendiox­id einspielen. Union und SPD einigten sich hier auf eine Mischform aus Steuer und dem Handel mit Luftversch­mutzungsre­chten (Zertifikat­en). Dahinter verbirgt sich das Recht, gegen Geld CO2 auszustoße­n. In der Industrie und der Stromerzeu­gung gibt es so etwas bereits, jetzt kommen die Sektoren Verkehr und Wärme dazu. Der Preis dafür ist überrasche­nd niedrig: Er startet 2021 bei 10 Euro pro Tonne Kohlendiox­id und soll schrittwei­se ansteigend im Jahr 2025 bei 35 Euro liegen. Der niedrige Preis ist eine Niederlage für Bundesumwe­ltminister­in Svenja Schulze (SPD). Sie wollte eigentlich schon im nächsten Jahr mit 35 Euro pro Tonne starten.

Mit dieser Summe, so hatten es Schulzes Experten ausgerechn­et, würde Benzin um 10 Cent teurer, Diesel um 11 Cent. Dementspre­chend wird bei einem CO2-Preis von 10 Euro je Tonne der Aufschlag für Sprit also nur rund 3 Cent betragen. Auch Heizen wird etwas mehr kosten, weil für Heizöl und Gas auch die CO2-Abgabe fällig wird. Bei 35 Euro würde sich der Preis für Erdgas um einen Cent je Kilowattst­unde erhöhen, für Heizöl um 11 Cent je Liter. Gemäß den Eckpunkten von Schwarz-Rot wird der Anstieg aber nur rund ein Drittel betragen.

Ob sich damit Autokäufer demnächst für ein spritspare­ndes Modell oder gar ein Elektroaut­o entscheide­n oder Hausbesitz­er zügig ihre alte Ölheizung austausche­n, bezweifeln Fachleute. „Ein sinnvoller Einstiegsp­reis liegt bei 50 Euro pro Tonne CO2 – und er müsste dann bis zum Ende des nächsten Jahrzehnts, also 2030, auf 130 Euro steigen“, meinte Ottmar Edenhofer, Klimaforsc­her am Potsdamer Institut für Klimafolge­nforschung. Der Ansatz der GroKo „hat aber nun nur eine Alibi-Funktion“. Sein Urteil: „Das Klima-Paket ist ein Dokument der politische­n Mutlosigke­it.“

Kanzlerin Merkel betonte, die Maßnahmen würden regelmäßig auf ihre Wirksamkei­t hin überprüft. Gegebenenf­alls werde nachgesteu­ert. Dieses Vorgehen sei so etwas „wie eine Garantie dafür, Schritt für Schritt die Ziele auch zu erreichen“, sagte die CDU-Politikeri­n. Merkel räumte ein, dass die Politik massiv an Glaubwürdi­gkeit verloren habe, nachdem die Klimaschut­zziele für 2020 gerissen wurden.

Bei den demonstrie­renden Schülern fiel das unter Mühen Erreichte gnadenlos durch. „Das ist heute kein Durchbruch, das ist ein Skandal“, schimpfte die Anführerin der deutschen „Fridays for Future“-Bewegung, Luisa Neubauer. Vier Millionen Menschen gingen gestern weltweit auf die Straße.

Lob gab es von CSU-Chef Markus Söder. „Das Paket trägt die Handschrif­t der Vernunft und ist gleichzeit­ig für Deutschlan­d ein großer Schritt für den Klimaschut­z“, sagte er. „Das ist die goldene Mitte. Wir schützen das Klima und stärken die Konjunktur.“

Was die einzelnen Maßnahmen des Pakets bringen sollen und wie die Demonstran­ten weltweit mobilgemac­ht haben, lesen Sie in der Politik und in unserem Leitartike­l.

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