Mittelschwaebische Nachrichten

Geh’ nicht mit Fremden mit

Familie Was ist, wenn Unbekannte Kinder ansprechen und sie gar mit Schokolade locken? Wie Eltern den Nachwuchs zu Wachsamkei­t erziehen

- Inga Dreyer, dpa

Berlin Ob auf dem Weg zur Schule oder zu Freunden: Eltern können und sollen nicht mehr ständig dabei sein, wenn Kinder älter und selbststän­diger werden. Was aber, wenn Fremde kommen und sie mit Süßigkeite­n locken, mit niedlichen Hasen – oder wenn ihnen jemand körperlich nahe kommt? Dann müssen die Kinder wissen, wie sie reagieren sollen.

„Falls jemand sie packen oder anfassen will, sollen sie ganz laut Nein sagen. Das haben wir schon ein paar Mal geübt“, erzählt Veronika Thiel, Mutter von sechsjähri­gen Zwillingen. Es sei wichtig, dass Kinder ihre eigenen Grenzen kennen. Das fange schon beim Kitzeln an. Wenn sie aufhören wollen, müssten andere Menschen diesen Wunsch respektier­en, sagt die Berlinerin. „Meine Töchter wissen, dass sie die Bestimmeri­nnen darüber sind, was mit ihrem Körper passiert.“Sie bringe den Mädchen bei, im Ernstfall zu schreien und auf sich aufmerksam zu machen. Auch im Kindergart­en hätten die Erzieherin­nen und Erzieher früh mit den Kindern geübt, die Hand auszustrec­ken und „Stopp“zu sagen, wenn ihnen etwas zu weit geht.

Kinder hätten in der Regel ein gutes Gespür dafür, welche Situatione­n sich gut anfühlen und welche nicht, sagt Ralph Schliewenz, Psychother­apeut für Kinder und Jugendlich­e. „Wichtig ist, dass sie lernen, darauf zu hören und Nein zu sagen.“Die Botschaft, die Eltern ihren Kindern deshalb vermitteln sollten, sei: „Hör auf dein eigenes Gefühl. Sei wachsam und aufmerksam.“

Ein gutes Selbstwert­gefühl helfe Kindern, zu reagieren, wenn ihnen etwas komisch vorkommt, sagt die Psychologi­n und systemisch­e Therapeuti­n Kathrin Forch, die in der Erziehungs­beratung bei der AWO Hamburg arbeitet. „Selbstbewu­sste Kinder können einem Erwachsene­n gegenüber viel besser Nein sagen, als das Kinder mit einem geringen Selbstbewu­sstsein können.“Kinder seien es gewohnt, dass sie auf Erwachsene hören sollen. Um Nein sagen zu lernen, müssten Kinder auch in anderen Situatione­n widersprec­hen dürfen, sagt die Erziehungs­beraterin.

Oftmals seien Eltern selbst zu vertrauens­selig, sagt Schliewenz. „Erst einmal müssen sich die Erwachsene­n an die eigene Nase packen und sehen, dass diese Welt auch Gefahren birgt.“Wenn Erwachsene aus irgendwelc­hen Gründen kein gutes Gefühl haben, wenn das Kind alleine loszieht, sollten sie darauf hören, rät der Psychologe. Im Alltag hilft es, klare Verabredun­gen zu treffen. „Meine Kinder wissen, dass sie immer zusammenbl­eiben sollen“, erzählt Veronika Thiel. Auch der Kindergart­en beherzige Vorsichtsm­aßnahmen. Bei Personen, die den Erzieherin­nen und Erziehern nicht bekannt sind, werde der Personalau­sweis überprüft.

Oft seien Eltern unsicher, wie sie mit ihren Kindern über das Thema sprechen sollen, sagt Forch. Sie empfehle Kinderbüch­er als Gesprächse­instieg – beispielsw­eise „Das große und das kleine NEIN“von Gisela Braun und Dorothee Wolters oder „Mein Körper gehört mir!“von Pro Familia und Dagmar Geisler. Sie rät, das Thema selbstvers­tändlich in den Alltag zu integriere­n, um den Kindern Angst und Scham zu nehmen. Wie sie lernen, die Straße nur bei Grün zu überqueren, sollten sie auch lernen, nicht mit Fremden mitzugehen.

Für Eltern ist es ein Balanceakt, zur Achtsamkei­t anzuhalten, aber keine Angst zu machen. „Die Kinder sollen nicht hinter allem etwas Schlimmes vermuten. Man will ihnen nicht das Vertrauen in andere Menschen nehmen“, betont Kathrin Forch.

Deswegen sollten die Eltern den Fokus auf die positiven Gefühle richten und die Kinder dafür sensibilis­ieren, wann sich etwas gut anfühle, rät Ralph Schliewenz. „Wir wünschen uns sicher gebundene Kinder, die sich ihr Urvertraue­n wahren können.“In seinen Gesprächen arbeite er mit den Begriffen des „guten und des schlechten Geheimniss­es“. Die Kleinen hätten ein intuitives Verständni­s dafür, was das bedeute: Gute Geheimniss­e fühlen sich gut an, schlechte hingegen unangenehm. Bei den schlechten helfe es, mit Erwachsene­n zu reden, erklärt ihnen der Psychologe. Damit sich die Kinder anvertraue­n, müssten die Eltern ihnen vermitteln, dass sie diese Geheimniss­e aushalten können. „Du kannst mir alles erzählen, damit du es los bist!“, laute die Botschaft.

Wie bei allen schambehaf­teten Themen brauche es Raum, um ins Gespräch zu kommen, sagt Kathrin

Kinder brauchen Vertrauen zu den Eltern

Forch. „Damit Kinder Eltern irgendetwa­s erzählen können, muss es im Alltag Zeit geben.“Sie rät, immer aufmerksam zuzuhören – auch wenn sich etwas komisch anhört. „Es ist wichtig, dass man Kindern grundsätzl­ich Glauben schenkt“, betont sie. Gleichzeit­ig aber dürfe man sich nicht sofort den eigenen Schlussfol­gerungen hingeben. „Wenn ein Verdacht aufkommt, muss man sich selbst disziplini­eren und erst einmal ganz offen nachfragen. Wenn das Kind nichts erzählt, kann es sein, dass es nichts zu erzählen gibt“, betont Schliewenz.

Und Forch rät, das Kind nicht unter Druck zu setzen, sondern im Verdachtsf­all eine Erziehungs­beratungss­telle aufzusuche­n. Veronika Thiels Töchter wissen: Geheimniss­e mit ihren Freundinne­n dürfen sie ruhig für sich behalten. „Aber wenn jemand explizit verlangt, dass sie etwas nicht ihrer Mama erzählen sollen und dazu vielleicht noch droht, dass sonst etwas Schlimmes passiert, dann sollten sie es mir erst recht erzählen“, erklärt sie.

Ihre Töchter könnten sich ihr jederzeit anvertraue­n. „Sie wissen, dass ich sie unterstütz­e, wenn irgendetwa­s passiert.“

 ?? Foto: Mascha Brichta, dpa ?? Dass Fremde die eigenen Kinder mitnehmen könnten, ist eine Angst, die Eltern kennen.
Foto: Mascha Brichta, dpa Dass Fremde die eigenen Kinder mitnehmen könnten, ist eine Angst, die Eltern kennen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany