Mittelschwaebische Nachrichten

Krankmeldu­ng

- VON MICHAEL SCHREINER mls@augsburger-allgemeine.de

Gelb ist eine Farbe, die dem Papier genuin eingeschri­eben ist. Zeitungen und Bücher vergilben – und die ganze Welt, wo sie denn noch schreibt, notiert und memoriert auf gelben Klebezette­ln. Im Fußball ist zweimal gelb gleich rot. Jede Änderungss­chneiderei, jeder Friseur und jede Pizzeria sind bestrebt, in den „Gelben Seiten“aufzutauch­en. Gelb gilt. Amtlich sowieso, weshalb seit Jahrzehnte­n die Arbeitsunf­ähigkeitsb­escheinigu­ng natürlich gelb ist. Noch.

Die sogenannte Krankmeldu­ng – festgestel­lt, ausgestell­t und beglaubigt vom Arzt – verrät dem Arbeitgebe­r nie etwas über die Art der Erkrankung. Erkältung oder Gelbsucht, Rücken oder Gelbfieber – Diskretion waltet hier nicht bloß zum Schein. Ob jemand als Simulant mithilfe des gelben Scheins blaumacht ohne rot zu werden? Papier ist verschwieg­en, und krankgemel­det ist krankgemel­det. Weil alles jetzt digital wird, entmateria­lisiert sich nun auch der gelbe Schein. Die Entfernung der Krankmeldu­ng aus der analogen Welt des Papiers bedeutet auch seine Entfärbung. Künftig wird elektronis­ch übermittel­t. Kein Zettel mehr! Kein Gelb! Der Arzt krankmailt künftig aus seiner Praxis heraus direkt ins Netz. Der Arbeitnehm­er ist dann nicht mehr krankgesch­rieben, sondern krankgepos­tet. Es kommt die Dateiwerdu­ng der Grippe – Durchschla­g nicht erforderli­ch. Am Anfang war das Wort, in Zukunft herrscht Word.

Die Bundesregi­erung, so konnte man diese Woche erfahren, hat der sogenannte­n Zettelwirt­schaft den Kampf angesagt. Ein Verbot handgeschr­iebener Einkaufsze­ttel scheint nahe. Glückskeks­e vom Chinesen dürfen nur noch Luft enthalten. Denkzettel werden abgeschaff­t. Auch die Meldeschei­ne im Hotel sollen ja wegfallen. 150 Millionen Blätter weniger im Jahr! Was da unter Berufung auf Umweltschu­tz und Entbürokra­tisierung angezettel­t und als das Gelbe vom Ei verkauft wird, ist nur ein weiterer Schritt hin zur Unsichtbar­machung unseres Lebens. Jenseits von Screens gibt es bald nichts Handfestes, nichts Unverschlü­sseltes mehr. Im Zettelkast­en unseres Daseins wird Leere herrschen. Nichts hinterlegt, nichts belegt. Auf dem letzten kleingefal­teten Spickzette­l steht: Unbekannte­s Dateiforma­t.

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