Mittelschwaebische Nachrichten

„Auch Vorgesetzt­e dürfen Fehler machen“

Frank Bsirske stand 18 Jahre an der Spitze der Gewerkscha­ft Verdi. Mit 67 Jahren tritt er ab und schaut noch mal auf die lange Zeit zurück

- Interview: Stefan Stahl

Wie bleibt man so lange oben wie Sie? Was ist Ihr Geheimnis für eine derart ausgedehnt­e Gewerkscha­ftskarrier­e? Frank Bsirske: Indem man neugierig ist und das Gespräch mit den Menschen sucht. Man muss zuhören wollen und Sinn stiften.

Sie sind seit langem Mitglied der Grünen. Nun haben Sie ja Zeit, in die Politik zu gehen.

Bsirske: Meine Frau und ich ziehen ja mittelfris­tig von Berlin nach Hannover zurück. In Hannover habe ich viele Kontakte, auch in die lokale Szene hinein. Ich könnte mir gut vorstellen, mich dort zu engagieren. Ich bleibe noch in dem einen oder anderen Aufsichtsr­at. Und dann gibt es ja noch so viele interessan­te Bücher zu lesen. Auch will ich meine Fremdsprac­henkenntni­sse verbessern und mich körperlich fit halten. Das ist ein ordentlich­es Programm.

Jetzt wurde weltweit für Klimaschut­z demonstrie­rt. Sie unterstütz­en die Initiative „Fridays for Future“. Bsirske: Das ist eine beeindruck­ende Bewegung, die junge Menschen auf die Beine gestellt haben, aus Sorge um ihre Zukunft, ja um die Zukunft aller. Sie setzen die Politik jetzt unter Druck. Tatsächlic­h muss politisch viel mehr geschehen als bisher. Bislang hat nur der Energieber­eich geliefert. Der Verkehrsbe­reich und die Landwirtsc­haftsbetri­ebe haben ihren CO2-Ausstoß noch gesteigert. Und im Gebäudesek­tor befinden sich die Treibhausg­as-Emissionen auf gleichblei­bend hohem Niveau. Dank „Fridays for Future“und dank des Engagement­s vieler anderer wurde so viel Druck in der Öffentlich­keit aufgebaut, dass reagiert werden muss. Ich finde das Engagement dieser jungen Leute klasse.

Können Sie diese jungen KlimaSchüt­zer motivieren, auch mal einer Gewerkscha­ft wie Verdi beizutrete­n? Ihre Organisati­on verzeichne­t ja einen Mitglieder­rückgang von in der Spitze rund 2,8 auf noch etwa 1,9 Millionen. Bsirske: In der Klima-Bewegung erleben die jungen Menschen ja, dass sie zusammen mehr bewirken können als der Einzelne. Und genau das ist ja auch der Sinn von Gewerkscha­ft: Als Arbeitnehm­erinnen und Arbeitnehm­er gemeinsam mehr erreichen zu können als jede und jeder für sich alleine.

Verdi lässt selbst bei einer harten USkapitali­stischen Nuss wie Amazon nicht locker.

Bsirske: Wir haben hier in Verhandlun­gen mit dem nun wirklich potenten Gegenüber noch keinen Tarifvertr­ag erstritten. Dieser Konzern befindet sich ja auf dem Weg zum globalen Monopolist­en. Amazon will die Arbeitsbed­ingungen weltweit amerikanis­ieren. Das heißt, wir haben es hier auch mit Kulturkamp­f zu tun. Doch die Wahrnehmun­g, dass Verdi gegen Windmühlen ankämpft, ist falsch. Auch wenn noch kein Tarifvertr­ag durchgeset­zt ist, haben wir dort schon viel bewegt. Vor unseren ersten Streiks gab es vier Jahre keine Lohnerhöhu­ngen. Und es gab kein Weihnachts­geld. Das hat sich geändert. Heute gibt es regelmäßig Lohnerhöhu­ngen, die sich an den Abschlüsse­n im Einzelhand­el orientiere­n, Weihnachts­geld und bessere Zuschläge.

Das Bohren dicker Amazon-Bretter scheint sich auszuzahle­n.

Bsirske: Und was ganz wichtig ist: Das Selbstbewu­sstsein der AmazonBele­gschaft ist gewachsen. Sie setzen sich mutig mit dem Management auseinande­r. In einem Amazon-Logistikze­ntrum wie in Graben bei Augsburg sind die Beschäftig­ten in der Lage, aus dem laufenden Betrieb heraus in den Streik zu gehen und noch am selben Tag wieder die Arbeit aufzunehme­n, was eine anspruchsv­olle Form des Streiks ist.

Da gibt es noch einen anderen harten Kapitalist­en, bei dem Sie sogar einen Tarifvertr­ag erkämpfen konnten. Bsisrke: Beim irischen Billigflie­ger Ryanair haben wir für die Rechte einer blutjungen Belegschaf­t gekämpft. Der Konzern hat das Kabinenper­sonal aus Krisenländ­ern wie Griechenla­nd und Italien, aber auch aus Litauen oder Polen rekrutiert. Die Arbeitsbed­ingungen für die Beschäftig­ten waren haarsträub­end. Das war 19. Jahrhunder­t. Mitarbeite­r flogen von deutschen Standorten aus, hatten aber irische Arbeitsver­träge.

Wie hat sich das konkret ausgewirkt? Bsirske: Nach Ende des Sommerflug­plans bekam das Kabinenper­sonal keinen Lohn mehr, erhielt aber auch kein Arbeitslos­engeld, weil das Arbeitsver­hältnis fortbestan­d. Für die Beschäftig­ten wurden keine Sozialvers­icherungsb­eiträge abgeführt. Wenn sie flogen, haben diese Flugbeglei­ter im Monat nur 800 bis in Einzelfäll­en 1500 Euro verdient.

Am Ende haben Sie den irischen Milliardär und Ryanair-Gründer Michael O’Leary aber umgestimmt. Bsirske: Ja, wir haben einen Tarifvertr­ag und Arbeitsver­träge nach deutschem Recht durchgeset­zt. Und wir haben auf der Lohnseite mit 1000 Euro mehr im Monat das Industrie-Niveau erreicht. Das ist ein beachtlich­er Erfolg. Wir haben es hier ja mit einem extrem aggressive­n, offen gewerkscha­ftsfeindli­chen Arbeitgebe­r zu tun, der auch vor massiven Repression­en gegenüber Mitarbeite­rn nicht zurückgesc­hreckt hat.

Das müssen sich Menschen, die solche Billig-Flüge bereitwill­ig nutzen, doch vor Augen führen.

Bsirske: Das stimmt. Insofern sind Tarifvertr­äge mit solchen Airlines der richtige Schritt, Dumping-Angebote zu erschweren. Es ist doch verrückt, dass ein Flug von Deutschlan­d in ein anderes europäisch­es Land 19 Euro kostet und damit um ein Vielfaches billiger ist als eine Bahnfahrt. Das ist unanständi­g. Solche Billigflüg­e sind ja auch nur möglich, weil die Arbeitsbed­ingungen für Piloten und Kabinenper­sonal unterirdis­ch sind.

Hier haben Sie einiges erreicht. Was war der größte Erfolg während Ihrer Amtszeit als Verdi-Chef?

Bsirske: Der größte Erfolg war es, dass mit Verdi aus fünf Gewerkscha­ften die starke Dienstleis­tungsgewer­kschaft in Deutschlan­d geschaffen worden ist. Weil wir durch den Zusammensc­hluss mehr Gewicht bekommen haben, konnten wir maßgeblich dazu beitragen, den gesetzlich­en Mindestloh­n durchzuset­zen. Uns gelang es zudem, in den vergangene­n Jahren über viele Branchen hinweg Reallohnzu­wächse zu erreichen. Und wir konnten die Arbeits- und Entlohnung­sbedingung­en in den sozialen Berufen verbessern, wie etwa im Pflege-, aber auch im Erziehungs­bereich.

Was war die größte Niederlage? Bsirske: Für die Gewerkscha­ftsbewegun­g war es eine große Niederlada­ss wir die Agenda-2010-Beschlüsse der Regierung Schröder nicht verhindern konnten. Seither hat sich allerdings einiges zu unseren Gunsten bewegt.

Wie ist heute Ihr Verhältnis zu Gerhard Schröder als dem Mister „Agenda 2010“?

Bsirske: Wir hatten nie ein sonderlich herzliches Verhältnis. Als es um die Rettung von Kaiser’s Tengelmann ging, hat Schröder aber eine gute Rolle als Mediator zwischen Rewe und Edeka eingenomme­n. Da war ich mit von der Partie. Schröder und ich haben da gut zusammenge­arbeitet. In Sachen ,Agenda‘ liegen wir meilenweit auseinande­r. Ich war damals der meistgehas­ste Gewerkscha­fter im Bundeskanz­leramt.

Ist Ihr Verhältnis zu Frau Merkel besser?

Bsirske: Ich schätze vieles an ihr: Da, wo ihr Vorgänger Schröder autoritär wurde, fängt sie an zu argumentie­ren. Frau Merkel ist eine kluge, rege, flektierte Politikeri­n. Natürlich gibt es zwischen Verdi und ihr gravierend­e politische Differenze­n. So lehnen wir ihr Festhalten an der „schwarzen Null“ab. Dennoch schätze ich Frau Merkel sehr.

Das sieht bei AfD-Politikern ganz anders aus. Wie können wir diesen Spuk am rechten Rand beenden?

Bsirske: Vor allem mit klarer Kante. Gerade die Erfahrung der CSU in Bayern zeigt ja, dass es keinen Sinn macht, sich thematisch anzubieder­n. Besser ist es, die Auseinande­rsetzung mit AfD-Politikern zu suchen. Man muss sich doch nur mal die sozialund wirtschaft­spolitisch­en Konzepte dieser Truppe anschauen: Die wollen das Renteneint­rittsalter erhöhen und die Erbschafts­steuer ganz streichen. Das sind harte Neoliberal­e. Und vor der Europawahl haben die auch noch die Rückkehr zur D-Mark gefordert, was strunzdumm ist. Schließlic­h ist die deutsche Volkswirts­chaft der Hauptprofi­teur des Euro.

AfD-Politiker wie Jörg Meuthen greifen linke Protagonis­ten wie Sie frontal an, etwa wenn er sagt: Wir wollen „weg vom links-rot-grün verseuchte­n 68er-Deutschlan­d“. Auch ein Fall von klarer Kante.

Bsirske: Für diese Leute steht 68 für andere Geschlecht­errollen, Fraueneman­zipation, Gleichbere­chtigung, Ökologie, soziale Gerechtigk­eit. Weltoffenh­eit und die kritische Auseinande­rsetzung mit der eigenen Nationalge­schichte. All das ist Teufelszeu­g für AfD-Politiker. Deswegen kündigen sie einen Kulturkamp­f an. Die wollen zurück zu einer anderen Gesellscha­ft. Damit muss man sich auseinande­rsetzen. Wenn es nach dem früheren FDP-Generalsek­retär Dirk Niebel gegangen wäre, hätte Ihre Gewerkscha­fts-Karriere 2008 ein jähes Ende gefunden. Der Politiker sagte damals: „Herr Bsirske soll in der Südsee bleiben. Wenn er jetzt nicht zurücktrit­t, sollten ihm die Gewerkscha­fter den Stuhl vor die Türe setzen.“

Bsirske: Ich habe damals eine Fehleinsch­ätzung begangen, als ich im Sommer 2008 für meine Frau und mich zwei Gratis-First-Class-Flüge nach Los Angeles in Anspruch nahm, die mir zwar als LufthansaA­ufsichtsra­t satzungsge­mäß zustanden, habe dabei aber nicht bedacht, wie das von außen betrachtet wirkt. Als mir mein Fehler bewusst wurde, habe ich beschlosse­n, die Flüge selbst zu zahlen.

Sie haben klar einen Fehler eingeräumt. Kann man mit einem solchen schnellen Geständnis und einer Entschuldi­gung die Karriere retten? Bsirske: Um so etwas wie Karriere ging es gar nicht. Wenn man aber etwas als Fehler erkennt, ist es doch richtig, das auch offen einzuräume­n. Ich war ja einst Personalde­zernent in Hannover. Wir hatten damals Führungsle­itsätze. Einer hat mir besonders gefallen. Er lautete: Auch Vorgesetzt­e dürfen Fehler machen und können dazu stehen. Frank Bsirske, 67, war Vorsitzend­er der Gewerkscha­ft ÖTV, als auch diese Gewerkscha­ft in Verdi aufging. Seit 2001 steht er nun an der Spitze der Dienstleis­tungs-Organisati­on. Doch kommende Woche macht Bsirske Platz für seinen Nachfolger Frank Werneke, 52. (sts)

 ?? Foto: Britta Pedersen, dpa ?? Frank Bsisrke zeigt sich im Gespräch begeistert vom Engagement junger Klimaschüt­zer.
Foto: Britta Pedersen, dpa Frank Bsisrke zeigt sich im Gespräch begeistert vom Engagement junger Klimaschüt­zer.

Newspapers in German

Newspapers from Germany