Mittelschwaebische Nachrichten
So fällt man richtig in die Wiesn-Welt
Interview Moses Wolff hat insgesamt ein Jahr auf dem Oktoberfest verbracht und ein Buch geschrieben. Diese Tipps gibt der Experte
Es heißt, Sie haben in Ihrem Leben kaum einen Tag auf dem Oktoberfest verpasst. Wie geht das?
Moses Wolff: Ich war bisher ungefähr 365 Mal auf der Wiesn, habe ich ausgerechnet. Also werde ich, wenn alles wie geplant läuft, übernächstes Jahr meinen vierhundertsten Oktoberfestbesuch feiern. Es fing an als Kind ein paar Mal mit meinen Großeltern. Mit meinen Eltern auch, die sind aber nicht so die Wiesn-Fans. Als ich neun Jahre alt war, habe ich den Aufbau auf der Theresienwiese entdeckt. Da bin ich dann jedes Jahr mindestens ein Mal hingefahren. Von Pasing, wo ich aufgewachsen bin, war das ja nicht weit. Mit 13 bin ich zum ersten Mal mit Freunden nach der Schule hin und als Jugendlicher dann so oft wie möglich. Seit meiner Zeit in der Schauspielschule, da war ich ungefähr 20, war ich eigentlich jeden Tag dort. Letztes Jahr war ich bei zwei Produktionen als Schauspieler engagiert: einem BRKomödienstadel und einem Kinospielfilm, beide Dreharbeiten waren in Niederbayern, so konnte ich in diesem Jahr nur vier Tage auf dem Oktoberfest sein. Das war für meine Psyche nicht gut. Dieses Jahr bin ich wieder jeden Tag da, zum Glück.
In Ihrem Buch „Ozapft is! – Das Oktoberfest-Handbuch“haben Sie das Fest von allen Seiten beleuchtet: Die Geschichte, die richtige Tracht, was die einzelnen Zelte ausmacht oder wie man am besten zum „Bieseln“geht. Wie wurden Sie zum Wiesn-Experten? Wolff: Wenn man dort viel Zeit verbringt, lernt man das Fest, sich selbst und die anderen Besucher besser kennen. Man bekommt ein Gespür für alles, was es dort gibt. Die Wiesn hat sich mit der Zeit ja auch verändert: Ich habe miterlebt, wie jeder angefangen hat, Tracht zu tragen. Auf meinen alten Fotos trug noch jeder außer mir und meinen Pasinger Freunden Jeans. Seit 1999 sind überall Trachten.
Auch die haben sich verändert. Wo verläuft für Sie die Grenze zwischen modern und peinlich?
Wolff: Ich bin da relativ offen. Es soll halt cool und frech ausschauen. Trachten schauen eigentlich immer gut aus, wenn man sich an ein paar Sachen hält. Manchmal tragen Leute, oft aus dem englischen Sprachraum oder Italiener, aber eher so Faschingskostüme: zum Beispiel Overalls, auf die Lederhosenträger aufgedruckt sind. Die wundern sich dann über seltsame Blicke.
„Anbandeln“ist ein wichtiger Teil der Wiesn, man sollte aber einiges beachten, schreiben Sie. Zum Beispiel, dass Polizeibeamte meist keine Lust darauf haben. Was ist der Trick beim WiesnFlirt?
Wolff: Na ja, man muss halt cool sein, ganz einfach. Wenn Polizisten privat auf der Wiesn sind, ist es meist sehr lustig mit ihnen. Da hock ich mich auch gern dazu. Fürs „Anbandeln“muss man aber generell Fingerspitzengefühl haben. Auf dem Oktoberfest ist es etwas leichter, weil alle euphorisch sind. Da ist eine Grundoffenheit vorhanden. Die wird aber teilweise missverstanden. Wenn Männer sich beim Bier überschätzen und eine Frau freundlich zu ihnen ist, denken sie oft fälschlicherweise, die will was von ihnen. Andersrum kommt es aber auch vor, dass Frauen eindeutig in Flirtstimmung sind, sich dann aber am nächsten Tag aufregen, weil sie jemand angegraben hat. Weil eigentlich ist „Anbandeln“und Schmusen doch immer schön. Man muss ja nicht gleich zusammen nach Hause gehen. Nach drei Maß Bier ist Sex eh nicht so toll.
Wo wir schon bei drei Maß sind: Sie schwören aufs „strategische Trinken“. Was hat es damit auf sich?
Wolff: Man muss seine Tagesform beachten und sich ein Limit setzen, bevor man auf die Wiesn geht. Es gibt Tage, da kann ich ohne Weiteres drei Maß trinken oder vier. An anderen merke ich schon die erste. Zwischendurch sollte man Wasser trinken und vorher etwas essen. Außerdem habe ich so kleine Hilfsmittelchen: Vitamin C, Vitamin B12 mit Folsäure und vor dem Schlafen Elektrolyte aus der Apotheke. Damit vermeidet man den Kater.
Angenommen, Sie nehmen Freunde für ihren ersten Tag auf dem Oktoberfest mit: Was steht auf dem Programm? Wolff: Das Teufelsrad ist Pflicht. Das ist so ein altes Fahrgeschäft, eine Scheibe, die sich dreht. Das Tollste daran ist, dass das Geschehen von einem Sprecher über die Lautsprecher etwas lustig und unverschämt kommentiert wird, etwa so wie beim Derblecken auf dem Nockherberg. Dann gibts noch die Krinoline, ein sehr traditionelles Fahrgeschäft mit Livemusik. Da hat man das Gefühl, dass die Erde sich um einen dreht. Und ins Bierzelt muss man natürlich, das ist klar. Ich bin fast immer im Hacker-Zelt. After-Wiesn, also nach dem Oktoberfest noch irgendwo hingehen, mache ich selten. Ich gehe lieber früh ins Festzelt und bin dann froh, wenn ich irgendwann ins Bett komme.
Wo geht’s eher ausgelassen zu und wo gemütlich?
Wolff: Im Zeltinnern ist es natürlich wilder. In vielen Zelten muss man zwangsläufig irgendwann auf die Tische steigen. Ich setze mich auch gerne in die Biergärten. Da sieht man ein bisschen mehr und bekommt auch ohne Reservierung fast immer einen Platz, wenn man früh genug da ist. Manche glauben ja, auf der Wiesn geht’s nur unruhig zu. Das stimmt aber nicht. Im Biergarten kann man sich normal unterhalten, es ist schön ruhig und gemütlich, aber trotzdem ist auch dort jeder euphorisch.
Sie beklagen auch andere Urteile übers Oktoberfest: etwa, dass es ein Massenbesäufnis sei.
Wolff: Das Biertrinken gehört zur bayerischen Tradition. Wenn Leute Vorurteile gegenüber dem Oktoberfest haben, stelle ich häufig fest, dass sie die auch gegenüber Bayern im Allgemeinen haben. Sonst würden sie ja auch jedes Rockkonzert oder die meisten Hochzeiten als Massenbesäufnis bezeichnen. Natürlich trinkst du größere Mengen Bier aus Maßkrügen auf dem Oktoberfest und bist Teil einer Masse. Insofern ist der Begriff Massenbesäufnis nicht ganz falsch. Aber es geht ja nicht ums Besaufen. Es geht darum, in die Wiesn-Welt zu fallen. Da gehört der Rausch zwar dazu, der steigert die Euphorie ins Extreme. Wenn ich die Gerüche und Geräusche der Wiesn wahrnehme, die Menschen sehe und die erste Maß habe, dann geht’s los mit dem Hochgefühl.
Was waren die Höhepunkte Ihrer 365 Tage auf der Wiesn?
Wolff: Da gibt’s wahnsinnig viele. Ich habe supertolle, interessante Frauen kennengelernt. Coole Jungs natürlich auch. Friedrich Liechtenstein von „Supergeil“zum Beispiel. Vor drei Jahren saß ich am Nebentisch von Arnold Schwarzenegger. Und ich habe mich mit Costa Cordalis unterhalten. Oder witzige Erlebnisse: Am Pissoir macht man immer Witze wie „In der Kürze liegt die Würze“. Meistens sind es dieselben Sprüche. Aber einmal hat ein Mann mit tschechischem Akzent gesagt: „Auch mit einem kleinen Clown kann man Zirkus machen.“Das war ein
Highlight.
Wie kam die Idee für das Oktoberfest-Handbuch? Wolff: Freunde von mir aus dem Elsass haben mir geschrieben, dass sie zu acht am zweiten Samstag auf die Wiesn kommen, am Italiener-Wochenende. Keine gute Idee ohne Reservierung. Deshalb wollte ich ihnen ein Handbuch schicken. So etwas gab es aber nicht.
Haben Sie Menschen auf dem Oktoberfest gesehen, die Ihre Tipps dringend notwendig gehabt hätten?
Wolff: Das kommt vor. Ich habe Asiaten beobachtet, die die Feuchttücher mit Zitronenduft für Aroma hielten. Die tupften dann ihr Hendl mit diesem Tuch ab. Dazu muss man sagen, dass manche Einheimische ihnen zum Spaß erzählen, dass das so gedacht ist. Teilweise zähle ich selbst zu diesen Einheimischen. Manche Chinesen schlürfen beim Verzehr ihres Hendls, wieso auch immer.
Einen Platz und ein Hendl haben sie immerhin ergattert. Wie schafft man das ohne Reservierung?
Wolff: Maximal in einer Gruppe von drei Leuten hingehen, sonst bekommt man wahrscheinlich keinen gemeinsamen Platz. Mit den Bedienungen muss man sich gut stellen, dann helfen viele auch bei der Platzsuche. Sprich: freundlich sein und viel Trinkgeld geben! Pünktlichkeit ist wichtig. Sonst ist vielleicht der letzte Platz weg oder die wartende Verlobte lernt jemanden kennen. Es passieren immer Sachen auf der Wiesn. Das ist eine eigene Welt. Moses Wolff ist Autor, Schauspieler, Regisseur und Komiker. Er ist 50 Jahre alt und lebt in der Münchner Isarvorstadt.