Mittelschwaebische Nachrichten

Ich will Feuerwehrm­ann werden!

Ehrenamt In Bayern gibt es so viele freiwillig­e Feuerwehrm­änner und -frauen wie sonst nirgends in Deutschlan­d. Warum eigentlich? Ein Streifzug durch unsere Region auf der Suche nach der Faszinatio­n

- VON MICHAEL BÖHM UND BASTIAN HÖRMANN

Sein Herzblut hängt an alten Feuerwehra­utos

Vom Zusammenha­lt bis zum Atemschutz

„Nein, ich schaff’ das schon“, sagt Ben und schiebt die helfende Hand zur Seite. Breitbeini­g stellt sich der Sechsjähri­ge vor den Feuerlösch­er, umschließt mit beiden Händen den Griff und packt kräftig zu. Jeder Muskel seines Körpers scheint sich anzuspanne­n, als er den roten Metallzyli­nder in die Höhe wuchtet. Doch Ben schafft das schon. Angestreng­t und stolz zugleich schleift er den Feuerlösch­er die zwei Meter hinaus aus der Garage. Dorthin, wo das Feuer brennt. Er bringt ihn in Stellung, greift den Schlauch, richtet ihn auf die Flammen. Ungeduldig wartet er auf den Löschbefeh­l.

Endlich darf er das. Die vergangene­n Monate waren hart für Ben, erzählt sein Vater Martin Göttler: „Seit etwa einem halben Jahr fragt er mich, wann er denn endlich zur Feuerwehr gehen darf.“Monatelang musste Göttler, selbst aktiver Feuerwehrm­ann, seinen Sohn vertrösten: Erst wenn er sechs Jahre alt ist, lautete die Antwort. Ben musste sich gedulden. Die Wartezeit überbrückt­e er unter anderem mit Fortbildun­gen vor dem heimischen Fernseher: „Feuerwehrm­ann Sam“zählt zu Bens Lieblingss­endungen. Dann kam der Geburtstag – und der erste Besuch bei der Freiwillig­en Feuerwehr in Rain am Lech im Landkreis Donau-Ries.

7580 freiwillig­e Feuerwehre­n mit rund 315000 aktiven Mitglieder­n gibt es aktuell in Bayern – so viele wie in keinem anderen Bundesland. Etwa jeder dritte deutsche Feuerwehrl­er kommt aus dem Freistaat. Brennt es hier besonders oft? Haben die Menschen hier besonders viel Spaß am Feuerlösch­en, Kellerausp­umpen, Straßenabs­perren? Oder sind sie einfach besonders hilfsberei­t?

Selbst im Landesverb­and hat man darauf keine klare Antwort. Die Feuerwehr habe hierzuland­e eben eine lange Tradition, sei im Gegensatz zu anderen Ländern in Vereinen organisier­t, sagt Sprecher Jürgen Weiß. Zudem sei hier das Ehrenamt immer noch besonders stark verwurzelt. Einen Zusammenha­ng zwischen der Zahl der Einsätze und der Zahl der Mitglieder sehe er jedenfalls nicht.

Aber woher rührt sie dann, diese Leidenscha­ft der Bayern für ihre Feuerwehr?

Auf der Suche nach einer Antwort landet man schnell bei Hubert Speiser in Sulzberg im Oberallgäu. Mit seiner akkurat gebügelten Uniform sitzt der 49-Jährige in einem feuerroten Mercedes-Bus und legt den Arm auf die stoffbezog­ene Rückenlehn­e. Sein Blick schweift durch die in 60er-Jahre-Beige gehaltene Kabine: „Da kommen automatisc­h Gedanken an meinen Vater und Großvater auf.“Beide waren wie er bei der Feuerwehr. Als kleiner Bub wartete Speiser jedes Mal ungeduldig, bis sein Vater von seinen Einsätzen zurückkam und erzählte, was passiert war. „Ich hab’ das Feuerwehr-Gen geerbt“, sagt er. Mittlerwei­le sind auch seine drei Söhne aktiv dabei.

Auf der Holzbank hinter dem Oberallgäu­er Kreisbrand­inspektor liegen aufgereiht rot lackierte Stahlhelme, Flecken abgeplatzt­er Farbe erzählen von längst vergangene­n Genau das ist es, warum Speisers Herzblut so an alten Feuerwehra­utos hängt: „Sie dokumentie­ren, unter welchen Umständen unsere Vorgänger ehrenamtli­ch gerettet haben.“Diese Erinnerung­en zu erhalten, empfindet er als Wertschätz­ung.

Der Bus, in dem Speiser sitzt, steht im Feuerwehrm­useum Sulzberg. Im Obergescho­ss parken unter offenen Dachbalken weitere „Oldtimer“– teils über 200 Jahre alt. Einst von Pferden gezogene Holzwagen, deren Wasserspri­tzen früher mit reiner Muskelkraf­t betrieben wurden. An Stangen hängen historisch­e Uniformen. Wenn heute Väter neben ihren Söhnen vor den Ausstellun­gsstücken stehen, strahlen regelmäßig die Augen, sagt Speiser: „Egal ob Lego, Bilderbüch­er oder Oldtimer – Feuerwehr fasziniert.“

Das wird sich auch an diesem Wochenende wieder zeigen, wenn zum ersten Mal der „Schwäbisch­e Feuerwehrt­ag“stattfinde­t. Quer durch die Region nehmen hunderte Feuerwehre­n daran teil und präsentier­en sich auf unterschie­dliche Arten. Die einen führen Besucher durchs Feuerwehrh­aus, andere lassen sich bei Übungen über die Schulter blicken oder laden die Interessie­rten zum Mitmachen ein. Hubert Speiser hat einen Corso mit 20 historisch­en Feuerwehra­utos durch das Allgäu organisier­t.

All die Aktionen sollen deutlich machen, was Feuerwehre­n landauf, landab leisten, wie wichtig sie für die Gesellscha­ft sind und wie viel Arbeit dahinterst­eckt. Denn das ist offenbar vielen Menschen nicht bewusst, sagt Jürgen Weiß, der Sprecher des Landesverb­andes. Immer öfter werde wegen Kleinigkei­ten – beispielsw­eise einer leckenden Waschmasch­ine oder einem grundlos piepsenden Rauchmelde­r – die 112 gewählt, in der Erwartung, die Feuerwehr werde schon helfen. „Das können wir nicht leisten und schon gar nicht die ehrenamtli­chen Kameraden, die dafür von der Arbeit weggeholt werden müssen“, sagt Weiß.

Auch die Bürokratie hinter einem Blaulichte­insatz werde von vielen unterschät­zt: „Es kann doch nicht sein, dass ein Kommandant nach einem mehrstündi­gen Löscheinsa­tz auch noch eine halbe Stunde lang irgendwelc­he Formulare ausfüllen muss.“Hier erhofft sich der Verband mehr Unterstütz­ung von den für die freiwillig­en Feuerwehre­n zuständige­n Kommunen.

Gleichzeit­ig will man mit Kampagnen wie dem „Schwäbisch­en Feuerwehrt­ag“oder der ebenfalls an diesem Wochenende startenden „Bayerische­n Feuerwehra­ktionswoch­e“um Nachwuchs werben. Denn den zu finden, wird bei aller Faszinatio­n auch in Bayern immer schwerer. Das belegen die Zahlen des Landesfeue­rwehrverba­ndes (siehe Grafik). Auch wenn dessen Sprecher die Entwicklun­g für „noch nicht dramatisch“hält, versuche man seit geraumer Zeit, dem Trend sinkender Mitglieder­zahlen entgegenzu­wirken. Mit Aktionstag­en, Werbekampa­gnen oder mit der Einführung sogenannte­r Kinderfeue­rwehren – so wie in Rain am Lech.

„Los!“, ruft Andrea Baur – und Ben zieht den Hebel des Feuerlösch­ers bis zum Anschlag. Nisa, 9, Sebastian, 11, und Björn, 10, tun es ihm gleich. Das Wasser spritzt, es zischt, es dampft und innerhalb weniger Sekunden ist das Feuer auf dem Hof gelöscht. Freudestra­hlend legen die Kinder die Schläuche zur Seite. Es ist der Höhepunkt der heutigen Übung der Rainer Kinderfeue­rwehr. Vor zwei Jahren wurde diese gegründet. Eine Gesetzesän­derung im Juli 2017 machte das möglich. Zuvor hatte das Mindestalt­er für den Eintritt in die bayerische Feuerwehr bei zwölf Jahren gelegen, Kindergrup­pen waren nicht vorgesehen. Jetzt können die Kleinen schon mit sechs Jahren eintreten – so wie Ben.

„Wir versuchen, die Kinder möglichst früh an die Feuerwehr zu binden, damit sie später auch dabeibleib­en“, erklärt Andrea Baur. Sie leitet gemeinsam mit drei Kollegen die Rainer Kinderfeue­rwehr, die mit 20 angemeldet­en Kindern zu den größten in Schwaben zählt. Einmal im Monat veranstalt­et Baur für die Sechs- bis Elfjährige­n eine Übung. Einmal geht es dabei um die Feuerwehr – heute sind es Feuerlösch­er –, ein anderes Mal werden Kürbisse für Halloween geschnitzt, Plätzchen für Weihnachte­n gebacken oder ein Faschingsb­all gefeiert. Für die Kinder sei Abwechslun­g wichtig, sagt Baur, es müsse sich nicht immer um die Feuerwehr drehen. Auch wenn die natürlich immer noch die größte Faszinatio­n auf die Kleinen ausübe: „Große rote Autos mit Blaulicht obendrauf – das ist und bleibt der Renner.“

In Weiler im südlichen Landkreis Günzburg können die Kinder davon nur träumen. Zwar gibt es auch in dem 116-Einwohner-Dorf eine Feuerwehr, doch statt eines großen Löschfahrz­eugs steht in der Garage lediglich ein einachsige­r Anhänger aus den 70er Jahren, dessen roter Lack an einigen Stellen schon abblättert. „Das ist unser einziges Fahrzeug“, sagt Kommandant Daniel Hiller. Im Inneren des Anhängers befinden sich eine sogenannte Tragkrafts­pritze und mehr als 300 Meter Schlauch. „Bei Einsätzen kommt einer unserer Aktiven mit dem Traktor, hängt den Wagen an und dann geht’s los“, erklärt Hiller – genau in dem Moment, als in der Ferne eine Sirene zu heulen beginnt. Der 31-Jährige horcht kurz auf, bleibt aber gelassen: „Das ist nicht für uns“, sagt er und behält recht. Um den Brand im Nachbarort sollen sich andere kümmern – Weiler bleibt bei der Alarmierun­g außen vor. Mal wieder.

In den vergangene­n fünf Jahren sei die Freiwillig­e Feuerwehr WeiEinsätz­en. ler nur zu zwei Einsätzen gerufen worden. Einer war ein Verkehrsun­fall, der andere ein Brand in – ausgerechn­et – Hillers Elternhaus. „Andere Wehren sind einfach besser ausgestatt­et. Und wir würden uns mit dem Traktor-Anhänger auch schwertun, innerhalb von zehn Minuten zu einem Brand außerhalb von Weiler zu kommen“, räumt er ein. Vor wenigen Jahren habe man schon mal mit dem Kauf eines gebrauchte­n Feuerwehra­utos geliebäuge­lt. Doch der Gemeinde Waltenhaus­en, zu der Weiler gehört, seien die laufenden Unterhalts­kosten zu hoch gewesen, erzählt Hiller etwas enttäuscht. Für die Motivation wäre es manchmal schön, wenn es etwas mehr zu tun gäbe, findet der Kommandant. Über zu wenig Zuspruch oder Nachwuchss­orgen könne er sich dennoch nicht beklagen. 24 aktive Mitglieder zählt die Feuerwehr in Weiler aktuell, dazu noch elf Jugendlich­e. „Hier gehört die Feuerwehr zum Dorfleben dazu. Außer dem Schützenve­rein gibt es auch nichts anderes“, sagt Hiller. Wer in Weiler lebt, kommt an der Feuerwehr kaum vorbei.

An Freizeitan­geboten mangelt es in Augsburg dagegen nicht – doch auch hier ist eine bemerkensw­erte Begeisteru­ng für die Feuerwehr zu spüren. Das zeigt sich aktuell im Stadtteil Lechhausen. Während anderswo im Land Feuerwehre­n wegen Personalma­ngels aufgelöst werden müssen, wird hier gerade eine neue aufgebaut. Und der Andrang an Freiwillig­en ist enorm. Innerhalb von zwei Jahren schoss die Zahl der Vereinsmit­glieder von 34 auf 167 in die Höhe. Alle wollen sie mithelfen, die Feuerwehr wiederzube­leben, die 1945 aufgelöst wurde und zuletzt auch wegen der unweit stationier­ten Berufsfeue­rwehr unnötig war. Doch vor einigen Wochen erkannte die Stadt den Bedarf einer zusätzlich­en Freiwillig­enwehr an – es ist die siebte im Augsburger Stadtgebie­t. Ab dem kommenden Frühjahr beginnt also in Lechhausen die Ausbildung von 24 Feuerwehrl­euten, die ab 2022 zu Einsätzen ausrücken sollen.

Janina Hägele kann das kaum erwarten. Die 31-Jährige ist die Vereinsvor­sitzende und gleichzeit­ig eine der künftig 24 Aktiven bei der Lechhauser Wehr. Früher konnte sie sich nur wenig für die Feuerwehr begeistern, doch eines Tages sei sie über ihren Mann und ihre Familie „so reingeruts­cht“. Mittlerwei­le habe sie regelrecht Feuer gefangen. Warum? Hägele muss nicht lange überlegen: „Der Zusammenha­lt in der Truppe, das gegenseiti­ge Vertrauen, der Gedanke daran, Menschen zu helfen – das packt einen.“Dazu habe eines ihr ganz besonderes Interesse geweckt: der Atemschutz. Für Außenstehe­nde klinge das komisch, räumt sie ein. Doch für sie sei die Vorstellun­g, in einen verrauchte­n Raum zu gehen und dort einen Menschen zu retten, ein Antrieb für die anstehende anstrengen­de Ausbildung.

Und ein Teil der Faszinatio­n Feuerwehr. Einer von ganz vielen.

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Fotos: Marcus Merk, Ralf Lienert, Michael Böhm Wasser marsch! Björn, Sebastian, Ben und Nisa (von links) bei der Feuerlösch­er-Übung der Kinderfeue­rwehr in Rain am Lech. Sie zählt mit ihren 20 Mitglieder­n zu einer der größten in Schwaben.
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 ??  ?? Hubert Speiser in einem der Sulzberger Feuerwehr-Oldtimer.
Hubert Speiser in einem der Sulzberger Feuerwehr-Oldtimer.
 ??  ?? Daniel Hiller vor dem Einsatz-Anhänger der Feuerwehr Weiler.
Daniel Hiller vor dem Einsatz-Anhänger der Feuerwehr Weiler.

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