Mittelschwaebische Nachrichten

Wie die Nazis, so die Amis?

Ein verstörend­er Vergleich, den Steffen Kopetzky da in seinem neuen Roman ins Feld führt. Doch das hat seinen Grund. Und „Propaganda“handelt ja auch vom Weltkrieg, Vietnam und dem Menschsein

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Es darf eigentlich nur einen Grund dafür geben, dass dieser Roman nicht auf der Nominierte­nliste für den diesjährig­en Deutschen Buchpreis erschienen ist: dass er gar nicht erst dafür eingereich­t wurde. Ansonsten müsste Steffen Kopetzkys „Propaganda“einfach dort auftauchen. Denn das Buch ist noch besser als zuletzt „Risiko“, das als Publikumse­rfolg lange in den Bestseller­listen stand und zu den Buchpreis -Nominierte­n gehörte.

Der neue Roman führt fesselnd und unterhalts­am, aufkläreri­sch und kühn hinein in die Untiefen des 20. Jahrhunder­ts, des Menschsein­s. Das mörderisch­e Spiel des Krieges zeigt sich hier als Kristallis­ationspunk­t von Politik und Schicksal; und die Frage der Wahrheit erhält ihr doppeltes Gesicht im unfassbare­n Leben eines einzigen Mannes namens John Glueck. Ein solches Buch hat die deutschspr­achige Literatur zuletzt mit Michael Köhlmeiers „Die Abenteuer des Joel Spazierer“erlebt oder mit Frank Witzels „Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressive­n Teenager im Sommer 1969“: Die Fiktion ist erhellend und belebend mitten hineingese­tzt in die Zeitläufte – ein virtuoses Stück auch über die Kraft der Literatur. Nicht von ungefähr treten bei diesem Vexierspie­l zwischen Wirklichke­it und Erfindung Autoren-Größen wie Ernest Hemingway, J. D. Salinger und Charles Bukowski auf…

Aber zunächst zur Kühnheit dieses Romans. Denn der in Pfaffenhof­en an der Ilm lebende Steffen Kopetzky traut sich ja schon nicht wenig, wenn er kritisch Kerngehalt­e der amerikanis­chen Identität bespiegelt: den Befreiungs­kampf gegen die Nazis als Lichtmomen­t und den so opferreich­en wie skrupellos­en Vietnamkri­eg als Schattenmo­ment des Nationalbe­wusstseins. Er führt dazu noch beide Stränge in seiner Hauptfigur sowie einem Showdown zusammen. John Glueck nämlich, 1921 als Spross deutscher Einwandere­r in New York geboren, dient im Zweiten Weltkrieg in der amerikanis­chen Propaganda-Abteilung – was zu jener Zeit noch mehr nach einer Unternehmu­ng der Gegenaufkl­ärung klingt als nach Manipulati­on. Im Indochina-Konflikt wird Glueck dann im Sinne der Wahrheit und gegen die politische­n Interessen der eigenen Regierung zum Whistleblo­wer. Selbst nach einem Unfall vor Ort dramatisch entstellt, gehört der inzwischen hochdekori­erte Militär zum Netzwerk, das mit den „Pentagon Papers“die langjährig­e US-Geheimstra­tegie aufdeckt. Und der deutsche Autor Kopetzky lässt seinen Deutschame­rikaner Glueck tatsächlic­h die moralische Gleichstel­lung vollziehen: Die USA handeln im Vietnam genauso strategisc­h menschenve­rachtend wie die zuvor von ihnen bekämpften Nazis. Uff!

Aber da zeigt sich zugleich das Aufkläreri­sche des Romans – hier noch in Art einer Fußnote. Denn im Anhang beschreibt der Autor, dass diese Gleichstel­lung auf einer tatsächlic­hen Rede eines damaligen „Pentagon Papers“-Helden basiert. Aber im gleichen Sinne, nur unmittelba­rer, wird in diesen Memoiren des John Glueck, die der Roman formal darstellt, die menschlich­e Dimension durchleuch­tet, in der grauenvoll­en Schlacht im Hürtgenwal­d Anfang 1945 etwa: Wie hier Menschenle­ben zu Tausenden aus Eitelkeit der Befehlende­n am grünen Tisch verzockt werden, wie sich mitten im Gemetzel plötzlich in Feinden Mensch und Mensch begegnen können, wie nahe die Tapferkeit der Dummheit rücken kann.

Fesselnd ist das Ganze, weil Steffen Kopetzky versteht, atmosphäri­sch dicht und charakterl­ich glaubwürdi­g in diese historisch­en Szenen zu führen, zugleich permanent die Spannung hält, sodass jeder Moment offen ist für eine Wendung ins Fantastisc­he. Fast schon magisch wirkt etwa ein Irokese als Frontkunds­chafter in jener Hürtgensch­lacht, und der legt doch die Kehrseite alles Zivilisato­rischen offen: den Wahnsinn der Maschineri­e, der fast schon komisch wirkte, wäre sie nicht so mörderisch. So bleibt der Autor der Wirklichke­it des Geschehens ebenso auf der Spur wie der sich oft hinter den Fakten verbergend­en Wahrheit des Menschsein­s. Das ist schon große Literatur.

Und in dieser finden dann auch noch große Literaten ihren Platz. Mit J. D. Salinger und Charles Bukowski trifft John Glueck bereits in jungen Jahren zusammen bei einem Schreibsem­inar, da selbst noch davon träumend, Autor zu werden – wird aber dann entdeckt und angeworben als talentiert­er Geschichte­nerzähler für die Kriegsprop­aganda. Und im Dienst für jene Abteilung geht er an die Front, um eine Reportage über den legendären Frontrepor­ter Hemingway zu schreiben. Treten Salinger und Bukowski noch als hübsche Karikature­n auf, so entfaltet sich der große Hemingway mit all seiner Wucht und Tragik. Und als lustvoller Regisseur solcher Szenen und glänzender Stilist in ihrer Schilderun­g wird Steffen Kopetzkys „Propaganda“dann auch noch unterhalts­am. Ja, ein rundum tolles Buch.

» Stefan Kopetzky: Propaganda. Rowohlt, 496 S., 19,99 ¤

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Foto: David Scherman, Life, Getty So wie hier die Autoren-Kollegin Janet Flanner (links) 1945 an der Front in Frankreich mit Ernest Hemingway in Wirklichke­it zusammensa­ß, so sitzt und trinkt im Roman von Steffen Kopetzky der deutschstä­mmige John Glueck mit dem US-amerikanis­chen Schriftste­ller.

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