Mittelschwaebische Nachrichten
Krankmeldung
Gelb ist eine Farbe, die dem Papier genuin eingeschrieben ist. Zeitungen und Bücher vergilben – und die ganze Welt, wo sie denn noch schreibt, notiert und memoriert auf gelben Klebezetteln. Im Fußball ist zweimal gelb gleich rot. Jede Änderungsschneiderei, jeder Friseur und jede Pizzeria sind bestrebt, in den „Gelben Seiten“aufzutauchen. Gelb gilt. Amtlich sowieso, weshalb seit Jahrzehnten die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung natürlich gelb ist. Noch.
Die sogenannte Krankmeldung – festgestellt, ausgestellt und beglaubigt vom Arzt – verrät dem Arbeitgeber nie etwas über die Art der Erkrankung. Erkältung oder Gelbsucht, Rücken oder Gelbfieber – Diskretion waltet hier nicht bloß zum Schein. Ob jemand als Simulant mithilfe des gelben Scheins blaumacht ohne rot zu werden? Papier ist verschwiegen, und krankgemeldet ist krankgemeldet. Weil alles jetzt digital wird, entmaterialisiert sich nun auch der gelbe Schein. Die Entfernung der Krankmeldung aus der analogen Welt des Papiers bedeutet auch seine Entfärbung. Künftig wird elektronisch übermittelt. Kein Zettel mehr! Kein Gelb! Der Arzt krankmailt künftig aus seiner Praxis heraus direkt ins Netz. Der Arbeitnehmer ist dann nicht mehr krankgeschrieben, sondern krankgepostet. Es kommt die Dateiwerdung der Grippe – Durchschlag nicht erforderlich. Am Anfang war das Wort, in Zukunft herrscht Word.
Die Bundesregierung, so konnte man diese Woche erfahren, hat der sogenannten Zettelwirtschaft den Kampf angesagt. Ein Verbot handgeschriebener Einkaufszettel scheint nahe. Glückskekse vom Chinesen dürfen nur noch Luft enthalten. Denkzettel werden abgeschafft. Auch die Meldescheine im Hotel sollen ja wegfallen. 150 Millionen Blätter weniger im Jahr! Was da unter Berufung auf Umweltschutz und Entbürokratisierung angezettelt und als das Gelbe vom Ei verkauft wird, ist nur ein weiterer Schritt hin zur Unsichtbarmachung unseres Lebens. Jenseits von Screens gibt es bald nichts Handfestes, nichts Unverschlüsseltes mehr. Im Zettelkasten unseres Daseins wird Leere herrschen. Nichts hinterlegt, nichts belegt. Auf dem letzten kleingefalteten Spickzettel steht: Unbekanntes Dateiformat.